Wie ist es, in der Anwaltsstation für Mörder und Totschläger zu arbeiten?
Wer besonderes Interesse am Strafrecht mitbringt, wird sich sicherlich im Laufe des Referendariats damit auseinandersetzen, ob eine spätere Karriere als Strafverteidiger für ihn in Frage kommt. Ich habe deshalb drei Monate meiner Anwaltsstation bei einem Strafverteidiger abgeleistet, um dort einen tieferen Einblick in diesen Beruf zu erlangen.
Der Alltag als Referendarin beim Strafverteidiger
Nachdem ich bereits sechs Monate der Anwaltsstation in einer Anwaltskanzlei im zivilrechtlichen Bereich verbracht habe und mich vor allem mit Kaufrecht und Verkehrsunfällen beschäftigt habe, war ich sehr gespannt, was mich in meiner Station in der Strafverteidigung erwarten würde.
Ich hatte die Hoffnung, mich aktiv einbringen zu können und vor allem Vieles über Verteidigungsstrategien vor Gericht zu lernen. Tatsächlich bestand meine Ausbildung vor allem darin, Gerichtsprozesse meines Ausbilders zu begleiten und diese anschließend aufzuarbeiten und zu besprechen.
Mein Ausbilder hatte während meiner drei Monate bei ihm drei besonders brisante Fälle herausgesucht, die spannend und lehrreich zugleich waren. So begleitete ich einen Prozess wegen versuchten Totschlags, einen wegen versuchten Mordes in Tatmehrheit mit versuchter Anstiftung zum Mord und einen – vor allem prozessrechtlich sehr lehrreichen – Prozess von Raub in Mittäterschaft. Der Fall des versuchten Totschlags war besonders im Hinblick auf die junge Täterin, ihre Persönlichkeit, die psychiatrischen Gutachten und dem Umgang vor Gericht mit diesen bemerkenswert. Die vorherrschende Verteidigungsstrategie war hier vor allem die Kooperation mit dem Gericht durch Geständnis, Zahlung von Schmerzensgeld und Entschuldigungen an die Geschädigten. Auch war ein Fokus der Verteidigung, die nicht immer einfachen Lebensumstände der Täterin, die auch Mutter war, in den Mittelpunkt der Verhandlung zu stellen. Der eigentlich in der Sache eher unspektakuläre Raub beeindruckte mich besonders durch den Umgang mit den Zeugen vor Gericht. Es wurde deutlich, dass die Aussagen sehr erheblich voneinander abwichen und der ein oder andere Zeuge wohl nicht ganz die Wahrheit sagte. Dies ließ sich aus Verteidigersicht sehr gut zugunsten der Angeklagten nutzen. Auch habe ich erstmal die eher selten gestellten Anträge auf Vereidigung der Zeugen erlebt. Im Fall des versuchten Mordes war die Strategie zunächst, sich mit Aussagen zurückzuhalten, um den Angeklagten nicht durch ein mögliches Teilschweigen selbst zum Beweismittel gegen sich selbst zu machen. Außerdem wurde ausgiebig die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch thematisiert.
Außerhalb der Verhandlungen bekam ich einige Aufgaben zum Bearbeiten, die vorwiegend in juristischer Recherche zu aktueller Rechtsprechung bestanden oder dem Verfassen von Schmerzensgeldklagen. Da meine Station leider in den Corona-Winter fiel, fanden Fahrten mit meinem Ausbilder in die JVA zu den Mandanten leider nicht statt, dies hätte sicherlich ein weiteres Highlight darstellen können.
Wann ist ein Referendariat im Bereich der Strafverteidigung zu empfehlen?
Nicht für jeden ist die Ableistung, zumindest eines Teils der Station Rechtsberatung in einer Kanzlei für Strafverteidigung das Richtige. Bei deinen Überlegungen solltest du folgende Punkte im Kopf haben:
- Wenn du später einmal strafrechtlich tätig werden möchtest, ist es sehr sinnvoll, den Vorbereitungsdienst bereits mit einem strafrechtlichen Schwerpunkt zu versehen. So sehen spätere Arbeitsgeber, dass dir der Bereich Strafrecht wirklich am Herzen liegt.
- Außerdem ergänzt ein Referendariat beim Strafverteidiger perfekt die Strafstation, bei welcher man üblicherweise nur dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft zugewiesen wird.
- Du kannst herausfinden, ob auch die Verteidigung von Tätern, die wirklich schwerwiegende Straftaten begehen, wirklich zu dir passt und du die notwendige Distanz wahren kannst.
- Du lernst bereits einige Verteidigungsstrategien kennen, die dir im späteren Berufsleben als Strafverteidiger hilfreich sein können.
- Auch wenn du eher dazu tendierst, einmal Staatsanwalt oder Strafrichter zu werden, ist es sehr nützlich, auch einmal die „andere Seite“ kennenzulernen. Dadurch lernst du, Verteidigerverhalten zu verstehen und entsprechend zu reagieren.
Es gibt jedoch besonders einen Aspekt, der gegen ein Referendariat beim Strafverteidiger spricht. Denn neben den wichtigen praktischen und berufsorientierten Erfahrungen, die im Referendariat erworben werden sollen, steht eben doch am Ende ein schriftliches, sehr umfangreiches Staatsexamen. Vermutlich werden dir in den Prüfungen auch mehrere Klausuren aus Anwaltssicht begegnen. Während die Revisionsklausur ein Typ für sich ist, geht es im Zivilrecht und öffentlichen Recht meistens darum, ein Gutachten zu verfassen und anschließend eine Klageschrift oder eine Klageerwiderung zu entwerfen. Diese Fähigkeiten wirst Du in einer Kanzlei für Strafverteidigung weniger gut erlernen. Da der Strafprozess gerade kein Parteiprozess ist, kommt es allenfalls in damit zusammenhängende Schmerzensgeldklagen einmal zum Verfassen von Schriftsätzen. Für das schriftliche Examen ist die Ausbildung beim Strafverteidiger in praktischer Hinsicht deshalb weniger relevant.
Aus diesem Grund entschied ich mich dafür, die ersten sechs Monate der Station Rechtsberatung im Bereich Zivilrecht abzuleisten. Einerseits stammt die Hälfte aller Klausuren aus dem Zivilrecht, sodass vertiefte Kenntnisse hier wohl am wichtigsten sind, andererseits wollte ich ganz klassisch das Schreiben von Schriftsätzen in der Praxis üben.
Natürlich kann man sich auf die Anwaltsklausuren aber auch mit vielen Übungsklausuren ausreichend vorbereiten.
JurCase informiert:
Eine Aufspaltung der Anwaltsstation in zwei oder drei Abschnitte ist grundsätzlich möglich und erlaubt es dem Referendar, verschiedene Rechtsbereiche kennenzulernen. Beachtet jedoch vor einer Aufteilung, in welchem Monat euer Examen stattfindet und ob ihr vorher eine Weile „tauchen“, also nicht in der Ausbildungsstation arbeiten, sondern zu Hause für die Prüfungen lernen möchtet. Da die Anwaltsstation in Rheinland-Pfalz nach den Examensklausuren noch drei Monate weitergeht, ist eine Aufteilung hier relativ einfach.
Fazit
Für mich war die Ausbildung beim Strafverteidiger eine gute Entscheidung. Ich habe einerseits wirklich spannende Fälle in der Praxis erlebt, die mein Strafrechts-Herz höherschlagen lassen. Andererseits habe ich jedoch auch festgestellt, dass ich meinen Lebensunterhalt auf Dauer nicht mit der Verteidigung von Mördern & Co. verdienen möchte. Und auch dies ist eine wichtige Erkenntnis, die einem die spätere Berufswahl erleichtern kann.