
#HierZucktDeinPrüfungsamt im Strafrecht in Kooperation mit VRiLG Dr. Nils Godendorff
Moin zusammen,
heute empfehle ich Dir einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 05.11.2024 – 5 StR 406/24.
JurCase informiert:
Den Beschluss des 5. Strafsenats vom 05.11.2024 – 5 StR 406/24 findest du kostenfrei hier auf der Seite des Bundesgerichtshofs.
Was ist geschehen?
Der Angeklagte hatte in der Silvesternacht von 2021 auf 2022 ein privates Feuerwerk veranstaltet und dabei illegal aus Polen beschaffte Kugelbomben eingesetzt. Da er keine professionelle Abschussvorrichtung hatte, baute er diese selbst, und zwar aus Abflussrohren aus Plastik. Diese Rohre stellte er lose in eine unzureichend konstruierte Abschusskiste. Darüber hinaus wurde der ‑ nach den Feststellungen des Tatgerichts notwendige ‑ Sicherheitsabstand von 140m nicht eingehalten.
Dem Angeklagten war klar, dass im Fall einer bodennahen Explosion eine Verletzung von Zuschauern nur noch vom Zufall abhängen würde. Der Eintritt einer derart konkreten Gefahr war ihm zwar unerwünscht, jedoch fand er sich mit der Möglichkeit ab, um das Feuerwerk wie gewünscht durchführen zu können. Zugleich vertraute er darauf, dass es nicht tatsächlich zu Verletzungen kommen werde. Brillanter wird es dann auch nicht mehr. 😀
Es kam aufgrund der nicht sachgemäßen Durchführung zu unkontrollierten Explosionen, bei denen durch die Druckwelle und umherfliegende Teile zwölf Personen zum Teil erheblich verletzt wurden.
Was hat das LG als Tatrichter entschieden?
Als Tatgericht hat das LG natürlich zunächst einmal die obigen Feststellungen getroffen. Es kann nicht oft genug betont werden: Auch die inneren Verhältnisse des Angeklagten, also seinen Vorsatz, stellt das Tatgericht fest. Das muss man im Hinterkopf behalten für die revisionsrechtliche Bewertung von Urteilen. Das hatte das Landgericht aber alles richtig gemacht, es ging vorliegend allein um die Rechtsfrage, ob der Tatbestand des § 308 Abs. 2 2. Alt. StGB erfüllt war.
Diese Norm bestimmt:
„§ 308 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion
(1) Wer […], eine Explosion herbeiführt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
(2) Verursacht der Täter durch die Tat […] eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen, so ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen.“
Das Landgericht hat diese „große Zahl von Menschen“ für 12 Personen bejaht.
Was hat der BGH entschieden?
Der BGH hat die Annahme des Landgerichts geteilt. Für § 308 Abs. 2 Alt. 2 StGB sei maßgeblich, dass für die Qualifikation des Absatz 2 keine erhöhten Anforderungen an die Sprengstoffexplosion als solche gestellt werden, etwa mit Blick auf deren Umfang oder die Qualität des Tatorts. Die Qualifikation, erfasse daher auch solche Sprengstoffexplosionen, bei denen schon ihrer Art nach kaum mit der Gefährdung unübersehbar großer Menschengruppen zu rechnen ist. Zudem unterliege innerhalb des Qualifikationstatbestands die Alternative der Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen der gleichen Strafandrohung wie die Alternative der „schweren Gesundheitsschädigung“ eines Menschen, so dass von einem vergleichbaren Unrechtsgehalt auszugehen sei. Und da die Beiträge hier aus Hamburg kommen, kann ich es mir nicht ganz verkneifen, dass es schon ein bisschen nach Fischmarkt klingt. Falls Du noch nicht dort gewesen bist: Da steht dann Aale-Dieter und brüllt: „Ich mach das hier nicht für achtzehn Euro, nicht für sechszehn Euro, neee. Ihr bekommt heute zehn Aale für vierzehn Euro, ich muss bekloppt sein, mein Chef schmeißt mich raus.“ Ein bisschen was davon hat es, wenn es in der Entscheidung heißt:
„Für die in der Rechtsprechung bereits aufgetretenen Fälle hat der Bundesgerichtshof […] entschieden, dass das Merkmal […] bei einer Verletzung von 21 Personen jedenfalls erfüllt ist […]. Für den in ein identisches Normgefüge integrierten […] Tatbestand der besonders schweren Brandstiftung in § 306b Abs. 1 Alt. 2 StGB wurden bereits 14 verletzte Personen als ausreichend angesehen […]. Der Senat sieht keinen Anlass, die im vorliegenden Fall erreichte Zahl von zwölf Personen für die Annahme einer ‚großen Zahl von Menschen‘ als zu gering zu erachten.“
(vgl. zu alledem die kriminologisch-soziologische Masterarbeit von Godendorff: Risikoeinschätzung und Risikokonstruktion – bestimmt die Gesellschaft mit dem Strafrecht Risiken objektiv? Zugleich ein Beitrag über die Beliebigkeit des Strafrechts, Uni Hamburg 2024, 😉 ).
Warum solltest Du die Entscheidung noch lesen?
- Zunächst kannst Du Dir über das leicht abseitige Feld der Sprengstoffexplosion einen Überblick verschaffen und vergisst ihn hoffentlich nicht so schnell.
- Du kannst Dir die Zahl merken und dabei realisieren, dass es nach unten nicht begrenzt ist: Vielleicht reichen auch zehn Verletzte?!
- Das Prüfungsamt bekommt bei diesem Sachverhalt feuchte Augen: Abgelegenes Gebiet, Spezialfrage, tateinheitliche Delikte aus dem Bereich der Körperverletzungsdelikte, dort dann noch kombiniert mit Selbstgefährdung.
Und nicht vergessen: Schreibt Klausuren!
Mit den besten Grüßen aus Hamburg
Nils Godendorff