Mein erster Sitzungstag als Referendar im Zivilprozess
Ein Rechtsreferendar wird in jeder Station einem Einzelausbilder zugewiesen, der uns mit Akten zur Bearbeitung versorgt und in Sitzungen mitnimmt, in denen wir gegebenenfalls auch einmal die Beweisaufnahme leiten darf. Bedauerlicherweise hat meine Einzelausbilderin lediglich eine Viertel-Stelle als Zivilrichterin und eine Dreiviertel-Stelle als Strafrichterin. Deshalb sind mündliche Verhandlungen, insbesondere mit Beweisaufnahme, für mich eher rar gesät. Da sie zeitgleich mit dem Beginn der Einzelausbildung für drei Wochen im Urlaub war, musste ich letztlich knapp zwei Monate auf meine erste Sitzung warten. Glücklicherweise handelte es sich bereits bei der ersten Sitzung von zweien an dem Tag um eine mit Beweisaufnahme. Welche Erwartungen ich hieran geknüpft habe, wie meine Vorbereitung diesbezüglich ausgeschaut hat und wie die Sitzung tatsächlich ablief, erfahrt Ihr hier:
Meine Vorbereitung auf die erste Beweisaufnahme
Zu Beginn des Referendariats munkelten viele, seien es die AG-Leiter oder auch die Einzelausbilder, dass im Rahmen der Beweisaufnahme das größte Problem die Protokollierung sei. Ich wollte deshalb den dreiwöchigen Urlaub meiner Einzelausbilderin dazu nutzen, mir eine Art Skript zu erstellen, damit ich genau weiß, welche Punkte wann und wie zu protokollieren sind und welche nicht. Der Vollständigkeit halber habe ich dieses Skript auch nicht nur auf die Beweisaufnahme beschränkt, sondern die gesamte Sitzung einbezogen. Die Punkte, die zu protokollieren sind, habe ich mit Formulierungsvorschlägen in fett geschrieben, alles andere in normaler Schriftgröße. Dieses Skript umfasst deshalb insbesondere die folgenden Punkte:
- Datum, gegenwärtige(r) Richter, Rechtsstreit wer gegen wen
- Präsenzfeststellung
- Belehrung der Zeugen
- Güteverhandlung
- Antragsstellung
- Vernehmung der Zeugen
Dieses Skript brachte ich zusammen mit meinen ersten beiden Arbeitsaufträgen meiner Einzelrichterin mit, die sichtlich erstaunt über meinen Arbeitseifer war. Doch leider folgte eine herbe Enttäuschung: Die beiden Sitzungen sind inhaltlich so komplex, dass eine Beweisaufnahme für mich nicht in Betracht kommt. Zur Vorbereitung sollte ich deshalb lediglich die beiden – tatsächlich sehr umfangreichen – Akten lesen und den beiden Sitzungen sodann lediglich beiwohnen und dergestalt Praxiserfahrung sammeln.
Mein erster Sitzungstag: Der Zuschauer der wollte, aber nicht durfte
Mein erster Sitzungstag startete um 8:50 Uhr im Büro meiner Einzelausbilderin. Zusammen sind wir in den Sitzungssaal. Dort warteten auf uns bereits die Parteivertreter sowie auch die Klägerin in Person und ihr Ehemann, der als Zeuge vernommen werden sollte.
Nachdem die Sitzung eröffnet wurde, erfolgte eine informatorische Befragung i.S.d. § 141 ZPO der Klägerin. Sie klagte unter anderem auf Schmerzensgeld und Haushaltsführungsschaden wegen eines Verkehrsunfalls, wobei mittlerweile nur noch der Umfang des Haushaltsführungsschadens strittig war. Die Richterin befragte sie deshalb entsprechend zu dem Umfang ihrer Haushaltstätigkeiten sowie der ihres Mannes. Im Anschluss dessen erfolgte schließlich die Beweisaufnahme, bei der die Richterin dem Ehemann der Klägerin als Zeugen mehr oder weniger die gleichen Fragen stellte.
Sicherlich war es doch sehr spannend, dieser Sitzung mit all ihren Aspekten beizuwohnen. Klar ist auch, dass dieser Sachverhalt durchaus sehr komplex ist, die Aussage des Zeugen daher eine besondere Bedeutsamkeit erhält. Dennoch hätte ich gerne selbst diese Beweisaufnahme geführt…
Nach ca. einer Stunde war die Sitzung bereits vorbei. Meine Einzelausbilderin und ich unterhielten uns bei einem Kaffee über die Verhandlung, bevor es am Nachmittag in die zweite Sitzung ging. Diese war allerdings eher unspannend, da sich die Parteivertreter bloß über eine mögliche gütliche Einigung unterhielten, eine Beweisaufnahme also gerade nicht stattfand. Nach weniger als einer halben Stunde war auch diese Sitzung vorbei und damit auch mein erster Sitzungstag.
Fazit: Eine Einschätzung, ob ich die Beweisaufnahme doch hätte selbst leiten können
Wenn ich gefragt werde, ob ich der Meinung bin, dass es angebracht war, dass ich die Beweisaufnahme aufgrund Komplexität des Sachverhalts nicht selbst leiten durfte, so kann ich dies nur bedingt bejahen. Richtig ist sicherlich, dass die Zeugenaussage in diesem Rechtsstreit eine besondere Geltung erlangt. Es ist meiner Einschätzung nach somit richtig, dass ein Anfänger in der Regel die Fragen zur Ermittlung des Haushaltsführungsschadens nicht aus dem Stand heraus hätte stellen können. Meines Erachtens nach hätte eine entsprechende Vorbereitung der Beweisaufnahme jedoch keinen Abbruch getan. So hätte der Referendar anhand der Akte bereits Fragen vorformulieren können und sich mit Blick auf die zunächst stattgefundene informatorische Befragung auch insoweit orientieren können. Schließlich ist der Richter bei der Beweisaufnahme durch einen Referendar auch stets anwesend, sodass sie vergessene Fragen oder ungeahnte Folgefragen ebenso hätte stellen können. Im Falle von Schwierigkeiten bei der Protokollierung hätte sie die Protokollführung übernehmen und den Referendar zu Übungszwecken dennoch die Fragen stellen lassen können. Dies hätte ich mir zumindest sehr gewünscht, zumal meine nächste Sitzung mit Beweisaufnahme erst in einem Monat stattfinden wird und ich meine Zivilrechtsstation zu diesem Zeitpunkt dann bereits zu drei Viertel absolviert haben werde.
– Sebastian Klingenberg, Referendar und Doktorand aus Hessen
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