examensrelevantGewusst

Aktuelle Rechtsprechung KOMPAKT | Ausgabe 01: Sittenwidrigkeit, Un-Anwesender Dolmetscher, Fotografieverbot

Heute mit den Entscheidungen des BGH vom 26.03.2025 (Az.: VII ZR 152/23) und vom 06.03.2025 (Az.: 3 StR 249/24) sowie vom OVG Schleswig-Holstein vom 27.03.2025 (Az.: 4 MB 8/25)

Aktuelle Rechtsprechung begleitet dich durch Studium, Referendariat und juristische Praxis – sie ist der Schlüssel zum juristischen Durchblick. Wer weiß, wie Gerichte entscheiden, kann Gesetzesnormen sicher anwenden, rechtliche Zusammenhänge besser einordnen und überzeugend argumentieren. Mit JurCase bleibst du monatlich auf dem Laufenden über relevante Rechtsprechung aus Zivilrecht, Strafrecht und öffentlichem Recht. Schon #GEWUSST?

Die Reihe Aktuelle Rechtsprechung KOMPAKT wird von unserem Redaktionsleiter, Rechtsassessor Sebastian M. Klingenberg, für dich zusammengestellt.

In der heutigen Ausgabe geht es konkret um

  • ein Urteil des BGH vom 26.03.2025 (Az.: VII ZR 152/23) zur Sittenwidrigkeit im Mietrecht;
  • ein Urteil des BGH vom 06.03.2025 (Az.: 3 StR 249/24) zur Abwesenheit eines anwesenden Dolmetschers;
  • einen Beschluss des OVG Schleswig-Holstein vom 27.03.2025 (Az.: 4 MB 8/25) zum Fotografieverbot für Journalisten.

BGH, Urteil vom 26.03.2025 (Az.: VII ZR 152/23) zur Sittenwidrigkeit im Mietrecht

Worum geht es?

In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es um einen ungewöhnlich günstigen Mietvertrag: Eine Familie wohnte seit 2017 in einer 177 m² großen Berliner Wohnung für nur 600 Euro Kaltmiete im Monat. Die GmbH als Vermieterin – vertreten durch ihren damaligen Geschäftsführer – hatte vereinbart, dass die Miete erst ein Jahr nach Vertragsschluss gezahlt werden müsse, sofern die Mieterin zuvor Renovierungen durchführe.

Später wurde der Geschäftsführer abgelöst. Die GmbH wollte den Vertrag rückgängig machen, klagte auf Räumung und Herausgabe – mit der Begründung, der Vertrag sei sittenwidrig (§ 138 BGB) und durch kollusives Zusammenwirken zwischen dem Geschäftsführer und dem Lebensgefährten der Mieterin zustande gekommen. Die GmbH warf beiden vor, zum Nachteil der Gesellschaft gehandelt zu haben.

Das Landgericht Berlin gab der Klage statt: Der Vertrag sei wegen Sittenwidrigkeit nichtig, außerdem habe der Lebensgefährte der Mieterin vom Missbrauch der Vertretungsmacht gewusst – und dieses Wissen sei ihr zuzurechnen (§ 166 BGB).

Der BGH hob dieses Urteil auf. Das Landgericht habe nicht hinreichend festgestellt, dass die Mieterin bewusst mit dem Geschäftsführer zusammengewirkt habe. Auch eine bloße Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis vom Missbrauch genüge nicht für § 138 BGB, sondern könne allenfalls zu einem Anspruch wegen unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) führen. Zudem lasse sich aus den Feststellungen keine Zurechnung des Wissens des Lebensgefährten auf die Mieterin ableiten. Die bloße Lebensgemeinschaft und gemeinsame Nutzung der Wohnung reiche dafür nicht aus.

Da das Landgericht diese Differenzierungen verkannt und wichtige Tatsachen nicht festgestellt habe, wurde das Urteil aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Warum sollte ich von dieser Rechtsprechung #GEWUSST haben?

a) Präzisierung der Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB)

Der BGH stellt klar, dass ein besonders günstiger Mietpreis nicht automatisch zur Unwirksamkeit des Vertrages führt. Ein objektiver Verstoß gegen die guten Sitten reicht allein nicht aus – vielmehr bedarf es eines kollusiven Zusammenwirkens oder einer Kenntnis vom Missbrauch der Vertretungsmacht. Die Entscheidung schärft damit das Verständnis von § 138 BGB im Kontext wirtschaftlicher Ungleichgewichte.

b) Abgrenzung zwischen § 138 BGB und § 242 BGB

Der BGH rügt ausdrücklich, dass das LG nicht sauber zwischen Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) und unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) differenziert hat. Diese Unterscheidung ist examensrelevant und stellt hohe Anforderungen an die Begründung. Sie zeigt: Auch wenn ein Verhalten nicht „sittenwidrig“ im engeren Sinne ist, kann es gleichwohl treuwidrig sein – aber eben unter anderen Voraussetzungen.

c) Zurechnung fremden Wissens über § 166 BGB

Die Entscheidung bietet eine prägnante Wiederholung zur Frage: Wann ist fremdes Wissen (hier: des Lebensgefährten) zurechenbar? Der BGH stellt klar: Eine Zurechnung nach § 166 BGB setzt die bewusste Einschaltung des Dritten als Wissensvertreter voraus – eine bloße persönliche Nähebeziehung reicht nicht. Damit gibt der BGH auch praxisrelevante Hinweise zur Reichweite dieser Norm.

d) Praxisrelevanz im Mietrecht und Gesellschaftsrecht

Gerade in größeren Städten wie Berlin kommt es häufiger zu fragwürdigen Mietverträgen, insbesondere bei personellen Verflechtungen. Die Entscheidung hat damit eine hohe praktische Relevanz für alle, die sich mit dem Schutz von Gesellschaftsvermögen, missbräuchlicher Vertretung oder der Wirksamkeit atypischer Mietverhältnisse befassen.

JurCase informiert:

Das Urteil des BGH vom 26.03.2025 (Az.: VII ZR 152/23) findest du kostenlos hier auf der Seite des Bundesgerichtshofs.

BGH, Urteil vom 06.03.2025 (Az.: 3 StR 249/24) zur Abwesenheit eines anwesenden Dolmetschers

Worum geht es?

Der Bundesgerichtshof hatte in dieser Entscheidung darüber zu befinden, ob ein Dolmetscher in einem Strafverfahren als „abwesend“ im Sinne eines absoluten Revisionsgrundes (§ 338 Nr. 5 Alt. 2 StPO) gelten kann, wenn er objektiv zwar anwesend war, aber aus rechtlichen Gründen (hier: wegen eines möglichen Ausschlusses wegen Befangenheit) nicht hätte tätig werden dürfen.

Konkret ging es um eine niederländische Angeklagte, gegen die eine mehrjährige Freiheitsstrafe verhängt wurde. In der Hauptverhandlung wurde zunächst eine Rechtsanwältin, die zuvor als Pflichtverteidigerin eines Mitangeklagten fungierte, für einen Tag zur niederländischen Dolmetscherin bestellt. An diesem Tag war sie dolmetschend tätig, anschließend übernahm ein anderer die Dolmetscherfunktion, während sie wieder als Pflichtverteidigerin agierte.

In der Revision argumentierte der Generalbundesanwalt (GBA), dass die Dolmetscherin aufgrund ihrer früheren Rolle im selben Verfahren als „ungeeignet“ anzusehen sei – was ihre „Abwesenheit“ im Sinne des § 338 Nr. 5 Alt. 2 StPO fingieren würde. Das hätte zur Folge, dass die Hauptverhandlung an diesem Tag ohne gesetzlich vorgeschriebenen Dolmetscher durchgeführt worden sei – ein absoluter Revisionsgrund.

Der BGH folgte dieser Argumentation jedoch nicht. Der Senat stellte klar, dass „Anwesenheit“ eine tatsächliche physische Präsenz in der Hauptverhandlung meint. Allein der Umstand, dass gegen die betreffende Person ein Ablehnungsgrund bestehen könnte, führt nicht automatisch dazu, dass sie als „abwesend“ gilt. Das gesetzliche Verfahren zur Ablehnung (nach § 74 StPO bzw. § 191 GVG) hätte zuvor ausdrücklich durch Antrag eingeleitet werden müssen. Die bloße rechtliche Ungeeignetheit ersetze dieses Verfahren nicht.

Außerdem stellte der BGH klar, dass § 338 Nr. 2 StPO bereits einen eigenständigen absoluten Revisionsgrund für die Mitwirkung kraft Gesetzes ausgeschlossener Richter vorsieht – ein solcher Gedanke lasse sich nicht ohne Weiteres auf Dolmetscher übertragen.

Damit hob der BGH hervor: Die faktische Teilnahme eines Dolmetschers bleibt auch dann eine Teilnahme im Sinne des § 338 Nr. 5 StPO, wenn gegen diese Person Gründe vorliegen, die ihre Ungeeignetheit begründen könnten.

Warum sollte ich von dieser Rechtsprechung #GEWUSST haben?

a) Dogmatische Präzisierung des § 338 StPO

Der BGH liefert eine dogmatisch klare Unterscheidung zwischen tatsächlicher Abwesenheit und rechtlicher Ungeeignetheit. Damit konkretisiert er den Tatbestand des absoluten Revisionsgrundes aus § 338 Nr. 5 Alt. 2 StPO: Nicht jede rechtliche Problematik mit einer verfahrensbeteiligten Person kann zu einer Fiktion ihrer Abwesenheit führen.

Diese Klarstellung ist wichtig für die Anwendung der Revisionsnormen und verhindert eine „Aufblähung“ absoluter Revisionsgründe ohne eindeutige gesetzliche Grundlage.

b) Praktische Relevanz für das Strafverfahren

Die Entscheidung zeigt sehr konkret, wie mit Verfahrensfehlern im Kontext von Dolmetschereinsatz und Übersetzungsrechten umzugehen ist. Gerade bei internationalen Verfahren ist die Frage nach ordnungsgemäßer Sprachmittlung zentral – die Entscheidung gibt hier rechtliche Orientierung: Ein Dolmetscher kann nur durch ein korrektes Ablehnungsverfahren ausgeschlossen werden, nicht durch eine rückwirkende Wertung im Revisionsverfahren.

c) Abgrenzung zu anderen Revisionsgründen

Der BGH verweist systematisch auf § 338 Nr. 2 StPO (Mitwirkung ausgeschlossener Richter) und macht deutlich, dass eine Übertragung dieser Systematik auf andere Verfahrensbeteiligte (wie Dolmetscher) nicht automatisch zulässig ist. Dies ist ein gutes Beispiel für gesetzessystematische Auslegung und zeigt, dass jeder Revisionsgrund gesondert betrachtet werden muss.

JurCase informiert:

Das Urteil des BGH vom 06.03.2025 (Az.: 3 StR 249/24) findest du kostenlos hier auf der Seite des Bundesgerichtshofs.

OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 27.03.2025 (Az.: 4 MB 8/25) zum Fotografieverbot für Journalisten

Worum geht es?

Im Gerichtsgebäude des Landgerichts Kiel wurde einem hier namentlich nicht zu benennenden Verlag – konkret allen Mitarbeitenden der „B-Zeitung“ – für zwei Monate untersagt, Fotoaufnahmen zu machen. Grundlage der Anordnung war das Hausrecht der Gerichtspräsidentin, gestützt auf § 14 Abs. 1 des schleswig-holsteinischen Landesjustizgesetzes. Anlass waren zwei Verstöße gegen Verpixelungsanordnungen in Strafverfahren mit erheblichem Öffentlichkeitsinteresse in den Jahren 2022 und 2025.

Der Verlag wehrte sich juristisch – mit Erfolg. Das Verwaltungsgericht Schleswig kippte die Maßnahme im Eilverfahren. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein bestätigte nun in zweiter Instanz (Beschl. v. 27.03.2025, Az. 4 MB 8/25): Ein Fotografierverbot kann zwar auf das Hausrecht gestützt werden – es muss jedoch auf konkreten Tatsachen beruhen, die eine künftige Gefahr begründen. Die Anordnung des LG Kiel war aber vor allem rückblickend motiviert und damit sanktionierend, nicht präventiv.

Warum sollte ich von dieser Rechtsprechung #GEWUSST haben?

a) Abgrenzung von Hausrecht und Sanktion

Das OVG betont, dass das Hausrecht der Gerichtspräsident:innen kein Disziplinarinstrument gegenüber der Presse ist. Es darf nur vorbeugend zur Wahrung der Ordnung und Sicherheit am Gericht eingesetzt werden. Die Entscheidung stärkt somit den präventiven Charakter des Hausrechts und begrenzt missbräuchliche Ausweitungen.

b) Stärkung der Pressefreiheit

Für Gerichtsreporter:innen ist das Urteil bedeutsam: Die bloße Möglichkeit einer künftigen Berichterstattung – selbst bei früheren Verstößen – reicht nicht für ein allgemeines Fotografierverbot. Das schafft Planungssicherheit und stärkt die Medienöffentlichkeit.

c) Hohe Hürden für pauschale Verbote

Zwei Verstöße innerhalb von drei Jahren genügen laut Gericht nicht, um ein strukturell wiederholtes Fehlverhalten zu belegen. Die Schwelle für Einschränkungen gegenüber der Presse bleibt hoch – und das ist mit Blick auf die Bedeutung freier Gerichtsberichterstattung verfassungsrechtlich geboten.

JurCase informiert:

Den Beschluss des OVG Schleswig-Holstein vom 27.03.2025 (Az.: 4 MB 8/25) findest du kostenlos hier auf openjur.de.

Hat dir der Beitrag gefallen?

Beitragsautor:

Sebastian M. Klingenberg

Sebastian M. Klingenberg

Redaktionsleiter bei JurCase
Rechtsassessor, Promotionsstudent, Freiberufler

Alle Beiträge von Sebastian M. Klingenberg ansehen