Europarecht in der Klausur
Öffentlich-rechtliche Klausuren mit dem Bezug zum Europarecht werden immer beliebter. Einige Verfahrensarten kommen sehr häufig vor. Die Prüflinge sollten außerdem die wichtigsten Urteile des Europäischen Gerichtshofes [EuGH] und des Bundesverfassungsgerichtes kennen und diese benennen können. Dieser Artikel gibt dazu einen Überblick.
Klausurrelevante Verfahrenstypen
Die wichtigsten Verfahrenstypen im Europarecht sind:
- Das Vertragsverletzungsverfahren, Art. 258 AUEV, welches der EU-Kommission ermöglicht gegen Vertragsverletzungen der Mitgliedsstaaten vorzugehen.
- Die Nichtigkeitsklage, Art. 263 AUEV, mit der das Unionsrecht überprüft werden kann.
- Die Untätigkeitsklage, Art. 265 AEUV, die ein Beanstandungsverfahren gegen die Unionsorgane darstellt.
- Das Vorabentscheidungsverfahren, Art. 267 AUEV, bei dem die nationalen Gerichte den EuGH über die Auslegung der Verträge oder die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstiger Stellen der Europäischen Union [EU] anrufen können. Das Vorabentscheidungsverfahren ist das wohl klausurhäufigste Verfahren, da es auch das Recht auf gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG beeinträchtigen kann. Dieses Grundrecht kann wiederum im Sinne einer Individualverfassungsbeschwerde geltend gemacht werden, wenn ein nationales Gericht die Frage nicht dem EuGH vorgelegt hat. In Art. 267 Abs. 3 AUEV sind Konstellationen der Vorlagepflicht normiert.
- Zuletzt gibt es noch die Amtshaftungsklage, Art. 268 AUEV, welche Ausdruck eines effektiven Rechtsschutzes auf Unionsebene ist.
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Die EMRK
Die Europäische Menschenrechts-Konvention trat 1953 in Kraft und stellt spezielles Völkerrecht dar. Es besteht eine gerichtliche Überprüfbarkeit durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrecht [EGMR]. In den Art. 2 – 14 EMRK ist der Kernbestand der Menschenrechte normiert. In Deutschland hat die EMRK nur einen einfachgesetzlichen Rang. Dadurch ist die EMRK kein unmittelbarer Prüfungsmaßstab bei der Verfassungsbeschwerde, sondern gilt als Auslegehilfe für Grundrechte.
Nach dem Görgülü Urteil des BVerfGs gilt eine Verpflichtung deutscher Gerichte, die Entscheidungen des EGMR einzubinden und die EMRK zu berücksichtigen, um das deutsche Recht demnach auszulegen.
Die wichtigsten Urteile
Hier ist ein kurzer Überblick über die wichtigsten EuGH und BVerfG Urteile, die man kennen sollte. Zunächst gibt es da Costa/ENEL (EuGH): Es besteht Anwendungsvorrang von Unionsrecht vor nationalem Recht und die Verpflichtung der nationalen Gerichte und Behörden, Unionsrecht anzuwenden und entgegenstehendes innerstaatliches Recht unangewendet zu lassen. Die Auslegungskompetenz liegt nur beim EuGH. Das Urteil ist wegweisend für die Supranationalität. Das bedeutet, Staaten schränken ihre Selbstbestimmung ein, um Mitglied der supranationalen Europäischen Union zu sein.
Ein weiteres wichtiges Urteil erging in der Sache van. Gend & Loos (EuGH): Hier wurde der Anwendungsvorrang des EU-Rechts festgestellt, das heißt, die Staaten müssen zugunsten der Gemeinschaft ihre Souveränitätsrechte einschränken.
In der Sache Akerberg/Fransson (EuGH) wurde der unbedingte Vorrang des Unionsrechts vor nationalem Recht bei Vollzug und Umsetzung von Unionsakten betont, wenn die Handlung „in den Geltungsbereich des Unionsrechts“ iSd. Art. 51 GR-CH fällt.
Im Mangold-Urteil (EuGH) wurde festgestellt, dass ein Mitgliedstaat die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts gewährleisten muss und entgegenstehende mitgliedstaatliche Bestimmungen unangewendet bleiben müssen. Daran wurde kritisiert, dass der EuGH ultra-vires (außerhalb seiner Befugnisse) handelte, indem er nationales Recht als unanwendbar bezeichnete, da er nur die Kompetenz über EU-Recht innehabe.
Im CLIFIT-Urteil (EuGH) wurde die acte-claire-Theorie etabliert, die eine ungeschriebene Ausnahme der Vorlagepflicht an den EuGH begründet, wenn ein identischer Fall schon entschieden wurde, eine gesicherte Rechtsprechung zu der Rechtsfrage existiert oder die Unionsrechtslage so offensichtlich ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung des EuGH bleibt.
Nach der Francovich Entscheidung (EuGH) hat der Einzelne einen Schadensersatzanspruch gegen den Mitgliedstaat, wenn dieser gegen europäisches Recht verstößt, z. B. durch Nichtumsetzung einer Richtlinie.
In der Cassina-Entscheidung (BVerfG) wurde festgestellt, dass der Anwendungsvorrang aus dem innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl bindend ist.
Berühmt ist auch die Solange I Rechtsprechung (BVerfG). Das Bundesverfassungsgericht behält sich demnach vor, die Vereinbarkeit von EU-Recht und deutschem Recht in jedem Einzelfall selbst zu prüfen.
Darauf folgte noch die Solange II Entscheidung (BVerfG), die besagte, dass der Rechtsschutz durch den EuGH nur ausreichend ist, solange der Grundrechtsschutz garantiert wird.
Nach der Maastricht Rechtsprechung (BVerfG) ist die Vereinbarkeit des EU-Vertrages von Maastricht mit den Grundrechten gegeben, allerdings sind Ultra-vires-Akte in Deutschland nicht verbindlich. Daran knüpft auch der Bananenmarktbeschluss (BVerfG) an, denn das BVerfG behält sich eine Reservekompetenzkontrolle der Grundrechtswahrung vor.
Laut dem Lissabon-Urteil (BVerfG) ist Unionsrecht supranational, aber es gibt Grenzen der Übertragbarkeit der Hoheitsrechte von Deutschland auf die EU.
Ein neueres Urteil ist das EZB-Urteil I (BVerfG). Es handelt von einem Ultra-vires-Vorbehalt als Unterfall des Identitätsvorbehaltes, denn das Unionsrecht kann niemals unmittelbarer Gegenstand eines Verfahrens vor dem BVerfG sein, ein zulässiger Gegenstand kann aber ein rechtserhebliches Unterlassen von Bundesregierung und Bundestag sein, die es versäumt haben, gegen den vermeintlichen verfassungswidrigen Unionsrechtakt vorzugehen. Das stellt einen Verstoß gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung dar, Art. 5 Abs. 1,2 EUV.
Besonderheiten in der Klausur
Die europarechtlichen Fragestellungen in Klausuren ähneln sich oft. Wenn Grundfreiheiten anzusprechen sind, dann ist bei einem Verstoß die entsprechende nationale Norm unanwendbar. Wenn von Europäischen Grundrechten gesprochen wird, ist die Grundrechts-Charta gemeint. Der EuGH ist gesetzlicher Richter iSd. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, was im Rahmen der Verfassungsbeschwerde relevant werden kann.
Bei einer Verfassungsbeschwerde gegen eine EU-Verordnung erfolgt eine Beschwerde gegen den deutschen Rechtsakt, der daraus gefolgt ist. Sie ist unzulässig, wenn die Begründung nicht darlegt, dass die Entwicklung des europäischen Grundrechtsschutzes unter den Standard des Grundgesetzes gesunken ist.
Wichtig ist immer der effet-utile-Gedanke aus Art. 4 Abs. 3 EUV! Alleine mit diesem Prinzip kann man viele Fragestellungen lösen. Der Grundsatz besagt, dass EU-Normen möglichst wirkungsvoll sein sollen und dazu Gemeinschaftskompetenzen bestmöglich ausgeschöpft werden sollen.
Ein nicht zu unterschätzendes Spezialproblem ist das Diskriminierungsverbot. Art. 18 Abs. 1 AUEV wirkt nach einer Ansicht als absolutes Diskriminierungsverbot und ist nicht zu rechtfertigen. Nach herrschender Meinung ergibt sich nur ein relatives Diskriminierungsverbot und eine Rechtfertigung ist möglich, wenn für die Ungleichbehandlung ein sachlicher Grund besteht. Bei einem Verstoß ist die Rechtsposition der EU-Ausländer an die Inländer anzupassen, ein beliebtes Beispiel sind hier Schwimmbadpreise.
Ein absoluter Klassiker sind Beihilfen iSd. Art. 107 EUV. Durch die Gewährung einer Begünstigung aus staatlichen Mittel, die selektiv erfolgt, wird der europäische Wettbewerb verfälscht durch Eingriff in das Marktgeschehen.
Mit diesen Klassikern ist man schon gut gerüstet für eine Klausur mit Europarecht. Dennoch sind die Klausuren nicht zu unterschätzen und man sollte sich die Punkte noch einmal vertieft anschauen!