Mittelständische Kanzlei vs. Großkanzlei
Ein Vergleichsversuch
Wer den Luxus hat, sich dank guter Noten aussuchen zu können, wo er beruflich einsteigen will, hat die Qual der Wahl. Während viele Studenten zu Unizeiten von einer späteren Arbeit in einer Großkanzlei träumen, sind viele ernüchtert, nachdem sie eine ihrer Referendarstationen in einer der ganz großen Wirtschaftskanzleien absolviert haben. In diesem Beitrag möchte ich einen kleinen Vergleich starten, bei dem ich auch auf viele Informationen von meinen AG-Kollegen zugreifen konnte.
Einstiegschancen und Gehalt
Gerade beim Thema Einstieg ist natürlich als erstes zu erwähnen, dass es insbesondere bei Großkanzleien schwerer ist, überhaupt einen Fuß in die Tür zu bekommen. Einen separaten Beitrag dazu findet ihr hier. Nicht immer ist jedoch der Einstieg in eine mittelständische Kanzlei einfacher. Somit wäre es auch nicht korrekt, das Bild zu zeichnen, die mittelständische Kanzlei wäre qualitativ schlechter oder stelle „schlechtere“ Kandidaten ein.
Mittlerweile geht der Trend nämlich immer mehr dahin, dass auch hervorragende Juristen eher den Weg in die mittelständische Kanzlei gehen. Tatsächlich kenne ich selbst frisch gebackene Rechtsanwälte in Großkanzleien, die nicht die vielfach beworbenen „100.000 €“ brutto im Jahr verdienen, sondern deutlich weniger. Natürlich werben daher auch mittelständische Kanzleien genauso für den guten juristischen Nachwuchs und auch hier kann man im Schnitt 50.000 € brutto im Jahr verdienen. Wenn man die Anzahl der Stunden vergleicht, die man mit Kanzleiarbeit verbringt, so kann man durchaus auch zum Schluss kommen, dass man Netto in der Stunde genauso gut in einer mittelständischen Kanzlei verdienen kann, wie in einer Großkanzlei.
Karrierechancen
Was gerade bei mittelständischen Kanzleien einen Pluspunkt darstellt, ist die Möglichkeit schnell kanzleiintern aufzusteigen. Mitunter schneller als in einer Großkanzlei. Denn die Chancen innerhalb von fünf Jahren Partner zu werden ist bei einer mittelständischen Kanzlei durchaus realistischer als in einer Großkanzlei. Dies liegt zum einen an der viel höheren Konkurrenz in großen Kanzleien und zum anderen an den flacheren Hierarchien in einer mittelständischen Kanzlei.
Dagegen kann man jedoch für die Großkanzleien anführen, dass man dort als Partner natürlich direkt vom Umsatz profitiert und so das Vielfache dessen verdienen kann, was in der mittelständischen Kanzlei möglich ist. Zudem bieten die großen Wirtschaftskanzleien sehr häufig exzellente Weiterbildungsmöglichkeiten an.
Mandantenarbeit
Wer gerne viel mit Menschen arbeitet und den direkten Mandantenkontakt sucht, der könnte etwas in der Großkanzlei vermissen. Gerade zu Anfang wird immer erzählt, dass man eher unbeliebtere Arbeiten von den Partnern übertragen und Mandanten eher selten zu Gesicht bekommt. Dafür wird man im Gegenzug wohl mit besonders herausfordernden rechtlichen Problemen, jenseits des juristischen Tellerrands, betraut. Dies ergibt sich jedoch wohl aus der Natur der Sache. Der Mandantenstamm von Großkanzleien bildet sich aus großen internationalen Unternehmen, deren Geschäftsführer bei Millionendeals natürlich lieber den direkten Beratungskontakt mit den Partnern der Kanzleien haben statt mit den neuen Associates.
In den mittelständischen Kanzleien sieht das etwas anders aus. Die Rechtsanwälte dort haben jeweils für sich ihre Spezialgebiete. Von den Neueinsteigern wird in der Regel auch eine frühe Spezialisierung erwartet, da dies die gesamte Kanzleiarbeit (auch umsatztechnisch) erfolgreicher macht. Gerade dieser Umstand macht auch die eigene Arbeit immens wichtig, sodass man nach und nach seinen eigenen Mandantenstamm bildet, der von dieser Expertise profitiert. Der direkte Mandantenkontakt ist hier daher nicht nur üblich, sondern besonders wichtig. Internationale Unternehmen sind hier hingegen eher seltener als Mandanten anzutreffen. Vielmehr betreut man hier rechtliche Belange von Klein- oder mittelständischen Unternehmen oder von Privatpersonen.
Work-Life-Balance
Nach aktuellen Umfragen legen immer mehr Nachwuchsjuristen mehr Wert auf eine gesunde Work-Life-Balance als auf hohe Gehälter. Gerade diesen Punkt bekam ich auch von vielen Kollegen zu hören, die sich nach den Referendarstationen gegen die Großkanzlei entschieden haben. Dort ist die Arbeitsbelastung besonders groß, sodass freie Samstage eher zur Ausnahme gehören dürften. Natürlich macht auch hier jeder seine eigenen Erfahrungen und es kann natürlich auch dem individuellen Ehrgeiz des einzelnen Anwalts geschuldet sein, soviel zu arbeiten.
Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch nicht, dass man in einer mittelständischen Kanzlei wenig arbeiten muss. Im direkten Vergleich punktet jedoch die mittelständische Kanzlei mit dem ausgeglichenerem Arbeitsalltag. Ich hatte während meiner eigenen Anwaltsstation bei einer mittelständischen Kanzlei eher das Gefühl, dass die Anwälte dort etwas machen, was ihnen Spaß macht und das Geld vielmehr „nebenher“ verdienen.
Bezüglich zu wenig Freizeit beklagte sich dort jedenfalls niemand. Ist man der typische Karrieretyp und bereit auf einen Großteil seines Privatlebens zu verzichten, um seine Chancen auf eine Partnerschaft zu vergrößern, dann ist auch das eine individuelle Entscheidung, die jeder für sich selbst treffen muss. Dabei kann es kein richtig und falsch geben.
Fazit
Wie ihr seht, hat sowohl die mittelständische Kanzlei als auch die Großkanzlei ihre Vorzüge. Welche für einen überwiegen, muss jeder für sich selbst entscheiden. Mir war es in diesem Beitrag wichtig zu betonen, dass man auch in einer mittelständischen Kanzlei gutes Geld verdienen kann. Nicht immer sind bei einem direkten Vergleich die Netto-Stundenlöhne der Großkanzleien vorne. Ich kann daher jedem nur empfehlen, sich sein eigenes Bild von der Arbeit der Kanzleien zu machen, ohne sich von aufgeschnappten Mythen beirren zu lassen. Tauscht euch untereinander aus und bekommt ein breiteres Bild von der Kanzleiarbeit.
-Sinan
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