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Gewusst

Essay Writing im LL.M.

By 15. Juni 2018Oktober 12th, 2023No Comments
Charlotte Erfahrungsberichte Referendariat

Essay Writing im LL.M.

„Essay Writing“ ist ein wesentlicher Bestandteil der akademischen Kultur im Vereinigten Königreich, so wie in Deutschland Haus- und Seminararbeiten zum studentischen Alltag angehender Juristen gehören. Dennoch unterscheiden sich die Anforderungen und Herangehensweisen in beiden Kulturkreisen.

Spezifische Problemlösung vs. breite Fragestellung

Jurastudierende in ganz Deutschland lernen innerhalb der ersten Semester die juristische Methodenlehre kennen. Das Werkzeug, das den Studierenden damit an die Hand gegeben wird, kann dann vor allem in der Falllösung und dem idealerweise juristisch und argumentativ sauberen Umgang mit unbekannten Problemen zum Einsatz kommen. Die Beherrschung der Methoden kann dann im Grunde in jeder Klausur und Hausarbeit (insbesondere wenn sie eine Falllösung zum Gegenstand hat) unter Beweis gestellt werden. Ganz abgesehen davon ist die Methodenlehre juristisches Grund- und Allgemeinwissens.

Inwieweit solche Lehrformate in den Bachelorstudiengängen im UK existieren, ist mir zwar nicht bekannt. Doch das Anfertigen von Essays gehört im LL.M.-Studium genauso zum akademischen Alltag, wie die Hausarbeiten in Deutschland. Ein zentraler Unterschied: In den Essays werden zumindest in meinem LL.M.-Studium keine Fälle und auch keine spezifischen Probleme im engeren Sinne gelöst. Stattdessen muss eine mehr oder weniger thematisch breite Frage beantwortet werden, zum Beispiel: „Critically discuss the adequacy of pursuing market integration as a goal of EU competition law“ (zu Deutsch in etwa: „Beziehen Sie Stellung dazu, inwieweit es angemessen ist, das Ziel der Integration des europäischen Binnenmarktes mithilfe des Kartell- und Wettbewerbsrechts der EU zu verfolgen.“). Welche methodische Herangehensweise wird hier erwartet?

Essay = Streitentscheid?

Hinter der Formulierung „critically discuss“ steckt die Aufforderung, quellengestützt verschiedene Ansätze zur Beantwortung der Frage darzustellen und diese dann kritisch und argumentativ überzeugend gegeneinander abzuwägen. Mit Blick auf die obige Frage gibt es Vertreter, welche es sinnvoll und angemessen finden, dass das europäische Kartellrecht unter anderem die Binnenmarktintegration zum Ziel hat, was in der Praxis natürlich Auswirkungen darauf haben kann, wie die Gerichte wettbewerbsrechtliche Fälle entscheiden. Andere Stimmen bevorzugen eine stärker oder sogar ausschließlich auf ökonomischen Prinzipien fußende Herangehensweise. Im Rahmen des Essays gilt es dann, diese Meinungen unter Rückgriff auf Gesetzgebung, Urteile, Literatur etc. darzustellen und zu diskutieren. Im Grunde ähnelt diese Herangehensweise den Darstellungen, die für einen Streitentscheid in einer deutschen Hausarbeit notwendig sind – nur eben thematisch breiter.

Eine Prise Geisteswissenschaft

Wo sind also die Unterschiede? Zunächst fehlt das Gerüst, welche die Studierenden in der deutschen Falllösung auf das Problem stoßen lassen, da es keine Prüfungsschemata gibt, auf die zugegriffen werden kann. Das heißt, der Verfasser muss sich sein Gerüst selbst aufbauen und eine geeignete Vorgehensweise finden, wie die Frage beantwortet werden kann. Das bedeutet vor allem, eigene Schwerpunkte zu setzen, um möglichst detailliert und fundiert argumentieren zu können. Denn Essays, die zu sehr an der Oberfläche bleiben, sind hier nicht gefragt, wenn man nicht allzu schlecht abschneiden möchte.

Denkbare Schwerpunkte für die obige Frage wären etwa horizontale oder vertikale Vereinbarungen und Wettbewerbsbeschränkungen. Eine mögliche Vorgehensweise wäre es dann, einschlägige Beschlüsse der Europäischen Union und Urteile der Gerichte zu betrachten und diese mit den Stimmen der Literatur zu vergleichen. Der Kreativität sind hier an sich keine Grenzen gesetzt, solange anhand eines roten Fadens wissenschaftlich sauber gearbeitet und kohärent argumentiert wird. Es gibt also kein „richtig oder falsch“ bei der Herangehensweise.

Ein weiterer Unterschied zur Falllösung besteht darin, dass ein Essay aus einer Einleitung, einem Hauptteil und einem Schlussteil besteht. Alles in allem ähneln Essays also eher den Hausarbeiten, die ich in meinem geisteswissenschaftlichen Studium vor dem Jurastudium schreiben musste, und vermutlich den Seminararbeiten an juristischen Fakultäten, mit denen ich allerdings bisher keine Erfahrung habe.

Fazit

Innerhalb des LL.M.-Studiums an der University of Glasgow kommen die Studierenden um das Anfertigen von Essays nicht herum. Auch wenn es hier und da Parallelen zum Streitentscheid der juristischen Falllösung geben kann (aber nicht muss), folgt das Essay Writing insgesamt doch einer anderen Methode – angefangen bei den breiten Fragestellungen über den Aufbau des Textes bis hin zur Erarbeitung einer eigenen Strategie und eines eigenen Schwerpunktes zur Beantwortung der Frage.

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Beitragsautor:

Charlotte Kieslich

Charlotte Kieslich

Charlotte absolvierte in Glasgow ihren Master of Laws (LL.M.), worüber sie uns in ihren Erfahrungsberichten berichtete.

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