Diese aktuelle Rechtsprechung im Öffentlichen Recht aus den Jahren 2020 und 2021 solltest du für dein Staatsexamen kennen!
Hiermit möchten wir dir die aktuell wichtigste Rechtsprechung, die Top 10 Beschlüsse im Öffentlichen Recht aus den Jahren 2020 und 2021 zur Vorbereitung auf dein schriftliches Examen und / oder deine mündliche Prüfung vorstellen [Stand: Mai 2021]:
Nr. 1 – BVerfG 2 BvR 1333/17 – Beschluss vom 14.01.2020
Der Bundesverfassungsgerichtshof beschäftigt sich mit der Frage, ob Rechtsreferendare während bestimmter Ausbildungsabschnitte ihre religiöse Bekenntnis nach außen sichtbar zeigen dürfen, im konkreten Fall mittels Tragen eines Kopftuches. Die Untersagung greift der Entscheidung zufolge in die durch Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG garantierte individuelle Glaubensfreiheit ein. Zur Rechtfertigung dieses Eingriffes werden der Grundsatz der weltanschaulichen Neutralität des Staates, die Funktionalität der Rechtspflege sowie mögliche Kollisionen mit der negativen Religionsfreiheit Dritter abgewogen, diese Abwägungsgüter überwiegen letztlich.
JurCase informiert:
Der Schutzbereich des Art. 4 GG umfasst sowohl religiöse Anschauungen, die das Wesen der Welt durch die Vorstellung eines Gottes und einen Bezug zum Jenseits erklären, als auch Weltanschauung, die die Stellung des Menschen in der Welt antireligiös oder atheistisch erklären. Weiter umfasst der Schutzbereich sowohl die Bildung einer solchen Überzeugung (forum internum), als auch die Ausübung der Anschauung (forum externum). Allerdings garantiert Art. 4 Abs. 1 und 2 GG neben der positiven Glaubensfreiheit auch negativ, gerade keiner der Weltanschauungen zu verfolgen und auszuleben.
Nr. 2 – BVerfG 2 BvE 2/19 – Beschluss vom 09.06.2020
Im Rahmen eines Organstreitverfahrens rügt ein Abgeordneter des Bundestags eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 38 Abs. 1 GG. Während eines Staatsbesuchs eines ausländischen Staatsoberhauptes betrat die Polizei des Deutschen Bundestags die Räume des Abgeordneten, mit dem Zweck, die im Fenster befestigten Plakate zu entfernen. Bei den Maßnahmen der Polizei handelt es sich um einen Eingriff in die Rechte des Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 2 GG. Bei Vorliegen einer Gefahr kann die Polizei Maßnahmen ergreifen, die am Verhältnismäßigkeitsgebot abgewogen werden müssen. Hier mangelt es insbesondere an der Erforderlichkeit der Maßnahmen, es hätten mildere Mittel ergriffen werden müssen.
JurCase informiert:
Die Polizei beim Deutschen Bundestag übt für den Präsidenten des Deutschen Bundestags gemäß Art. 40 Abs. 2 GG die Polizeigewalt in den Gebäuden und auf dem Gelände des Bundestags aus. Vorliegend wurde die Frage behandelt, ob die Streitigkeit verfassungsrechtlich oder verwaltungsrechtlicher Natur ist, die Maßnahmen der Polizei mithin auf verwaltungsrechtliche Normen gestützt werden muss. Dem Bundesverfassungsgerichtshof zufolge handelt es sich um eine Streitigkeit zwischen zwei Verfassungsorganen, da der Bundestagspräsident die Ausübung einer verfassungsrechtlichen Befugnis gemäß Art. 40 Abs. 2 Satz 1 Variante 2 GG in Verbindung § 1 Abs. 1 Satz 1 bis 3 DA-PVD auf die Polizei beim Deutschen Bundestag überträgt.
Nr. 3 – BVerfG 1 BvR 828/20 – Beschluss vom 15.04.2020
Die Verfassungsbeschwerde in diesem Fall wird gegen ein Urteil erhoben, welches die Untersagung einer angemeldeten Demonstration anlässlich der §§ 28 ff. IfSG bestätigte. Der Beschwerdeführer macht sein Interesse mittels Eilantrag geltend. Die geltende Rechtsverordnung, auf welcher die Verbotsverfügung gestützt wird, ist hier dem Bundesverfassungsgericht zufolge nicht mit Art. 8 GG vereinbar.
JurCase informiert:
Vor dem Bundesverfassungsgericht kann gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt werden. Das Bundesverfassungsgericht kann im Streitfall durch einstweilige Anordnung vorläufig entscheiden, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, Abwendung konkret drohender Gewalt oder aus anderem wichtigen Grund dringend erforderlich ist. Neben Fragen zur Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG im Kontext der Covid-19 Pandemie sind also Fragen zur Zulässigkeit eines Eilantrages vor dem Bundesverfassungsgericht zu erwarten.
Nr. 4 – BVerwG – 6 B 1.20 – Beschluss vom 05.03.2020
Vorliegend löst die Polizei eine Versammlung auf. In unmittelbarer Nähe finden angemeldete, politisch gegenseitig motivierte Versammlungen statt. Da bei einem unbeeinflussten Fortgang der Versammlung mit einem Aufeinandertreffen der Gruppierungen inklusive gewalttätigen Angriffen zu rechnen ist, wird die Versammlung aufgelöst. Im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung kommt eine Auflösung der Versammlung nur zur Abwendung von Gefahren für elementare Rechtsgüter in Betracht, die Möglichkeit der Auflagenerteilung muss als milderes Mittel ausgeschöpft sein. Weiter müssen polizeiliche Maßnahmen primär gegen die Störer gerichtet werden. Hier lag allerdings ein sogenannter polizeilicher Notstand vor, die Polizei hätte die Gefahr nicht anders abwenden können. Die Auflösung ist dem zufolge rechtmäßig.
JurCase informiert:
In Betracht kommt hier die Prüfung der allgemeinen Klauseln aus den jeweiligen Polizeigesetzen. Diese reichen jedoch aufgrund der verfassungsrechtlichen Wertung der Versammlung gemäß Art. 8 Abs. 1 GG nicht für eine Einschränkung aus. Es muss hier stets auf die Klauseln des VersammlG zurückgegriffen werden, insbesondere §§ 15 ff. VersammlG. Eine Prüfung der Generalklausel wäre hier also als Fehler zu bewerten.
Nr. 5 – BVerwG 6 B 48.20 – Beschluss vom 08.01.2021
Das Bundesverwaltungsgericht befasst sich mit der Frage, ob eine Demonstration auf dem Gelände eines Volksfestes generell zulässig ist und bewertet, inwieweit es sich bei der örtlichen Kirmes um ein Volksfest im Sinne des § 17 VersammlG handelt. Der Betreiber einer Ponyreitbahn klagt, da es auf dem Gelände der Kirmes zu Demonstrationen für die artgerechte Haltung von Ponys gekommen ist. Es wird klargestellt, dass ein Volksfest grundsätzlich nicht den Schutz einer Versammlung im Sinne des VersammlG genießt. Somit kann hier auch über Polizeiklauseln rechtmäßig eingegriffen werden.
JurCase informiert:
Diese Fallkonstellation kann in der Prüfung neben Fragen zu Art. 8 GG oder dem VersammlG auch mit weiteren Teilrechtsgebieten wie zum Beispiel Kommunalrecht, Fragen zur straßenrechtlichen Sondernutzung oder prozessualen Fragen kombiniert werden. Vorliegend beschäftigte sich das Gericht insbesondere auch mit der Frage, ob im Rahmen einer Genehmigung das Ermessen auf null reduziert ist. Eine Ermessensreduktion auf null bezeichnet den Fall, dass der vom Gesetzgeber eingeräumte Entscheidungsspielraum der Verwaltung aufgrund der vorliegenden Umstände soweit reduziert ist, dass nur noch eine richtige Entscheidung getroffen werden kann.
Nr. 6 – BVerwG 6 C 26.19 – Beschluss vom 22.01.2021
In diesem Urteil geht es um allgemeine Fragen zur Gestalt und Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes, § 35 VwVfG. Fraglich ist, wann und inwieweit ein unzulässig bekannt gegebener Verwaltungsakt in Gestalt einer Allgemeinverfügung wirksam wird. Hier steht es einer Bekanntgabe gleich, dass der Betroffene Kenntnis über den vollständigen Inhalt des Verwaltungsaktes erlangt hat, nachdem die Behörde ihren Regelungswillen durch eine fehlgeschlagene Bekanntgabe dokumentiert hat. Allerdings ist der Verwaltungsakt letztlich nichtig, wenn Adressaten aufgrund von Widersprüchen, gedanklichen Brüchen oder sonstigen Ungereimtheiten nicht erkennen können, was von ihnen verlangt wird.
JurCase informiert:
Ein Verwaltungsakt § 35 Abs. 1 S. 1 VwVfG ist eine hoheitliche Maßnahme auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zur Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbarer Außenwirkung. Der Verwaltungsakt kann jedoch auch eine generelle Regelung und somit als Allgemeinverfügung gemäß § 35 Abs. 1 S. 2 Var. 1 – 3 VwVfG wirksam sein. So stellen Straßenschilder beispielsweise nach herrschender Meinung eine Allgemeinverfügung über die Benutzung der öffentlichen Sache „Straße“ gemäß § 35 Abs. 1 S. 2 Var. 3 VwVfG dar. Wirksam wird der Verwaltungsakt grundsätzlich durch Bekanntgabe, § 41 Abs. 1 S. 1 VwVfG. Für Allgemeinverfügungen ist das Wirksamwerden in §§ 41 Abs. 3 und Abs. 4 VwVfG geregelt. Wichtig ist auch, dass der Verwaltungsakt nur bei schweren Bekanntgabefehlern gemäß §§ 41 Abs. 1 und 2 VwVfG nichtig ist.
Nr. 7 – BVerwG 2 C 4.19 – Beschluss vom 03.02.2021
Hier wird die Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG behandelt. Eine Universitätsprofessorin verliert nach einer groß angelegten Umstrukturierung ihre leitende Position und machte daraufhin eine Verletzung in ihrer Wissenschaftsfreiheit geltend. Neben Fragen der Zuständigkeit stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG nur einen angemessenen Tätigkeitsbereich garantiert, ein Anspruch auf eine leitende Position kann allerdings nicht begründet werden.
JurCase informiert:
Der Art. 5 GG enthält zahlreiche Grundrechte, die in der Prüfung abgefragt werden können. Art. 5 Abs. 1 GG garantiert Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit sowie Freiheit für Rundfunk und Film, Art. 5 Abs. 3 garantiert weiter Kunst- und Wissenschaftsfreiheit.
Nr. 8 – BVerwG 1 B 4.20 – Beschluss vom 28.01.2021
Das Bundesverwaltungsgericht klärt die Frage, ob eine Abschiebung nach § 60 Abs. 5 AufenthG eines Erkrankten eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen kann. Eine Abschiebung nach den Normen des AufenthG wird als neutrale Behandlung eingestuft, welche aber durch ergänzende Faktoren die Intensität einer unmenschlichen Behandlung erreichen kann. Während das Recht auf rechtliches Gehör gemäß § 103 Abs. 1 GG angerissen wird, fehlt es hier an bestimmten Voraussetzungen, um einen Verstoß gegen die aufgezeigten Rechte zu bejahen.
JurCase informiert:
Der in Art. 3 EMRK garantierte Schutzbereich wird in der Prüfung grundsätzlich in drei Stufen geteilt, welche in der Intensität ansteigen. Die zu prüfenden Stufen sind erniedrigende Behandlung oder Strafe, unmenschliche Behandlung und letztlich die Folter. Um die mittlere Intensität der unmenschlichen Behandlung zu erreichen, bedarf es der vorsätzlichen oder beständigen Verursachung körperlicher Verletzungen, physischen oder psychischen Leids. Wichtig ist auch, dass die Artikel der EMRK gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG in Deutschland als einfaches Gesetz gelten. Sie werden jedoch für Inhalt und Reichweite der Grundrechte im Rahmen der europarechtskonformen Auslegung als Auslegungshilfen genutzt.
Nr. 9 – OVG Rheinland-Pfalz 8 C 11816/19 – Beschluss vom 16.12.2020
In dem gestellten Normenkontrollantrag gemäß § 47 Abs. 1 VwGO soll gegen den Bebauungsplan vorgegangen werden, da dieser dem Antragssteller zufolge Abwägungsfehler aufweist. Ein Verstoß gegen das Abwägungsgebot ist hier letztlich nicht ersichtlich. Neben weiteren Fragestellungen zu den in §§ 1 ff. BauNVO beschriebenen Baugebieten wird auch auf das Merkmal des „Einfügens“ im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB und die damit verbundene beliebte Problematik des Drittschutzes im Baurecht eingegangen.
JurCase informiert:
Die Prüfung eines Bebauungsplanes als Satzung kann in einer baurechtlichen Prüfung abgefragt werden. Probleme hierbei liegen häufig im Abwägungsgebot. Ein Fehler kann als Abwägungsausfall, Abwägungsdefizit, Abwägungsfehlgebrauch und Abwägungsdisproportionalität auftreten, wobei die Abwägungsdisproportionalität nach herrschender Meinung der einzige materielle Fehler ist. Da die Gemeinde die Satzung zu erlassen hat, bieten sich auch kommunalrechtliche Fragen an. Beispielsweise kann ein Mitglied des Gemeinderats bei Abstimmung über die Satzung befangen oder der Gemeinderat nicht beschlussfähig sein.
Nr. 10 – BVerwG 3 C 1.19 – Beschluss vom 18.06.2020
Vorliegender Rechtsstreit behandelt die jagdrechtliche Befriedung eines Grundstücks, welches zu einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehört. Die Befriedung erfolgt aus ethischen Gründen. Die Thematik wurde vom Gesetzgeber durch den § 6a BJagdG neu geregelt, was die Befriedung aus ethischen Gründen hier überhaupt erst möglich macht. Es geht hier insbesondere um Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 GG sowie Art. 14 Abs. 1 GG. Das Bundesverwaltungsgericht macht hier Ausführung zur Systematik des BJagdG und dem von § 6a BJagdG eingeräumten Ermessen. Letztendlich muss die beanstandete Fläche unverzüglich zu befriedetem Bezirk erklärt werden.
JurCase informiert:
Der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG ist hier eröffnet, auch das weltliche Verständnis und die Beziehung zu Tieren fallen demnach darunter. Art. 14 Abs. 1 GG hingegen schützt das Eigentum als Ganzes. Eigentum in dem Sinne ist die Summe aller geldwerten Güter, die dem Einzelnen durch die Rechtsordnung zugewiesen sind und die diesem eine private Nutzungsbefugnis einräumen. Im Gegensatz zu Art. 13 GG, welcher den Erwerb schützt, schützt Art. 14 Abs. 1 GG also das bereits Erworbene. Diese Konstellation kann auch Fragen zur Staatshaftung aufwerfen. Entscheidend dafür ist, ob der Eingriff in Rechtspositionen aus Art. 14 Abs. 1 GG rechtswidrig ist.