So geht’s: Vom Obersatz zu den Voraussetzungen über Subsumtion zum Ergebnis!
Die Einhaltung des juristischen Gutachtenstils ist essenziell, um eine Klausur oder Hausarbeit im Jurastudium zu bestehen. Gerade am Anfang des Studiums kann einem der Gutachtenstil sehr sperrig vorkommen und so mancher mit guten Grammatikkenntnissen verzweifelt schon mal an den seltsamen Formulierungen und dem Einsatz des Konjunktivs. Allerdings läuft ein Gutachten immer nach demselben Schema ab, welches im Folgenden dargestellt wird.
Eine Anleitung für den Gutachtenstil
Der Gutachtenstil wird hauptsächlich bis zum ersten Staatsexamen eingesetzt, um ein rechtliches Problem aufzuwerfen und zu lösen. Ab dem Referendariat wird eher auf den Urteilsstil zurückgegriffen, der umgekehrt gebildet wird. Der Gutachtenstil funktioniert in vier Schritten:
1) Obersatz
Zunächst wird der sogenannte Obersatz gebildet. Im Obersatz wird das Problem aufgeworfen, zum Beispiel: „A könnte einen Anspruch auf Zahlung von 3000 € gegen B aus dem Kaufvertrag über den PKW gemäß §433 Abs. 2 BGB haben.“
Es wird also im Zivilrecht nach der Formel gearbeitet: Wer (Anspruchsteller) will was (Anspruchsziel) von wem (Anspruchsgegner) woraus (Anspruchsgrundlage)? Dabei sollte immer die genaue Anspruchsnorm zitiert werden.
Im Strafrecht beginnt der Obersatz ähnlich, zum Beispiel: „A könnte sich wegen Diebstahls an dem Handy gemäß §242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem A dem B das Handy aus seiner Tasche zog und in die eigene steckte.“ Dabei ist wichtig, die genaue Handlung zu benennen und auf die Formulierungen zu achten. Man kann entweder schreiben, dass sich jemand „des XY schuldig“ oder „wegen XY strafbar“ gemacht hat. Eine Vermischung, wie „wegen Raubes schuldig“ oder „des Diebstahls strafbar“ geht hingehen nicht! Das wird immer wieder als falsch angestrichen, also ist darauf zu achten.
Im Öffentlichen Recht kann ein Obersatz so aussehen: „Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.“ oder auch: „Es könnte eine Anfechtungsklage nach §42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft sein.“
Der Obersatz wird also immer im Konjunktiv formuliert!
Kausale Verknüpfungen, wie z.B. „weil, da, denn, nämlich“, sollten nicht verwendet werden, da diese auf den Urteilsstil hindeuten. Einleiten kann man den Obersatz mit „fraglich ist“, „zu prüfen ist, ob“.
2) Tatbestandsvoraussetzungen
Nach dem Obersatz werden die Tatbestandsvoraussetzungen und erforderliche Definitionen genannt. Die Definition findet sich entweder legaldefiniert im Gesetz, man hat sie auswendig gelernt oder man muss sich eine Definition herleiten. Wenn eine Definition hergeleitet wird, sollte zunächst eine Oberkategorie des Begriffes gefunden werden und dann ein besonderes Merkmal. Benötigt wird beispielsweise eine Definition für ein Flugtier. Daraufhin könnte man sagen: Ein Flugtier ist ein Lebewesen, welches sich durch die Luft fortbewegt. Schon entsteht eine Definition.
3) Subsumtion
Der dritte Schritt des Gutachtenstils ist die Subsumtion. Hier wird zum ersten Mal der vorliegende Sachverhalt zu Rate gezogen und der Vorgang im Sachverhalt wird unter die Voraussetzungen und die Definition subsumiert.
4) Ergebnis
Die Subsumtion ist eng verknüpft mit dem Ergebnissatz. Es findet vor allem eine Vermischung statt, wenn mehrere Tatbestandsvoraussetzungen subsumiert werden.
Wichtig: Beim Gutachtenstil ist immer darauf zu achten, dass Unproblematisches kurzgehalten wird und Probleme ausführlich definiert und subsumiert werden.
Hier also ein paar Beispiele:
Meine Beispiele sind alle zur ausführlichen Veranschaulichung gedacht. Man könnte aber sogar noch kleinteiliger werden.
Im Zivilrecht:
„A könnte einen Anspruch auf Zahlung von 3000 € gegen B aus dem Kaufvertrag über den PKW gemäß §433 Abs. 2 BGB haben (Obersatz). Dazu müsste ein Kaufvertrag zwischen A und B vorliegen (nächster Obersatz / Tatbestandsvoraussetzungen). Ein Kaufvertrag kommt durch zwei korrespondierende Willenserklärungen – Antrag und Annahme – zu Stande (Voraussetzungen). Der Antrag ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die alle wesentlichen Bestandteile des Vertrages enthält und auf die der andere mit einem einfachen „Ja“ antworten kann. Die Annahme ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, aus der sich der Annahmewille des Antrages unzweifelhaft ergibt (Definitionen). A hat dem B angeboten, dass B den Opel zu einem Preis von 3000 € kaufen könne. B hat dem Angebot des A mit „ja“ zugestimmt (Subsumtion). A und B haben sich über die Essentialia negotii geeinigt, nämlich Kaufparteien, Kaufgegenstand und Kaufpreis. Zwischen A und B ist somit ein Kaufvertrag nach §433 Abs. 1 BGB zu Stande gekommen (Ergebnissätze).“
Im Strafrecht:
„A könnte sich wegen Diebstahls an dem Handy gemäß §242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben (Obersatz). Dazu müsste das Handy für A eine fremde, bewegliche Sache sein (nächster Obersatz / Tatbestandsvoraussetzungen). Fremd ist eine Sache, die nicht im Alleineigentum des Täters steht und nicht herrenlos ist. Beweglichkeit liegt vor, wenn eine Sache von ihrem ursprünglichen Ort hinfort geschafft werden kann. Eine Sache ist nach §90 BGB ein körperlicher Gegenstand (Definitionen). Ein Handy ist ein fester, körperlicher Gegenstand. C war Alleineigentümerin des Handys. Ein Handy kann auch fortbewegt werden (Subsumtionen). Somit war das Handy für A eine fremde, bewegliche Sache (Ergebnis).“
Im Öffentlichen Recht:
„Es könnte eine Anfechtungsklage nach §42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft sein (Obersatz). Eine Anfechtungsklage ist statthaft, wenn der Kläger die Aufhebung eines ihn belastenden Verwaltungsaktes begehrt (nächster Obersatz / Tatbestandsvoraussetzungen). Ein Verwaltungsakt ist gemäß §35 S. 1 VwVfG jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Der Kläger ist belastet, wenn der Verwaltungsakt in den Rechtskreis des Klägers eingreift (Definitionen, hier könnte man noch jedes Merkmal des Verwaltungsaktes definieren, falls es problematisch wäre). Das Verbot der Gemeinde gegenüber A, sein Plakat an den Zaun zu hängen, erging in Form eines Bescheides (Subsumtion). Dieser stellt immer einen Verwaltungsakt dar. Ein Verbot greift auch nachteilig in den Rechtskreis des Klägers ein. Somit ist die Anfechtungsklage statthafte Klageart gegen den belastenden Verwaltungsakt (Ergebnis).“
JurCase informiert:
Dieser Beitrag mag sich zwar auf das Jurastudium beschränken, wer jedoch der Ansicht ist, dass der Gutachtenstil im Referendariat keine Rolle mehr spielt, der irrt gewaltig. Denn in einigen Klausuren wird anstelle des Urteilsstils der Gutachtenstil verlangt. Dies etwa vor allem dann, wenn aus anwaltlicher oder behördlicher Sicht etwas geprüft werden soll. Ist eine Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft zu entwerfen, so geht dem stets auch ein Gutachten voran.
Fazit
Du darfst nie vergessen – wer A sagt muss auch B sagen. Es gibt am Anfang der Klausur meistens einen Obersatz für den Anspruch, wie zum Beispiel: „A könnte einen Anspruch auf Zahlung von 3000 € gegen B aus dem Kaufvertrag über den PKW gemäß §433 Abs. 2 BGB haben.“
Darunter kam nun ein neuer Obersatz, das heißt, der erste Obersatz muss irgendwann sein Ergebnis finden! Dies kann aber am Ende der Klausur stehen, wie zum Beispiel: „Somit liegen alle Voraussetzungen des §433 Abs. 2 BGB vor. A hat damit einen Anspruch gegen B auf Zahlung der 3000 € für den PKW aus Kaufvertrag.“ Der Gutachtenstil kann also verschachtelt werden, läuft aber immer nach demselben Schema ab: Obersatz – Definition – Subsumtion – Ergebnis.