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Rechtsprechung des Monats Dezember 2023: Postpendenz und Revision

By 4. Dezember 2023No Comments
Rechtsprechung des Monats

BGH, Beschl. v. 28.02.2023 – 2 StR 377/22, BeckRS 2023, 9109

Schwerpunkt: §§ 260 a, 244 a StGB; §§ 261, 267, 337 StPO

In Kooperation mit Alpmann Schmidt präsentieren wir die Rechtsprechung des Monats. Hierbei handelt es sich um eine examensrelevante Rechtsprechung, die dir von einem Praktiker vorgestellt wird.

Leitsatz

Steht ein Sachverhalt fest, der die Verurteilung wegen einer auf den Diebstahl folgenden „Nachtat“ (hier: gewerbsmäßige Bandenhehlerei) in jedem Fall rechtfertigt, und ist lediglich ungewiss, ob der Angeklagte (auch) an der jeweiligen Vortat beteiligt war, geht eine Verurteilung auf eindeutiger Grundlage im Wege der Postpendenz unter Anwendung des Zweifelssatzes einer gesetzesalternativen Wahlfeststellung vor.

Fall

Dem A wird mit der Anklageschrift der StA zur Last gelegt, sich gewerbsmäßig als Mitglied einer Bande alternativ an den Diebstählen der entwendeten Gegenstände beteiligt oder diese anschließend weiterverkauft zu haben. Nach Durchführung der Beweisaufnahme kann das LG eine durch A begangene Hehlerei in Form der Absatzhilfe sicher feststellen. Seine Beteiligung an den Diebstählen kann es hingegen nicht feststellen, eine solche allerdings auch nicht ausschließen. Sollte er beteiligt gewesen sein, hätte er jedoch nicht als Alleintäter gehandelt, sondern lediglich im Zusammenwirken mit anderen Tatbeteiligten als Mittäter oder Gehilfe. Das LG verurteilt A unter Freispruch im Übrigen wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei oder schweren Bandendiebstahls in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe.

Hat die hiergegen zulässig eingelegte Revision des A mit der Sachrüge Aussicht auf Erfolg?

Begriffsbestimmungen

Postpendenz: Fälle der „einseitigen“ Sachverhaltsungewissheit, in denen dem Angeklagten ein Folgegeschehen sicher nachweisbar ist, das die Voraussetzungen einer Anschlusstat, wie etwa der Hehlerei, erfüllt. Rechtlich ist die Strafbarkeit der Anschlusstat jedoch von einem nur möglicherweise gegebenen Vortatgeschehen abhängig (vgl. AS-Skript Strafrecht AT 2 [2021], Rn. 487 ff.).

Dagegen bedeutet eine ungleichartige (gesetzesalternative) Wahlfeststellung eine doppelte Ungewissheit im Tatsächlichen: Der Angeklagte kann zwei verschiedene Tatbestände erfüllt haben, die nicht in einem Stufenverhältnis zueinander stehen, aber rechtsethisch und psychologisch miteinander vergleichbar sind. Beispiel: Entweder hat A den in seinem Besitz befindlichen Schmuck gestohlen oder er wusste, dass dieser aus einem Diebstahl stammt. Hier erfolgt eine Verurteilung auf wahldeutiger Grundlage wegen Diebstahls oder wegen Hehlerei (vgl. AS-Skript Strafrecht AT 2 [2021], Rn. 492 ff.; BVerfG RÜ 2019, 638). Eine gleichartige Wahlfeststellung liegt vor, wenn der Sachverhalt nicht eindeutig festgestellt werden kann, gleichzeitig aber die Strafbarkeit des Angeklagten aus jeweils demselben Straftatbestand in jeder denkbaren Sachverhaltsalternative feststeht. Auch diese ist zulässig (vgl. BVerfG, -Beschl. v. 09.08.2023 – 2 BvR 1373/20, BeckRS 2023, 21234).

Gutachten

I.
Die Revision ist begründet, wenn das angefochtene Urteil auf einer Gesetzesverletzung beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Das LG hat rechtsfehlerhaft eine ungleichartige Wahlfeststellung zwischen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei und schwerem Bandendiebstahl angenommen. Eine Beteiligung des A an den Diebstählen konnte nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Ausgeschlossen werden konnte sie allerdings auch nicht, sondern lediglich, dass er als Alleintäter gehandelt hat. „[5] … Damit steht die mögliche Beteiligung des [A] an den Vortaten einer – eindeutigen – Verurteilung wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei aber nicht entgegen. Denn [A] hat in jedem Fall für die (Mit-)Täter des Diebstahls Absatzhilfe geleistet und damit faktisch alle Tatbestandsmerkmale der Hehlerei erfüllt. Es steht daher ein Sachverhalt fest, der die Verurteilung wegen einer auf den Diebstahl folgenden ‚Nachtat‘ rechtfertigt. Ungewiss ist lediglich, ob der [A] (auch) an den jeweiligen Vortaten beteiligt war. In derartigen Fällen geht eine Verurteilung auf eindeutiger Grundlage im Wege der Postpendenz unter Anwendung des Zweifelssatzes einer gesetzesalternativen Wahlfeststellung vor.

II.
Da A eine Beteiligung an den in der Anklage zur Last gelegten Diebstahlstaten nicht nachgewiesen werden konnte, ist er insoweit freizusprechen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 66. Aufl. 2023, § 260 Rn. 27 a). Der Rechtsfolgenausspruch kann trotz der Änderung des Schuldspruchs bestehen bleiben: Angesichts des identischen Strafrahmens des § 260 a Abs. 1 StGB und des § 244 a Abs. 1 StGB und der rechtsfehlerfreien Verneinung eines minder schweren Falls kann ausgeschlossen werden, dass die Strafe niedriger ausgefallen wäre, wenn das LG den A im Wege der Postpendenzfeststellung (nur) wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei verurteilt hätte.

III. Ergebnis
Auf die Revision des A wird das Urteil des LG lediglich im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der A unter Freispruch im Übrigen der gewerbsmäßigen Bandenhehlerei schuldig ist.

Diese Rechtsprechung wurde für dich von OStA Dr. Jost Schützeberg aufbereitet.

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Beitragsautor:

Alpmann Schmidt

Alpmann Schmidt

Alpmann Schmidt ist ein juristischer Fachverlag, der zudem juristische Lehrgänge und Repetitorien anbietet. In Kooperation mit JurCase präsentiert Alpmann Schmidt bei uns monatlich eine Rechtsprechung des Monats. Mehr Informationen zu Alpmann Schmidt gibt es hier.

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