Eine konfliktreiche und auch examensrelevante Kombination
Im Zusammenspiel von Staat und Religion kommt es oft zu Konflikten. Im Grundgesetz wird die Glaubensfreiheit in Art. 4 Abs.1, Abs. 2 GG normiert.
Der Schutzbereich wird laut dem Bundesverfassungsgericht [BVerfG] aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG als einheitliches Grundrecht gewährleistet. Dabei hat der einzelne die Freiheit, seinen Glauben oder seine Weltanschauung zu bilden, zu haben, zu äußern und entsprechend zu handeln. Dies sorgt natürlich häufiger für Streitigkeiten, weshalb dieses Thema besonders examensrelevant ist, und zwar sowohl für das Erste als auch das Zweite Staatsexmanen.
Die Glaubensfreiheit
Der Glaubensbegriff ist stark vom subjektiven Vorstellungsbild des Einzelnen geprägt. Gerade auch auf Grund der Trennung von Staat und Religion darf die öffentliche Gewalt den Glauben nicht anhand von objektiven Kriterien definieren. Trotzdem muss im Sinne der Rechtssicherheit eine Eingrenzung des Glaubensbegriffes möglich sein. Hierbei wird als objektives Element ein transzendentaler Bezug gefordert, kombiniert mit einem subjektiven Element in der Individualität des Glaubens und des Bekenntnisses. Dabei sind sowohl religiöse Anschauungen umfasst, die das Wesen der Welt vor allem durch eine Gottesvorstellung und einen Jenseitsbezug erklären, als auch Weltanschauungen, die die Stellung des Menschen in der Welt antireligiös erklären.
JurCase informiert:
Als Begrenzung hat das Bundesverfassungsgericht ein Verhalten gefordert, dass seinem geistigen Gehalt und seinem äußeren Erscheinungsbild nach eine religiös motivierte Handlung darstellen muss (BVerfGE 83, 341). Damit sind Aktivitäten ausgenommen, die rein wirtschaftlich motiviert sind.
Von der Glaubensfreiheit umfasst werden das Recht sich einen Glauben / eine Weltanschauung zu bilden und inne zu haben (forum internum) und das Recht, diesen Glauben / diese Weltanschauung auszurichten und danach zu handeln (forum externum). Geschützt werden zum Beispiel Beten, Gottesdienste, Prozessionen, Glockenläuten oder das Tragen religiös motivierter Kleidung.
Vom Schutzbereich umfasst wird auch die negative Glaubensfreiheit. Danach hat man die Freiheit, keinen Glauben zu haben und daher aus einer Glaubensgemeinschaft auszutreten.
Von Art. 4 GG geschützt wird die individuelle Glaubensfreiheit des Einzelnen, die kollektive Glaubensfreiheit von Gruppen und die korporative Glaubensfreiheit von juristischen Personen.
Eingriffe in die Glaubensfreiheit
Ein Eingriff in die Glaubensfreiheit findet statt, wenn eine staatliche Maßnahme Tätigkeiten des Schutzbereiches regelt oder nicht nur unwesentlich behindert. Das kann zum Beispiel das Verbot einer religiösen Vereinigung nach Art. 9 Abs. 2 GG zum Schutz der freiheitlich demokratischen Ordnung sein oder die Pflicht, in allen Klassenzimmern ein Kruzifix aufzuhängen bis zum Verbot des Tragens eines Kopftuches für Lehrerinnen, Richterinnen oder Erzieherinnen.
Ein solcher Eingriff kann verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Einer Ansicht nach ist ein Gesetzesvorbehalt aus Art. 135 Abs. 1 WRV [Weimarer Reichsverfassung] herzuleiten, der auf Grund von Art. 140 GG vollgültiger Bestandteil des Grundgesetzes ist. Andererseits ist im Wortlaut des Art. 4 GG eben kein Gesetzesvorbehalt enthalten und Art. 136 Abs. 3 S. 2 WRV nennt auch nur einen Gesetzesvorbehalt für bestimmte Konstellationen. Nach h. M. ist Art. 4 GG also als schrankenloses Grundrecht anzusehen und es ist nur gegenläufiges Verfassungsgut zu berücksichtigen. Dies ist meistens ein gegenlaufendes Grundrecht.
Trotzdem bedürfen Eingriffe natürlich einer formell-gesetzlichen Grundlage. Nur kollidierendes Verfassungsrecht, wie zum Beispiel Grundrechte Dritter, kann aber den Eingriff rechtfertigen. Oft kommt hier Art. 7 Abs. 1 GG in Betracht, der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag. Dies wird relevant beim koedukativen Schwimmunterricht oder Religionsunterricht (BVerwGE 147, 362). Für spezielle Bereiche existieren geschriebene Gesetzesvorbehalte in Art. 136 ff. WRV in Verbindung mit Art. 140 GG, zum Beispiel das Bundesimmissionsschutzgesetz für liturgisches Läuten von Kirchenglocken.
Bei der Rechtfertigung ist immer die praktische Konkordanz zu beachten, das heißt die widerstreitenden Grundrechte müssen in Einklang gebracht werden.
Staat und Religion: Religiöse Symbole in Schulen
Wenn es um das Kopftuch geht, sind verschiedene Positionen vertreten worden:
Ein allgemeines Untersagen des Tragens eines Kopftuches stellt nach dem BVerfG einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG dar, denn die Betroffene halte nach ihrem Glaubensverständnis das religiöse Bedeckungsgebot in der Öffentlichkeit für unverzichtbar.
Im Bereich von Schulen und Kindergärten ist auch das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG iVm. Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG anzuwenden, woraus die Eltern das Recht zur Kindeserziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht haben, das garantiere aber nicht, von Konfrontation mit anderen religiösen Ansichten verschont zu bleiben.
Am schwersten ist das Neutralitätsgebot des Staates zu gewichten, Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 S. 1, Art. 33 Abs. 3 GG, Art. 136 Abs. 1, Abs. 4, Art. 137 Abs. 1 WRV iVm. Art. 140 GG, nachdem der Staat eine weltanschaulich-religiöse Neutralität zu wahren hat. Dabei ist insbesondere die Identifikation mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft ausgeschlossen.
Das BVerfG sieht das Verbot des Tragens von Kopftüchern in Kindertagesstätten als Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG. Die persönliche Religionsausübung gehe vor die staatliche Neutralität. Allerdings kann es eine einfachgesetzliche Regelung des Bundeslandes zum Verbot eines Tragens des Kopftuches geben, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr der Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität besteht, um ein Verbot zu rechtfertigen.
Das BVerfG hält ein völliges Zurücktreten der negativen Glaubensfreiheit durch das Verbleiben eines Kreuzes im Klassenzimmer für mit dem Gebot der praktischen Konkordanz unvereinbar (BVerfGE 93, 1 „Kruzifix“). Wird das Kreuz entfernt, kommt die positive Glaubensfreiheit der christlichen Schüler nicht zum Zuge. Art. 4 GG dient jedoch besonders dem Minderheitenschutz und bedingt keine uneingeschränkte Betätigung von Glaubensüberzeugungen in staatlichen Institutionen. Weder die negative noch die positive Glaubensfreiheit dürften pauschal überwiegen. Die Mehrheit des BVerfG sieht wohl die Neutralität der Schule als überwiegend an.
Staat und Religion: Das Kopftuch im Gericht
Anders sah es das BVerfG beim Tragen eines Kopftuches einer Rechtsreferendarin (2 BvR 1333/14 v. 14.01.2020). Hier überwiege die staatliche Neutralitätspflicht der Religionsfreiheit. Im Bereich der Justiz übe die Staatsbedienstete im äußeren Gepräge ihrer Amtshandlungen besonderen Einfluss aus. Zu berücksichtigen sei auch die negative Glaubensfreiheit der Verfahrensbeteiligten. Die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege stehe höher. Anders als in der Schule trete der Staat dem Bürger in der Justiz klassisch-hoheitlich gegenüber. Das religiöse Symbol ist an sich nicht geeignet, Zweifel an der Objektivität der Richterin zu begründen, jedoch kann ein Verbot einfachgesetzlich erlassen werden. Das Kreuz an einer Kette um den Hals sei laut BVerfG allerdings nicht so auffällig wie ein Kopftuch und damit unproblematisch.
Fazit
Die Religionsfreiheit ist ein sehr wichtiges Grundrecht, wobei jedoch immer auf die Trennung von Staat und Religion geachtet werden muss. Je offizieller eine Position im Staatsdienst wird, desto eher muss auf die staatliche Neutralitätspflicht geachtet werden. Gerichtlich werden kleinere, unauffällige religiöse Symbole als weniger indoktrinierend gesehen als andere.