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Fall des Monats JANUAR 2020: Automaten-Schubser doch ein Räuber?!

By 29. Januar 2020Oktober 10th, 2023No Comments
Fall des Monats

Problem: Automaten-Schubser doch ein Räuber?!

Einordnung: Gewahrsamsverhältnisse am Geldautomaten

BGH, Beschluss vom 21.03.2019
3 StR 333/18

EINLEITUNG

Der beabsichtigten Entscheidung des 3. Strafsenats des BGH steht der Beschluss des 2. Strafsenats (2 StR 154/17, RA 2018, 48) entgegen. Diesem lag folgender Sachverhalt zugrunde:

„Automaten-Schubser-Fall“: Der Geschädigte hatte sich in eine Sparkassenfiliale begeben, um dort an einem Geldautomaten Geld abzuheben. Nachdem er seine Bankkarte in den Automaten eingeschoben und seine PIN eingegeben hatte, stieß ihn der Angeklagte weg, wählte einen Auszahlungsbetrag von 500,- € und entnahm das vom Geldautomaten ausgegebene Bargeld, um sich zu Unrecht zu bereichern.

Der 2. Strafsenat hat eine räuberische Erpressung, nicht dagegen einen Raub angenommen.

LEITSÄTZE
1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden: Wer unberechtigt Geldscheine an sich nimmt, die im Ausgabefach eines Geldautomaten zur Entnahme bereit liegen, nachdem der Berechtigte den Auszahlungsvorgang durch Eingabe von Bankkarte und zugehöriger PIN in Gang gesetzt hatte, bricht den an den Geldscheinen bestehenden Gewahrsam des Geldinstituts.

2. Der Senat fragt bei dem 2. Strafsenat an, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.

Begründung des 2. BGH-Senats: Der Angeklagte habe die Geldscheine nicht weggenommen. Werde der Geldautomat technisch ordnungsgemäß bedient, werde das Geld tatsächlich mit dem Willen des Geldinstituts ausgegeben. Dessen Gewahrsam werde nicht gebrochen. Da der Geschädigte keinen Gewahrsam an den Geldscheinen begründet habe, habe auch dieser vom Angeklagten nicht gebrochen werden können.

Mithin scheide ein Raub aus.

Somit seien §§ 253, 255 StGB zu bejahen, da der Täter das Opfer genötigt habe, die Ansichnahme des Geldes zu dulden.

Hingegen wäre nach h.L. bei §§ 253, 255 StGB zusätzlich eine Vermögensverfügung nötig gewesen. Diese liegt nach h.L. nur vor, wenn das Opfer einen notwendigen Mitwirkungsakt vornimmt. Da dieser fehlt, scheidet eine räuberische Erpressung nach h.L. aus. Nach der Entscheidung des 2. Senats war der „Automaten-Schubser“ also ein Fall, in dem es auf den Streit, ob § 253 StGB eine Verfügung verlangt, entscheidend ankam. Nach dem 5. Senat wäre dies nicht mehr der Fall!

SACHVERHALT

Die Angeklagten versuchten in Bankfilialen Geld von Kunden zu erbeuten, die dort an Automaten Geld abheben wollten. Zu diesem Zweck warteten die Angeklagten zunächst ab, bis ein Kunde seine Bankkarte in den Geldautomaten eingeführt und seine PIN eingegeben hatte. Sodann versuchten sie, den Kunden abzulenken, indem sie ihn ansprachen und ihm Prospekte oder Ähnliches vorhielten; dadurch wollten sie zugleich die Sicht des Kunden auf das Display bzw. die Eingabetastatur verdecken. Gleichzeitig versuchte einer der Angeklagten, von dem Kunden unbemerkt einen möglichst hohen Geldbetrag einzugeben und das anschließend ausgeworfene Geld aus dem Ausgabefach zu entnehmen.

Durch die Ablenkung der Kunden und die Ausnutzung des Überraschungsmoments wollten die Angeklagten eine etwaige Gegenwehr der Opfer vermeiden; sie hatten grundsätzlich nicht vor, gewaltsam gegen diese vorzugehen. In zwei Fällen, an denen der Angeklagte M. Z. beteiligt war, zerrten die Täter das Opfer allerdings von dem Geldautomaten weg bzw. stießen es zur Seite, um den Geldbetrag einzugeben und das in dem Ausgabefach liegende Geld an sich zu nehmen.

LÖSUNG

Aus Platzgründen beschränkt sich die Darstellung aus die Ausführungen des 3. Senats zu den Merkmalen „fremd“ und „Wegnahme“, welche für § 242 StGB und § 249 StGB gleichermaßen gelten.

I. Tatobjekt: fremde (bewegliche) Sache

[7] Bei den im Ausgabefach des Geldautomaten zur Entnahme bereit liegenden Geldscheinen handelte es sich um für die Angeklagten fremde Sachen; sie standen im Eigentum des Geldinstituts. Dieses übereignete die Geldscheine durch deren Ausgabe nicht an die Angeklagten. Dies ergibt sich aus Folgendem: [8] Adressat des mit dem Ausgabevorgang verbundenen Einigungsangebots im Sinne des § 929 Satz 1 BGB ist nach den vertraglichen Beziehungen zwischen Kontoinhaber und Geldinstitut sowie der Interessenlage der berechtigte, nicht aber ein unberechtigter Benutzer des Geldautomaten. Dies gilt auch dann, wenn eine technisch ordnungsgemäße Bedienung des Automaten voranging, denn das Geldinstitut hat keinen Anlass, das ihm gehörende im Automaten befindliche Geld demjenigen zu übereignen, der unbefugt darauf zugreift (…).

II. Tathandlung: Wegnahme

Die Angeklagten nahmen die Geldscheine weg, indem sie diese aus dem Geldausgabefach entnahmen.

Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams. Unter Gewahrsam ist die von einem Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft zu verstehen. Ob sie vorliegt bzw. wer sie innehat, bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalls und den Anschauungen des täglichen Lebens. Ein einmal begründeter Gewahrsam besteht fort, solange der Gewahrsamsinhaber noch Einwirkungsmöglichkeiten auf die Sache hat. Der Gewahrsam kann insbesondere in Form einer Gewahrsamslockerung fortbestehen, etwa dann, wenn der Gewahrsamsinhaber zwar eine Wegnahmesicherung aufgegeben hat, gleichwohl aber noch auf die Sache einwirken kann. Gebrochen wird der Gewahrsam, wenn er ohne oder gegen den Willen des Gewahrsamsinhabers aufgehoben wird.

[13] Hier befand sich das in dem Geldautomaten enthaltene Geld zunächst im Gewahrsam des Geldinstituts. Dieser bestand – wenn auch in gelockerter Form – fort, als die Geldscheine im Ausgabefach zur Entnahme bereit lagen. Durch die Freigabe zur Entnahme hatte das Geldinstitut zwar eine Wegnahmesicherung aufgegeben, es hatte indes weiterhin die Möglichkeit, auf das Geld einzuwirken, solange sich die Scheine im Ausgabefach des Automaten befanden. Denn im Rahmen des vorprogrammierten Ausgabevorgangs werden die Geldscheine wieder eingezogen und das Ausgabefach geschlossen, wenn das Geld nicht innerhalb einer bestimmten Zeitspanne entnommen wird.

[14] Vor diesem Hintergrund ändert der Umstand, dass weitere Personen, namentlich die Angeklagten, die Möglichkeit hatten, auf das Geld zuzugreifen, an dem fortbestehenden Gewahrsam der Bank nichts (…).

[15] Den somit fortbestehenden Gewahrsam der Geldinstitute brachen die Angeklagten, indem sie die Geldscheine aus dem Ausgabefach herausnahmen. Dadurch wurde der Gewahrsam des Geldinstituts an dem Geld ohne dessen Willen aufgehoben.

[16] Bei der automatisierten Geldausgabe entspricht es dem Willen des Geldinstituts, den Gewahrsam an den Geldscheinen demjenigen zu übertragen, der den Geldautomaten technisch ordnungsgemäß bedient, indem er sich mittels Eingabe von Bankkarte und zugehöriger PIN legitimiert (…). Ob es sich dabei um den materiell Berechtigten handelt, ist im Hinblick auf den tatsächlichen Vorgang der Gewahrsamsübertragung im Gegensatz zum Rechtsgeschäft der Übereignung ohne Bedeutung. Deshalb scheidet ein Gewahrsamsbruch aus, wenn ein Unbefugter unter Verwendung einer dem Berechtigten entwendeten Bankkarte nebst zugehöriger PIN Geld am Bankautomaten abhebt (…). Gleiches gilt, falls der Täter zuvor ausgespähte und auf Bankkarten-Blankette kopierte Daten unbefugt zur Geldabhebung verwendet (…). Maßgeblich für das Einverständnis des Geldinstituts mit der Gewahrsamsübertragung ist allein die funktionsgerechte Bedienung des Geldautomaten durch Eingabe von Bankkarte und PIN.

In derartigen Fällen liegt vielmehr ein Computerbetrug gem. § 263a StGB vor.

[17] Daraus folgt aber zugleich, dass das Einverständnis des Geldinstituts hinsichtlich des Gewahrsamsübergangs in personeller Hinsicht auf denjenigen beschränkt ist, der sich durch Eingabe von Bankkarte und zugehöriger PIN legitimiert. Insoweit verhält es sich bei der automatisierten Geldausgabe gleichermaßen wie in anderen Fällen gelockerten Gewahrsams, in denen die Sache zwar dem Zugriff beliebiger Dritter preisgegeben ist, sich aber aus den Umständen ergibt, dass der Gewahrsamsinhaber die Wegnahme nur bestimmten Personen gestatten will (…). Es ist anerkannt, dass auch der tatsächliche auf eine Gewahrsamsübertragung gerichtete Wille, der von dem rechtsgeschäftlichen Übereignungsangebot getrennt zu betrachten ist, gleichwohl an Bedingungen geknüpft sein kann; solche werden berücksichtigt, wenn sie äußerlich erkennbar sind. Aus diesem Grund steht nach herrschender Auffassung, der zu folgen ist, etwa bei Warenoder Geldspielautomaten das Einverständnis des Automatenaufstellers mit einer Gewahrsamsübertragung unter der Bedingung der äußerlich ordnungsgemäßen Bedienung (…).

[18] Überträgt man diese Grundsätze auf die vorliegende Fallkonstellation, ergibt sich, dass die Geldinstitute durch die allgemein bekannte Programmierung von Geldautomaten, wonach das Geld nur bei technisch ordnungsgemäßer Bedienung durch Eingabe von Bankkarte und PIN ausgegeben wird, ihr Einverständnis mit dem Gewahrsamsübergang in personeller Hinsicht erkennbar auf diejenigen Personen beschränken, die den Geldausgabevorgang entsprechend initiieren.

[19] Danach brachen die Angeklagten den Gewahrsam des jeweiligen Geldinstituts an den Geldscheinen, indem sie diese dem Ausgabefach des Geldautomaten entnahmen. Denn der auf die Übertragung des Gewahrsams gerichtete Wille war auf die Berechtigten beschränkt, nachdem diese sich durch die insoweit maßgebliche Eingabe von Bankkarte und zugehöriger PIN legitimiert und den Geldausgabevorgang ordnungsgemäß in Gang gesetzt hatten. Dies gilt auch für diejenigen Fälle, in denen die Berechtigten irrtümlich annahmen, den Abhebevorgang erfolgreich abgebrochen zu haben; denn auch dort hatten die Betreiber der Automaten nicht den Willen, den Gewahrsam an die Angeklagten zu übertragen, die zuvor in den ordnungsgemäß gestarteten Geldausgabevorgang unrechtmäßig eingegriffen hatten. Erst recht wurden die Angeklagten und ihre Mittäter nicht dadurch, dass sie die Berechtigten nach der ordnungsgemäßen Bedienung des Geldautomaten ablenkten oder Nötigungsmittel einsetzten, in den Personenkreis einbezogen, dem das Geldinstitut den Gewahrsam an den Geldscheinen übertragen wollte.

[20] Ebenfalls ohne Bedeutung ist, dass die Angeklagten die Höhe des auszuzahlenden Geldbetrages eingaben bzw. dies versuchten. Denn die Eingabe der Höhe des auszugebenden Geldbetrages dient entsprechend den Sicherungsvorkehrungen bei der automatisierten Geldausgabe nicht der Legitimierung desjenigen, der den Geldautomaten bedient, sondern lediglich der zweckmäßigen Abwicklung der funktionsgerecht in Gang gesetzten Geldausgabe. Allein die Eingabe des auszuzahlenden Geldbetrages führt deshalb nicht dazu, dass sich das Verhalten der Angeklagten als technisch ordnungsgemäße Bedienung des Geldautomaten darstellt.

[21] Schließlich begründeten die Angeklagten dadurch, dass sie die Geldscheine an sich nahmen, an diesen neuen, eigenen Gewahrsam.

[22] Da mithin jedenfalls wegen des Gewahrsamsbruchs gegenüber den Geldinstituten jeweils eine Wegnahme vorliegt, kann offen bleiben, ob auch die Bankkunden entsprechend der Annahme des Landgerichts bereits (Mit-) Gewahrsam an den im Ausgabefach des Geldautomaten zur Entnahme bereit liegenden Geldscheinen erlangt hatten. Dies liegt nach Auffassung des Senats jedenfalls in den Fällen fern, in denen die Angeklagten und ihre Mittäter die Berechtigten von den Automaten wegzerrten oder -drängten, bevor das Geld im Ausgabeschacht lag.

FAZIT

Der 3. Senat stellt die folgenden „Regeln“ auf:

Erstens: Das Geld, auf das ein hierzu Unbefugter mittels ordnungsgemäßer Bedienung eines Geldautomaten zugegriffen hat, bleibt im Eigentum des ausgebenden Geldinstituts.

Dies dürfte weitgehend anerkannt sein.

Zweitens: An den Geldscheinen, die im Ausgabefach eines Geldautomaten zur Entnahme bereit liegen, besteht wenn auch in gelockerter Form, der Gewahrsam des Geldinstituts fort. Dieser Gewahrsam endet mit der Entnahme des Geldes, wobei es nicht auf die Berechtigung des Entnehmenden hierzu ankommt.

Auch dies dürfte weitgehend anerkannt sein.

Drittens: Wer Geldscheine aus dem Ausgabefach eines Geldautomaten an sich nimmt, nachdem er zuvor den Automaten ordnungsgemäß bedient hatte, begeht, selbst wenn er hierzu materiell nicht berechtigt war, keinen Gewahrsamsbruch zu Lasten des Geldinstituts. Jedoch bricht dessen Gewahrsam, wer solche Geldscheine unberechtigt an sich nimmt, nachdem zuvor der Berechtigte den Auszahlungsvorgang ordnungsgemäß in Gang gesetzt hatte.

Hier liegt die entscheidende Abweichung vom 2. BGH-Senat.

Die Reaktion des 2. Senats darf mit großer Spannung erwartet werden. Die Rechtsprechung des 2. Senats war für Prüfungen besonders „spannend“, weil auf der Basis der Ablehnung des Raubes (mangels Wegnahme) der Streit über die Notwendigkeit einer Vermögensverfügung bei § 253 StGB entscheidungserheblich wurde. Nur nach der BGH-Rechtsprechung konnte nach der Ablehnung der Wegnahme noch ein Verbrechen (§ 255 StGB) bejaht werden (dazu oben auf der 1. Seite dieser Entscheidung). Dieser „Plot“ der „Automaten-Schubser-Fälle“ würde wegfallen, wenn sich der 3. Senat mit seiner Begründung durchsetzen würde.

Wegen dieser weitreichenden Auswirkungen der Dissonanz zwischen 2. und 3. Senat erscheint es als unwahrscheinlich, dass die JPAs jetzt diesen Fall in einer Raubkonstellation prüfen. Anders wäre dies in einem Fall ohne Gewaltanwendung.

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