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Gewusst

Gemeinsam in Abwesenheit vereint – gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung (durch einen!?)

By 16. August 2023Oktober 10th, 2023No Comments
HierZucktDeinPrüfungsamt

#HierZucktDeinPrüfungsamt im Strafrecht in Kooperation mit VRiLG Dr. Nils Godendorff

Moin zusammen, heute empfehle ich dir ein Urteil des BGH vom 17.05.2023 (6 StR 275/22).

Der Entscheidung liegt ein ziemlich widerlicher Sachverhalt zugrunde. Die an Borderline erkrankte 19-jährige Geschädigte wird zur Ausübung der Prostitution gezwungen. Ein Teil dieses wirklich unschönen Sachverhaltes geht wie folgt:

JurCase informiert:

Das Urteil des BGH vom 17.05.2023 (6 StR 275/22) findest du kostenfrei hier auf der Seite des Bundesgerichtshofs.

Was ist passiert?

Zuhälter der Geschädigten war der D. Nachdem er sie als ihr Freier kennengelernt hatte, wollte der K. die Geschädigte „übernehmen“, also von D. „kaufen“ (leider ist das nicht unüblich in diesem Milieu), was auch geschah. Nach diversen anderen Details, die ich an dieser Stelle auslasse, kam es zu folgender Situation: Die Geschädigte befand sich in einem schlimmen geistigen und körperlichen Zustand, von K. eingesperrt in einer Garage. K., seine Lebensgefährtin und ein Bekannter wussten, dass sie sich dort befand, ärztliche Hilfe und Medikamente brauchte und litt.

Bei jedenfalls einer Gelegenheit wurde sie gewürgt und ihr wurde der Mund zugehalten. Durch wen und in wessen Anwesenheit diese Handlungen erfolgten, konnte nicht festgestellt werden.

Bezüglich dieses Geschehens hat das Landgericht die Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 13 StGB schuldig gesprochen.

Ist die Entscheidung wichtig? Ja – Sie ist zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen!

Ist die Entscheidung des Landgerichts richtig? Ist das eine gemeinschaftliche Körperverletzung?

§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB lautet:

„Wer die Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“

Dazu der BGH: Die gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB kann durch Unterlassen begangen werden.

Der Gesetzeswortlaut steht nicht im Weg, so der BGH

Der Gesetzeswortlaut lässt keine Einschränkung erkennen, so dass die allgemeinen Regeln einschließlich des Begehens durch Unterlassen nach § 13 StGB Anwendung finden. Zu diesem Normverständnis drängen insbesondere auch Sinn und Zweck der Vorschrift. Die Neufassung durch das 6. StrR-ReformG sollte zuvörderst dem Anliegen Rechnung tragen, dem Schutz körperlicher Unversehrtheit größeres Gewicht zu verleihen. Eingedenk dieses erstrebten effektiven Rechtsgüterschutzes ist bei der Anwendung von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB in den Blick zu nehmen, dass auch einer Tatbeteiligung durch Unterlassen – nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls – die erhöhte Gefahr erheblicher Verletzungen bzw. die Einschränkung von Verteidigungsmöglichkeiten innewohnen kann.

Ein nur anwesender Passiv-Täter genügt für eine gefährliche Körperverletzung nicht

Für die Annahme einer gesteigerten Gefährlichkeit bei gemeinschaftlicher Begehung mit einem anderen aktiv handelnden Beteiligten genügt allerdings die Anwesenheit einer sich lediglich passiv verhaltenden Person ebenso wenig (vgl. BGH, Urteil vom 20.03.2012 – 1 StR 447/11 Rn. 12) wie das bloße gleichzeitige Agieren von Beteiligten an einem Ort, wenn jedes Opfer nur einem Angreifer ausgesetzt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 30.06.2015 – 3 StR 171/15 aaO). Dementsprechend kann allein das gleichzeitige Unterlassen mehrerer Garanten im Sinne einer reinen Nebentäterschaft den Tatbestand nicht erfüllen.

Aber dennoch geht eine gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung

Die höhere Gefährlichkeit wird regelmäßig gegeben sein, wenn

  • sich die zur Hilfeleistung verpflichteten Garanten ausdrücklich oder konkludent zu einem Nichtstun verabreden und
  • mindestens zwei handlungspflichtige Garanten zumindest zeitweilig am Tatort präsent sind.

Denn die getroffene Vereinbarung und die damit einhergehende Verbundenheit verstärken wechselseitig den jeweiligen Tatentschluss, die gebotene Hilfe zu unterlassen, was zusätzlich zu dem gefahrsteigernden gruppendynamischen Effekt die Wahrscheinlichkeit verringert, dass einer der Garanten der an ihn gestellten Verpflichtung gerecht wird.

Was heißt das fürs Examen?

Wenn eine im Ausgangspunkt einfache Körperverletzung begangen wird, mehrere davon wissen und sich aktiv fernhalten – genau gucken!

Und nicht vergessen: Schreib regelmäßig Übungsklausuren!

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Beitragsautor:

Dr. Nils Godendorff

Dr. Nils Godendorff

Dr. Nils Godendorff ist vorsitzender Richter am Landgericht in Hamburg. Auf LinkedIn gibt Dr. Godendorff unter dem Hashtag #HierZucktDeinPrüfungsamt Hinweise zu examensrelevanten strafrechtlichen Entscheidungen. Die Reihe #HierZucktDeinPrüfungsamt in Kooperation mit Herrn Dr. Godendorff findest du auch bei JurCase!

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