
#HierZucktDeinPrüfungsamt im Strafrecht in Kooperation mit VRiLG Dr. Nils Godendorff
Moin zusammen,
heute empfehle ich Dir ein Urteil des BGH vom 17.10.2024 (1 StR 285/24).
JurCase informiert:
Das Urteil des 1. Strafsenats vom 17.10.2024 – 1 StR 285/24 findest du kostenfrei hier auf der Seite des Bundesgerichtshofs.
Was ist geschehen?
Das Landgericht hat einen Polizeibeamten wegen Körperverletzung im Amt zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Grund? Er hatte bei der Festnahme eines psychotischen Patienten Faustschläge eingesetzt, die nicht erforderlich und geboten waren. Der Geschädigte verstarb kurz darauf an Herzversagen, wobei die genaue Todesursache nicht festgestellt werden konnte; namentlich litt der Geschädigte auch vorher schon an Herzrasen und Bluthochdruck.
Das Landgericht schloss eine gefährliche Körperverletzung im Amt oder Körperverletzung im Amt mit Todesfolge aus, da keine lebensgefährlichen Verletzungen festgestellt wurden und der Tod nicht eindeutig auf die Schläge zurückgeführt werden konnte.
Was ist genau geschehen?
Der Geschädigte litt unter verschiedenen psychotischen Symptomen, darunter einer paranoiden Schizophrenie. Zudem bestanden bei ihm seit mehreren Jahren eine Hypertonie und eine Sinustachykardie, die – wie auch die auf die Schizophrenie zurückgehenden Angstsymptome – medikamentös behandelt wurden.
Der Geschädigte war wegen eines akuten Schubs in die Psychiatrie verbracht worden. Der behandelnde Psychiater ordnete die Aufnahme in einer geschlossenen Abteilung an. Der Geschädigte verließ zunächst unbemerkt die Psychiatrie, ließ sich aber von dem ihn verfolgenden P. zu einer Polizeiwache begleiten, die er meinte aufsuchen zu müssen. Dort angekommen forderte P. polizeiliche Unterstützung für die Rückführung des Geschädigten wegen Eigengefährdung an. Mit diesem Einsatz wurden die Angeklagten J. und Z., der zwischenzeitlich rechtskräftig freigesprochen ist, beauftragt.
Auf eine leichte Berührung durch Z. drehte sich der Geschädigte um und lief in Richtung Marktplatz davon. Die beiden Polizeibeamten und P. folgten dem Geschädigten mit einem Abstand von einigen Metern in den Innenstadtbereich. Als der Angeklagte J. den Geschädigten von hinten an dessen rechtem Arm ergriff, riss dieser sich mit einem Schwung um die eigene Körperachse nach rechts los und erhob die rechte Faust drohend in dessen Richtung. Während der Angeklagte J. zur Abwehr eines tätlichen Widerstands ein Reizstoffsprühgerät aus dem Holster zog, wandte sich der Geschädigte lautstark sprechend ab und lief weiter. Kurz darauf blieb er abrupt stehen, drehte sich rasch wieder zum Angeklagten J. um, hob erneut den rechten Arm und bewegte die geschlossene Faust drohend in Richtung des Gesichtes des Angeklagten J. . Dieser gab daraufhin zur Abwehr des gegen sein Gesicht gerichteten Faustschlags einen kurzen Sprühstoß des Pfeffersprays in Richtung des Geschädigten ab. Ob das Reizgas diesen traf, konnte nicht festgestellt werden. Der Geschädigte entfernte sich nunmehr schnellen Schrittes in Richtung Marktplatz.
Dort griff der Angeklagte J. dem Geschädigten zum Zwecke der Festhaltung kraftvoll von hinten an den Gesichts- und Halsbereich und versuchte ihn zu Boden zu bringen. Daraufhin drehte sich der Geschädigte abrupt um und versetzte dem Angeklagten in schneller Folge zwei kraftvolle Schläge in den Gesichtsbereich, wodurch dieser eine etwa vier Zentimeter lange Schürfwunde an der linken Wange und eine Hautrötung erlitt. Hierauf ergriff der hinzugetretene Z. den deutlich schwereren Geschädigten mit beiden Händen von hinten im Gesichts- und Halsbereich und brachte diesen zu Boden. Anschließend versuchten beide Polizeibeamte gemeinsam, den sich mit Händen und Füßen der Anhaltung widersetzenden Geschädigten auf dem Boden in Bauchlage zu halten, um diesem Handschließen anzulegen.
Im weiteren Verlauf hockte Z. über dem Rücken des Geschädigten, sein Gewicht von einem Bein auf das andere verlagernd. Der Angeklagte J. versuchte unterdessen, die Beine des mit dem Bauch auf dem Boden liegenden Geschädigten festzuhalten. Während sich dieser lautstark – auch mit dem Ruf „Richter, Richter“ – und unter Einsatz erheblicher Körperkraft gegen seine Fixierung wehrte, begab sich Z. auf die linke Körperseite des Geschädigten und fixierte dessen linken Arm, wobei er nunmehr zeitweise sein rechtes Knie auf den Geschädigten setzte. Der Angeklagte J. kniete sich neben die rechte Seite des Geschädigten auf den Boden und versuchte, dessen rechten Arm zu fixieren, was ihm jedoch wegen der anhaltenden körperlichen Gegenwehr zunächst nicht gelang. Als der Geschädigte seinen Oberkörper aufbäumte und ruckartig den Kopf in Richtung der unbekleideten Arme des Angeklagten J. drehte, versetzte dieser ihm zur Abwehr eines Bissversuchs im Abstand von etwa einer Sekunde zwei Faustschläge in Richtung des Kopfes. Der erste Schlag traf den Geschädigten im Bereich der rechten Gesichtshälfte. Der zweite Schlag, in dessen Ausführung sich der Angeklagte J. bereits befand, als der Geschädigte sein Gesicht nach links zu drehen begann, traf im Bereich der rechten Kopfseite. Anschließend drückte der Angeklagte J. mit seiner rechten Hand den Kopf des Geschädigten auf den Boden, während er mit seiner linken Hand dessen rechtes Handgelenk ergriff. Dem körperlich zunehmend erschöpften Geschädigten gelang es allerdings, sich durch Entziehen seines rechten Armes der Fixierung zu widersetzen, seinen rechten Arm aus dem Haltegriff loszureißen und vor seinen Bauch zu führen, woraufhin ihm der Angeklagte J., etwa zwanzig Sekunden nach den ersten beiden Schlägen, in kurzer Abfolge zwei weitere Faustschläge in Richtung des Kopfes versetzte, die ihn dort nicht näher aufklärbar trafen. Etwa weitere zwanzig Sekunden später gelang es den Angeklagten gemeinsam, den Geschädigten in Bauchlage mit Handschließen auf dem Rücken zu fixieren.
Der Geschädigte erlitt infolge der ihm von dem Angeklagten J. versetzten Schläge, was dieser wusste und wollte, mehrere Quetschungen des Fettgewebes im Bereich der rechten Schädelseite. Die Schläge waren geeignet, schmerzhafte, nicht jedoch lebensgefährliche Verletzungen hervorzurufen. Kurz darauf verstarb der Geschädigte an Herzversagen, wobei weder festgestellt werden konnte, wann ein Herzstillstand eintrat, noch auf welcher Ursache der Tod beruhte.
Die ersten beiden Faustschläge waren gerechtfertigt, da der Angeklagte sich in einer Notwehrlage befand, während die weiteren Schläge nicht erforderlich waren.
Was ist daran examensrelevant?
Das Urteil betont, dass polizeiliche Zwangsmaßnahmen zwar zurückhaltend und im Ergebnis bürgerfreundlich durchgeführt werden müssen. Aber:
„Das zulässige Maß der erforderlichen und gebotenen Verteidigung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB wird vielmehr auch bei Polizeibeamten durch die konkreten Umstände des Einzelfalles bestimmt, insbesondere durch die Art des Angriffs, die Gefährlichkeit des Angreifers und die dem Angegriffenen zur Verfügung stehenden Abwehrmittel (vgl. dazu BGH, Urteile vom 12. Juli 2023 – 1 StR 106/23 Rn. 17 und vom 19. Januar 2019 – 5 StR 466/18 Rn. 15 mwN; Beschlüsse vom 22. November 2022 – 5 StR 464/22 und vom 14. Februar 2017 – 4 StR 565/16 Rn. 10).“
Konkret hob der BGH das Urteil auf, da das Landgericht einen Erlaubnistatbestandsirrtum hätte prüfen müssen.
Denn nach der Einlassung des Angeklagten stellte dieser sich einen Angriff des Geschädigten vor, der im Falle seines Vorliegens die weiteren Faustschläge erfordert hätte. Dem angegriffenen Urteil des Landgerichts ließ sich jedoch weder hinreichend sicher entnehmen, dass das Landgericht dieser Einlassung folgen wollte, noch, dass es insoweit von einer unwahren Schutzbehauptung ausgegangen ist. Infolge fehlender Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten konnte der BGH die Rechtsprüfung nicht selbst durchführen. Im Übrigen konnte er auch die – nur formelhaft begründete – Ablehnung des § 33 StGB nicht nachvollziehen; denn auch dafür hätte es Feststellungen zur inneren Tatseite bedurft.
Was sind die Key Takeaways?
- Keine Abstufung in der Erforderlichkeit und Gebotenheit bei Polizeibeamten, sondern Behandlung wie alle anderen Angegriffenen.
- Bei behauptetem Erlaubnistatbestandsirrtum bedarf es einer klaren Positionierung des Tatgerichts zu der Frage, ob der Einlassung gefolgt oder sie als widerlegt angesehen wird.
Und nicht vergessen: Schreibt Klausuren!
Mit den besten Grüßen aus Hamburg
Nils Godendorff