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Gewusst

Mein Praktikum in einer deutschen Kanzlei im Herzen von Tokio

By 22. Juli 2021Oktober 11th, 2023No Comments
#Auslandsstudium_&_LL.M._von_Seycan

Ein Auslandspraktikum mit kulturellen Fallen

Der übliche Lebenslauf eines Juristen ist gut gefüllt mit verschiedenen Praktika. Mal bestehen sie aus bloßem Zeitabsitzen, mal sind sie wirklich lehrreich. Mein Praktikum in Tokio gehörte zu Letzterem. Eine Erfahrung, die ich nicht so schnell wieder vergessen werde.

Tokio: Wie es dazu kam

Eine pulsierende Stadt voller Kontraste. Eine Stadt voller Hektik und Energie.

Nicht unbedingt die erste Stadt, die einem als Jurist einfällt, wenn man an ein Praktikum im Ausland denkt. Was hat mich also nach Tokio geführt? Die Entscheidung nach Tokio zu gehen, dazu haben mich zwei Dinge bewogen.

Zum einen fand ich die japanische Kultur sehr spannend. Ich wollte demnach mehr lernen und sehen, meinen Horizont erweitern. Gleichzeitig wollte ich nicht auf den deutschen Lebensstandard verzichten. Japans Großstädte sind hochmodern, das Gesundheitssystem sowie die Infrastruktur sind auf einem guten Standard. Ganz wichtig ist auch: Tokio ist unglaublich sicher. So sicher, dass es üblich ist, seinen gerade ergatterten Sitzplatz in einem gut besuchten Café mit seinem brandneuen Smartphone oder Laptop zu reservieren. Notfalls geht auch die Designerhandtasche.

Zum anderen entschied ich mich dazu nach Japan zu gehen, um mich etwas von der Masse abzuheben. Viele Juristen, und das hat auch seine guten Gründe, planen ihren Auslandsaufenthalt im englischsprachigen Raum.

Ich wollte erfahren, worin sich die deutsche und japanische Arbeit der Juristen unterscheidet. Auch weil die kulturellen Unterschiede enorm sind.

Tatsächlich werde ich in Bewerbungsgesprächen mit vielen Fragen über die japanische Arbeitswelt, Kultur und das dortige Leben überhäuft. Es ist eben noch nicht so üblich Juristen zu treffen, die in Japan gelebt haben. Aber wie gelang es mir einen Praktikumsplatz zu bekommen?

Das Praktikum in einer deutschen Kanzlei

Als ich die Entscheidung getroffen hatte nach Japan zu ziehen, um dort meinen LL.M. zu absolvieren, war es mir auch wichtig, in den Arbeitsalltag eines deutschen Juristen zu schnuppern.

Nach einer kurzen Recherche im Internet fand ich ansprechende deutsche Kanzleien in Tokio.

JurCase informiert:

Auf der Seite der deutschen Botschaft in Tokio gibt es eine aktuelle Liste mit Anwaltskanzleien bzw. Rechtsanwälten. Dort ist auch aufgeführt, ob die Kanzleien Referendare aufnehmen oder nicht.

Da ich mich zu dem Zeitpunkt bereits in Tokio für meinen LL.M. befand, bewarb ich mich erst einige Monate vor Praktikumsbeginn für eine Stelle und musste schnell feststellen, dass ich spät dran war. Die meisten Stellen – und so viele gibt es ja nicht – waren bereits für das nächste Jahr mit Referendaren aus ganz Deutschland belegt. Ich hatte Glück und bekam nach einem spontanen Bewerbungsgespräch eine Stellenzusage.

JurCase informiert:

Bewirb dich so früh wie möglich, aber mindestens ein Jahr im Voraus, da die Stellen begrenzt sind. Außerdem sind die deutschen Juristen in Tokio besonders daran interessiert zu hören was dich dorthin verschlägt.

Wie bei jeder Bewerbung ist es selbstverständlich gut, wenn man sich in der Vergangenheit mit den Arbeitsschwerpunkten der Kanzlei beschäftigt hat. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine Voraussetzung, da es sich grundsätzlich um Stellen für Referendare handelt, die ihre Wahlstation nutzen, um ins Ausland zu gehen.

Besondere Examensnoten sind nicht von Bedeutung, schaden aber sicherlich nicht bei der Bewerbung. Japanische Sprachkenntnisse sind ebenfalls keine Voraussetzung für eine Zusage. Sicher auf Englisch schreiben und sprechen zu können allerdings schon.

Es schadet auch nicht sich vorher ein paar Dokumentationen oder Bücher zu besorgen, die einem japanische Eigenheiten der Arbeitswelt näherbringen. Warum das wichtig sein kann, erfährst du gleich.

Meine Aufgaben

Die Kanzlei war eine der führenden deutschen Kanzleien bei länderübergreifenden rechtlichen Fragen. Neben der Beratung von Mandanten aus Deutschland, die beispielsweise rechtliche Fragen zu Unternehmensgründungen oder ihren Tochtergesellschaften in Japan hatten, betreute die Kanzlei auch große und kleine deutsche Unternehmen aus Japan. Es ging also insbesondere um Fragen des Gesellschaftsrechts, Arbeitsrechts und Handelsrechts.

Der Arbeitsalltag war sehr abwechslungsreich und spannend und begann morgens mit einer vollen Bahnfahrt. Nach dem morgendlichen Kaffee fing ich um 9 Uhr an die ersten Aufgaben der Anwälte zu bearbeiten und E-Mails durchzugehen. Die meisten Anfragen wurden über E-Mail oder Telefon beantwortet. Mandantenbesuche waren eher selten. Zu den üblichen Aufgaben gehörte das Entwerfen von Verträgen oder deren Überarbeitung oder das Erstellen von Gutachten.

Das Besondere an der Arbeit der Kanzlei war die Symbiose der deutschen mit der japanischen Arbeitswelt. Die dort praktizierenden deutschen Anwälte hatten mindestens ein Grundverständnis über das japanische Recht, gute Japanisch-Kenntnisse und konnten Sachverhalte, die das japanische Recht betrafen, rechtlich gut einordnen. Wenn es allerdings tieferen Wissens bedurfte, konnten die Aufgaben mit den japanischen Kollegen besprochen werden, die mit ihrer Expertise weiterhalfen. Grundsätzlich wurden Fragen intern auf Englisch geklärt.

In Japan ist es üblich so lange auf der Arbeit zu bleiben bis der Vorgesetzte das Büro verlässt. Das bedeutet für viele Japaner, sehr lange Arbeitstage. Die deutschen Anwälte der Kanzlei haben aber glücklicherweise einen 8-Stunden-Arbeitstag eingeführt – zumindest für die Referendare und Praktikanten. So unterschied sich mein Arbeitsalltag zumindest zeitlich nicht groß von dem, was ich aus Deutschland gewohnt war.

Die kulturellen Hürden von Tokio

Wer sich bereits ein wenig mit Japan beschäftigt hat, weiß, dass die japanische Kultur spannende Fallen für Deutsche bereithält. Um sich vor ein paar Fettnäpfchen zu schützen und peinlichen Momenten vorzubeugen, ist es wichtig, sich die besonderen Regeln der Arbeitswelt anzueignen. Davon gibt es sehr viele, deren Darstellung es eigener Beiträge bedarf. Eine wichtige Regel möchte ich hier aber teilen.

Der Visitenkartentausch

Bei der ersten Begegnung mit japanischen Mandanten, aber auch Kollegen, werden traditionell Visitenkarten ausgetauscht. Dabei gilt zu beachten, dass die Visitenkarte, die einem überreicht wird, unbedingt mit beiden Händen entgegenzunehmen ist. Wichtig ist auch, dass du sie nicht sofort einsteckst, sondern erst einmal bewundernd ansehen musst.

Das ist eine Sache des Respekts. Anschließend bist du damit an der Reihe deinem Gegenüber deine Visitenkarte mit beiden Händen entgegenzustrecken.

Natürlich tolerieren die meisten Japaner es, wenn man die Regeln nicht perfekt beherrscht. Einen guten Eindruck macht das aber nicht. Gerade bei japanischen Mandanten kommt das sichere Beherrschen der Regeln gut an.

Fazit

Meine Zeit in der deutschen Kanzlei in Tokio war sehr lehrreich und hat mir dabei geholfen über den Tellerrand zu sehen. Neben der spannenden juristischen Arbeit war es unglaublich bereichernd die japanische Arbeitswelt kennenzulernen.

Wie jeder Auslandsaufenthalt muss auch dieser sorgfältig und weit im Voraus geplant werden. Es ist auch wichtig, dass du dir vorher ein paar Verhaltensregeln ansiehst, um vor Ort einen guten Eindruck zu hinterlassen. Alles in allem kann ich Tokio für Juristen nur empfehlen. Natürlich auch wegen des guten Essens.

JurCase informiert:

Einen Erfahrungsbericht zu Seycans LL.M. in Tokio findest du hier. Es geht es um ihre Entscheidung für die Temple University, eine amerikanische Universität in Tokio. Was sollte man bei seiner Entscheidung bedenken und welche Vorteile bietet eine amerikanische Universität?

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Beitragsautor:

Seycan Rafailovic

Seycan Rafailovic

Seycan studierte Rechtswissenschaften an der Freien Universität in Berlin und legte dort auch ihr Erstes Staatsexamen ab. Aktuell absolviert sie ihr Referendariat am Kammergericht Berlin. Für JurCase gibt sie Einblicke in ihr erfolgreich absolviertes LL.M.-Auslandsstudium in Tokio sowie in ihren juristischen Vorbereitungsdienst.

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