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Aktuelle Rechtsprechung KOMPAKT | Ausgabe 04: Wiedereinsetzung bei Schriftsatzfehler, Zwangsentsperrung des Handys, Radumleitung wegen Straßensperrung

Heute mit den Entscheidungen des BGH vom 08.07.2025 (Az.: VIII ZB 12/25) und vom 13.03.2025 (Az.: 2 StR 232/24) sowie des VG Berlin vom 29.07.2025 (Az.: VG 1 L 615/25)

Aktuelle Rechtsprechung begleitet dich durch Studium, Referendariat und juristische Praxis – sie ist der Schlüssel zum juristischen Durchblick. Wer weiß, wie Gerichte entscheiden, kann Gesetzesnormen sicher anwenden, rechtliche Zusammenhänge besser einordnen und überzeugend argumentieren. Mit JurCase bleibst du monatlich auf dem Laufenden über relevante Rechtsprechung aus Zivilrecht, Strafrecht und öffentlichem Recht. Schon #GEWUSST?

Die Reihe Aktuelle Rechtsprechung KOMPAKT wird von unserem Redaktionsleiter, Rechtsassessor Sebastian M. Klingenberg, für dich zusammengestellt.

In der heutigen Ausgabe geht es konkret um

  • einen Beschluss des BGH vom 08.07.2025 (Az.: VIII ZB 12/25) zur Frage, ob die Übersendung einer falschen PDF per beA eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand begründet;
  • einen Beschluss des BGH 13.03.2025 (Az.: 2 StR 232/24) zur Frage, ob die Polizei einen Finger unter Zwang aufs Handy zwecks Entsperrung legen darf;
  • einen Beschluss des VG Berlin vom 29.07.2025 (Az.: VG 1 L 615/25) zur Frage, ob ein Radfahrer als Anlieger von einer Straßensperre ausgenommen sein kann.

BGH mit Beschluss vom 08.07.2025 (Az.: VIII ZB 12/25) zur  Wiedereinsetzung bei Schriftsatzfehler

Worum geht es?

Der BGH (Beschl. v. 08.07.2025 – VIII ZB 12/25) hatte zu entscheiden, ob ein Rechtsanwalt Wiedereinsetzung verlangen kann, wenn er versehentlich eine falsche PDF-Datei über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) an das Gericht übermittelt. Statt einer 19-seitigen Berufungsbegründung ging beim Gericht nur eine drei Seiten lange Datei ein, die kein richtiges Urteil, keine Anträge und keine Begründung enthielt. Der Anwalt machte einen Softwarefehler verantwortlich. Der BGH sah dennoch kein unverschuldetes Versäumnis: Ein Blick in die Dateivorschau hätte die Diskrepanz sofort offenbart. Wer die Frist bis zur letzten Minute ausschöpft, trägt auch das Risiko solcher Fehler.

Warum sollte ich von dieser Rechtsprechung #GEWUSST haben?

a) Strenge Beweislast für anwaltliche Sorgfalt

Der BGH verdeutlicht erneut, dass Anwälte selbst für technische Fehler verantwortlich bleiben. Der Kläger muss sich gem. § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden seines Anwalts zurechnen lassen.

b) Pflicht zur Dateiprüfung vor Versand

Die Entscheidung stellt klar: Der Dateiname reicht nicht. Es besteht eine Pflicht, die Datei nach Umwandlung ins PDF-Format tatsächlich inhaltlich zu kontrollieren – genauso wie bei früheren Fax-Sendungen.

c) Fristwahrung bis zur letzten Minute als Risiko

Wer Schriftsätze erst kurz vor Mitternacht einreicht, kann sich nicht darauf berufen, dass keine Postausgangskontrolle mehr möglich war. Wer die Frist voll ausschöpft, trägt die volle Verantwortung für Fehler.

d) Kontinuität der Rechtsprechung

Der BGH knüpft an seine frühere Linie an: Sorgfaltspflichten bei der beA-Übermittlung sind denselben Maßstäben zu unterwerfen wie bei Fax oder persönlicher Unterschrift. Damit wird das digitale Verfahren nicht erleichtert, sondern in Pflichten gespiegelt.

e) Praktische Konsequenz: Pflicht zur Endkontrolle

Die Entscheidung betont eine Kernpflicht jedes Anwalts: Jede Datei ist vor dem Absenden vollständig auf Richtigkeit, Vollständigkeit und Lesbarkeit zu prüfen – unabhängig von Zeitdruck oder vermeintlich verlässlicher Software.

JurCase informiert:

Den Beschluss des BGH vom 08.07.2025 (Az.: VIII ZB 12/25) findest du kostenlos hier auf der Seite des Bundesgerichtshofs.

BGH mit Beschluss vom 13.03.2025 (Az.: 2 StR 232/24) zur Zwangsentsperrung des Handys

Worum geht es?

Der BGH (Beschl. v. 13.03.2025 – 2 StR 232/24) hat entschieden, dass die Polizei einen Finger eines Beschuldigten unter Zwang auf den Fingerabdrucksensor eines Smartphones legen darf, um es zu entsperren – jedenfalls dann, wenn eine richterliche Durchsuchungsanordnung vorliegt und die Maßnahme verhältnismäßig ist. Der Senat stützt dies auf § 81b Abs. 1 i.V.m. §§ 94 ff. StPO. Nach Auffassung des BGH ist die Selbstbelastungsfreiheit nicht betroffen, da der Beschuldigte nicht aktiv mitwirken muss, sondern lediglich eine Zwangsmaßnahme duldet. Auch unionsrechtliche Vorgaben stehen dem Vorgehen nicht entgegen. Damit bestätigt der BGH erstmals höchstrichterlich die bislang umstrittene Rechtsfrage, die zuvor das OLG Bremen aufgeworfen hatte.

Warum sollte ich von dieser Rechtsprechung #GEWUSST haben?

a) „Grundsatzentscheidung mit Signalwirkung

Der BGH klärt eine bislang offene Streitfrage und schafft Rechtssicherheit: Zwangsweises Fingerauflegen ist unter Voraussetzungen zulässig.

b) Selbstbelastungsfreiheit greift nicht

Das Urteil grenzt klar ab: Das passive Dulden von Zwangsmaßnahmen ist keine verbotene Selbstbelastung – ein wichtiger Maßstab für die Praxis.

c) Europarechtliche Absicherung

Der Senat prüft die Maßnahme auch an der Datenschutz-Richtlinie 2016/680/EU und an der Grundrechtecharta – und gibt grünes Licht. Damit steht die Entscheidung auch unionsrechtlich auf sicherem Boden.

d) § 81b Abs. 1 StPO weit ausgelegt

Die Norm soll laut BGH technikoffen verstanden werden. Damit ist sie taugliche Rechtsgrundlage auch für moderne Maßnahmen, die der Gesetzgeber bei Normschaffung nicht im Blick hatte.

e) Doppelte Absicherung durch §§ 110, 94 StPO

Selbst wenn man § 81b Abs. 1 StPO kritisch sähe, verweist der Senat auf die Durchsicht und Beschlagnahme nach §§ 110, 94 StPO als Auffanggrundlage.

f) Praktische Folge: Neue Ermittlungsoptionen

Für Polizei und Staatsanwaltschaft eröffnet die Entscheidung eine klare, praxistaugliche Möglichkeit, Smartphones auch gegen den Willen des Beschuldigten rechtssicher zu entsperren.

JurCase informiert:

Den Beschluss des BGH vom 13.03.2025 (Az.: 2 StR 232/24) findest du kostenlos hier auf der Seite des Bundesgerichtshofs.

VG Berlin mit Beschluss vom 29.07.2025 (Az.: VG 1 L 615/25) zu einer Radumleitung wegen Straßensperrung

Worum geht es?

Ein Berliner Radfahrer wollte erreichen, den Platz hinter dem Reichstagsgebäude auch während der Sitzungswochen nutzen zu können. Das VG Berlin (Beschl. v. 29.07.2025 – VG 1 L 615/25) wies seinen Antrag zurück: Er habe weder als Anlieger noch als Verkehrsteilnehmer einen Anspruch auf ungehinderte Nutzung. Die Sperrung zum Schutz des Parlamentsbetriebs sei zulässig.

Warum sollte ich von dieser Rechtsprechung #GEWUSST haben?

a) Abgrenzung Anlieger vs. Allgemeinheit

Das VG stellt klar: Nur Anlieger können sich auf besondere Nutzungsrechte stützen – allgemeine Verkehrsteilnehmer nicht.

b) Kein Anspruch auf Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs

Der Gemeingebrauch ergibt sich allein aus der Widmung der Straße. Er ist inhaltlich durch die Widmung bestimmt und kann auch durch verkehrsrechtliche Anordnungen eingeschränkt werden. Ein subjektiver Anspruch auf Fortbestand der bisherigen Verkehrsführung besteht nicht.

c) Art. 2 Abs. 1 GG greift nicht durch

Die allgemeine Handlungsfreiheit vermittelt kein Recht auf Aufrechterhaltung einer bisherigen Verkehrsführung, sondern nur auf Gleichbehandlung im Rahmen des tatsächlich eröffneten Gemeingebrauchs.

d) Sicherheitsbelange überwiegen

Der Schutz des parlamentarischen Betriebs ist ein legitimer Zweck, der zeitlich begrenzte Sperrungen rechtfertigt.

e) Praktische Konsequenz

Für die Praxis (und Klausur): Betroffene Verkehrsteilnehmer:innen können nicht mit Erfolg gegen solche Sperrungen vorgehen, solange Umfahrungsmöglichkeiten bestehen.

JurCase informiert:

Den Beschluss des VG Berlin vom 29.07.2025 (Az.: VG 1 L 615/25) findest du kostenlos hier auf der Seite der Berliner Vorschriften- und Rechtsprechungsdatenbank.

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Beitragsautor:

Sebastian M. Klingenberg

Sebastian M. Klingenberg

Redaktionsleiter bei JurCase
Rechtsassessor, Promotionsstudent, Freiberufler

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