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Die Strafbarkeit des Containerns – Was sagt das BVerfG?

By 15. Juli 2021Oktober 23rd, 2023No Comments
Aktuelle Rechtsprechung

BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 05. August 2020 – 2 BvR 1985/19

Viele Gerichte hatten sich in der letzten Zeit mit der Strafbarkeit des Containerns zu beschäftigen. Ein solcher Sachverhalt gelangte sogar bis vor das Bundesverfassungsgericht [BVerfG]. Vor allem aufgrund der Aktualität der Thematik und dieser höchstrichterlichen Entscheidung steigt die Wahrscheinlichkeit, dass bald auch Referendare und Studenten im Ersten und Zweiten Staatsexamen die Frage nach der Strafbarkeit des Containerns diskutieren werden. Dieser Beitrag soll daher einen kurzen Überblick über diese Thematik liefern.

JurCase informiert:

Containern – was bedeutet das eigentlich? Das BVerfG definiert das Containern in seinem Beschluss als das Entwenden von Lebensmitteln aus einem verschlossenen Abfallcontainer eines Supermarktes.

Dem Beschluss des BVerfG lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Ein Supermarktbetreiber hatte seinen Abfallcontainer verschlossen in der Anlieferzone des Supermarktes abgestellt. Hier sollten die Abfälle entgeltlich durch den Abfallentsorger abgeholt werden. Die beiden Beschwerdeführerinnen entwendeten im Juni 2018 Lebensmittel aus diesem verschlossenen Container, indem sie diesen mit einem Vierkantschlüssel öffneten – sie betrieben also das sogenannte Containern. Hierfür wurden die beiden Beschwerdeführerinnen von den Fachgerichten wegen Diebstahls verurteilt. Sie durchliefen den Instanzenzug und rügten mit ihren Verfassungsbeschwerden nunmehr die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie die Verletzung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG.“

Diese Verletzung ihrer Grundrechte begründeten sie zunächst damit, „dass über das Tatbestandsmerkmal der Fremdheit eine Einschränkung des Diebstahlstatbestands erfolgen könne, wenn man – anders als die Fachgerichte – die Fremdheit nicht streng zivilrechtsakzessorisch bestimme oder eine Dereliktion gemäß § 959 BGB annehme. Das Verhalten des Supermarktbetreibers könne auch als Wille zur Eigentumsaufgabe interpretiert werden.“

Außerdem argumentieren sie, dass das Strafrecht als Ultima Ratio diene und „[…] der Supermarkt [im vorliegenden Fall] kein schutzwürdiges Interesse an den weggeworfenen Lebensmitteln [habe]. Eine Haftung oder Verantwortlichkeit des Unternehmens nach zivilrechtlichen, öffentlich-rechtlichen oder strafrechtlichen Rechtsgrundlagen werde – jedenfalls bei geeigneten Sicherungs- und Gefahrenabwehrmaßnahmen des Unternehmens wie Verschließen der Container und Warnhinweisen – durch die eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjenigen, die die Lebensmittel aus dem Abfallcontainer entnähmen, ausgeschlossen. Darüber hinaus sei im Lichte des Art. 20a GG der Gemeinwohlbelang eines verantwortungsvollen und nachhaltigen Umgangs mit Lebensmitteln zu berücksichtigen. Die massenhafte und in vielen Fällen vermeidbare Verschwendung von Lebensmitteln durch Vernichtung sei in besonderer Weise sozialschädlich. Einer einschränkenden Auslegung des Diebstahlstatbestandes stünden zudem weder der Wille des Gesetzgebers noch der Wortlaut der Strafnorm entgegen. Dass Initiativen zur Entkriminalisierung des Containerns im Bundestag und Bundesrat bisher erfolglos geblieben seien, bedeute umgekehrt nicht, dass sich der Gesetzgeber positiv für eine Strafbarkeit des Containerns ausgesprochen habe.“

Die Entscheidung des BVerfG

Das BVerfG nahm die beiden Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an und verwarf diese als unbegründet.

JurCase informiert:

Prozessual erging hier nur eine Entscheidung. Die beiden Verfahren der Beschwerdeführerinnen wurden nämlich zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Dies ist prozessökonomisch und vor allem sinnvoll in den Fällen, in denen der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, letztlich also eine einheitliche Entscheidung ergehen kann. Im Assessorexamen sollte diese Möglichkeit im Rahmen der Zweckmäßigkeit erörtert werden.

Zunächst erteilte das BVerfG der Ansicht der Beschwerdeführerinnen, dass das Tatbestandsmerkmal der Fremdheit nicht streng zivilrechtsakzessorischen bestimmt werden müsse, sondern auch anders zu definieren sei, eine Absage:

„Im Hinblick auf den Wortlaut und Schutzzweck des § 242 StGB sowie im Hinblick auf die Wahrung der Rechtseinheit und der Rechtssicherheit ist die ständige Rechtsprechung der Fachgerichte zu einer maßgeblich an der zivilrechtlichen Eigentumslage orientierten Auslegung der Fremdheit im Sinne des § 242 StGB nicht willkürlich, sondern beruht auf sachgemäßen und nachvollziehbaren Erwägungen, gegen die verfassungsrechtlich nichts zu erinnern ist.“

Das BVerfG stellte damit klar, dass es an der zivilrechtlichen Interpretation des Tatbestandsmerkmals der Fremdheit festhält.

JurCase informiert:

An dieser Stelle der Entscheidung des BVerfG wird das Zusammenspiel der drei Rechtsgebiete sehr deutlich. Auch das BVerfG bedient sich dieser gesetzessystematischen Auslegung und befürwortet diese mit dem Verweis auf die Einheit der Rechtsordnung. Gerade im Strafrecht kann es also sehr sinnvoll sein, die zivilrechtlichen Kenntnisse – jedoch nur an geeigneten Stellen – mit einfließen zu lassen und dem Korrektor so das „fächerübergreifende“ Verständnis zu zeigen.

Weiter argumentierte das BVerfG: „Soweit die Beschwerdeführerinnen die fachgerichtliche Würdigung angreifen, wonach die Lebensmittel im vorliegenden Fall mangels Besitzaufgabewillens des Berechtigten noch in dessen Eigentum gestanden hätten, wenden sie sich gegen die strafrichterliche Beweiswürdigung.“ Hier sei den Fachgerichten die Entscheidung darüber überlassen, ob die Abfälle herrenlos geworden seien, also eine Eigentumsaufgabe gemäß § 959 BGB stattgefunden habe, eine Übereignung an einen Dritten gegeben sei oder der Supermarktbetreiber weiterhin Eigentum an den Abfällen behalten habe. Diese Entscheidung habe anhand einer Würdigung der konkreten Umstände zu erfolgen. Die Fachgerichte hätten zu Recht auf einen Willen des Supermarktbetreibers zur weiteren Ausübung seines Eigentums an den Lebensmitteln in dem Container abgestellt. Dies sei korrekt anhand der Tatsachen, dass sich der Abfallcontainer in der Anlieferzone des Supermarktes und damit auf dessen eigenem Gelände befunden habe und darüber hinaus verschlossen gewesen sei […]“ und, dass „[…] die Abfälle zur Übergabe an ein spezialisiertes und vom Inhaber bezahltes Entsorgungsunternehmen bereitgestanden und […] das Verschließen der Container eine Reaktion auf vorherige, unbefugte Entnahmen Dritter dargestellt [habe] […]“, hergeleitet worden. Die Beweiswürdigung der Fachgerichte habe also keinem Fehler unterlegen.

Schließlich verneinte das BVerfG auch eine Einschränkung der Strafbarkeit eines Diebstahls durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Ultima-Ratio-Prinzip im Falle des Containerns. Hierfür verdeutlichte das BVerfG zunächst welche Feststellungen es in Abgrenzung von den Aufgaben des Gesetzgebers überhaupt treffen dürfe:

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, dass eine Strafnorm dem Schutz anderer oder der Allgemeinheit dient […]. Wegen des in der Androhung, Verhängung und Vollziehung von Strafe zum Ausdruck kommenden sozialethischen Unwerturteils – dem Vorwurf, der Täter habe ‚elementare Werte des Gemeinschaftslebens’ verletzt – kommt dem Übermaßverbot als Maßstab für die Überprüfung einer Strafnorm besondere Bedeutung zu […]. Es ist aber grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns unter Berücksichtigung der jeweiligen Lage verbindlich festzulegen. Das Bundesverfassungsgericht kann diese Entscheidung nicht darauf prüfen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat; es hat lediglich darüber zu wachen, dass die Strafvorschrift materiell in Einklang mit den Bestimmungen der Verfassung steht und den ungeschriebenen Verfassungsgrundsätzen sowie Grundentscheidungen des Grundgesetzes entspricht […].“ (Hervorhebungen durch die Verfasserin)

JurCase informiert:

An dieser Stelle zeigt das BVerfG deutlich seine Kompetenzen auf. Das BVerfG kann lediglich überprüfen, ob die Strafvorschriften mit der Verfassung in Einklang stehen, die Ausgestaltung, welche Handlungen strafbar sind, liegt demgegenüber in der Hand des Gesetzgebers. Diese Kompetenzabgrenzung sollte in Examensklausuren nie durcheinander geraten!

Weiter führte das BVerfG sodann aus, dass „[…] das im Gesetzeswortlaut angelegte und durch die Fachgerichte konkretisierte Normverständnis, dass § 242 StGB das zivilrechtsakzessorisch zu ermittelnde Eigentum an beweglichen Sachen unabhängig von dessen konkretem wirtschaftlichem Wert schützt[,] [diesen Anforderungen genügt].“

Es stellte zudem klar, dass der § 242 StGB dem Eigentum einen Schutz gebiete, der unabhängig von dem wirtschaftlichen Wert der Sache sei und, dass diese Wertung auch mit der Verfassung in Einklang stehe, „[d]enn durch die Wegnahme fremden Eigentums werden wichtige, grundrechtlich geschützte Belange Dritter gefährdet. Der Gesetzgeber, der bisher Initiativen zur Entkriminalisierung des Containerns nicht aufgegriffen hat, ist insofern frei, das zivilrechtliche Eigentum auch in Fällen der wirtschaftlichen Wertlosigkeit der Sache mit Mitteln des Strafrechts zu schützen.“

Schließlich spielten auch haftungsrechtliche Erwägungen eine Rolle in der Entscheidung des BVerfG. Hier führte das BVerfG aus, dass der Supermarktbetreiber gerade deshalb ein Interesse an einer Überführung der Lebensmittel an einen etwaigen Abfallentsorger habe, damit er sich keinen Haftungsrisiken aussetze, falls die abgelaufen und vielleicht auch verdorbenen Lebensmittel verzehrt würden. Aus diesem Umstand zog das BVerfG in Verbindung mit den Gewährleistungen des in Art. 14 Abs.1 GG verankerten Grundrechts folgenden Schluss:

„Dabei kommt es nicht darauf an, inwiefern etwaige Hinweisschilder, Zugangserschwerungen oder die Rechtsfigur der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung eine Haftung im Ergebnis ausschließen würden oder nicht. Bereits das Interesse des verfügungsberechtigten Eigentümers daran, von vornherein etwaige diesbezügliche rechtliche Streitigkeiten und Prozessrisiken durch die Vernichtung seiner Sachen auszuschließen und keinen erhöhten Sorgfaltspflichten im Hinblick auf die Sicherheit der Lebensmittel ausgesetzt zu sein, ist im Rahmen der Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG grundsätzlich zu akzeptieren, soweit der Gesetzgeber die Verfügungsbefugnis des Eigentümers nicht durch eine gegenläufige, verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung eingegrenzt hat. Folglich wird in Fallgestaltungen wie der vorliegenden nicht lediglich eine rein formale, letztlich inhaltsleere Eigentumsposition geschützt, sondern ein legitimes Verfügungs- und Ausschlussinteresse am betroffenen Privateigentum. Die im Wortlaut des § 242 StGB angelegte und durch die Fachgerichte konkretisierte kriminalpolitische Grundentscheidung des Gesetzgebers zur Strafbarkeit des Containerns ist deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.“ (Hervorhebung durch die Verfasserin)

Zuletzt verwies das BVerfG noch darauf, dass dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Falle der Strafbarkeit des Containerns auch über viele andere Rechtsfiguren durch die Fachgerichte Rechnung getragen werden könne. Hier könne die geringe Schuld des Täters zunächst aufgrund des weiten Strafrahmens des § 242 StGB berücksichtigt werden. Außerdem sei der Anwendungsbereich des § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 6 StGB gemäß § 243 Abs.2 StGB bei einem Diebstahl von geringwertigen Sachen schon gar nicht eröffnet. Weiterhin nannte das BVerfG Vorschriften des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs, wie § 60 StGB, § 59 StGB, § 47 StGB und § 56 StGB sowie strafprozessuale Normen, hier insbesondere die Einstellungsmöglichkeiten nach §§ 153 ff. StPO, die dabei helfen würden, „[…] dem spezifischen Unrechts- und Schuldgehalt von Bagatelldiebstählen im konkreten Fall Rechnung zu tragen.“

JurCase informiert:

Auch hier ist also ein fächerübergreifendes Verständnis gefragt. Letztlich zieht das BVerfG nämlich auch verfahrensrechtliche und strafprozessuale Normen – neben dem materiellen Verständnis von den Tatbestandsmerkmalen des § 242 StGB – zur Beantwortung der Frage nach der Strafbarkeit des Containerns hinzu.

Im vorliegenden Verfahren erkannte das BVerfG keine Verstöße gegen Verfassungsrecht. Das Amtsgerichts habe im Rahmen der Strafzumessung die Umstände dieses konkreten Einzelfalles berücksichtigt.

Fazit

Dieser Beschluss des BVerfG zeigt besonders anschaulich, dass sich auch die höchstrichterliche Rechtsprechung an der Einheit der Rechtsordnung orientiert. So zog das BVerfG in dem vorliegenden Fall zivilrechtliche Erwägungen zur Interpretation eines strafrechtlichen Tatbestandsmerkmals heran. Für die Examensklausur bedeutet das: Es kann sehr hilfreich und sinnvoll sein, das fächerübergreifende Verständnis von den drei Rechtsgebieten an geeigneten Stellen heranzuziehen und statt auswendig gelernten Definitionen eine gesetzessystematische Auslegung anhand der Einheit der Rechtsordnung zu präsentieren. Es bleibt abzuwarten, ob sich der Gesetzgeber mit dem Thema der Strafbarkeit des Containerns auseinandersetzen und diese in der Zukunft anderweitig ausgestalten wird. Bis dahin ist allerdings diese Rechtsprechung der Fachgerichte und des BVerfG zu beachten – im Ergebnis lautet die Antwort derzeit also: Ja, das Containern ist strafbar!

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Beitragsautor:

Laureen

Laureen

Laureen war zu ihrer Zeit bei uns Diplom-Juristin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich des Strafrechts bei Nagel Schlösser Rechtsanwälte. Sie hat bei uns über verschiedene Themen berichtet, etwa zu ihrem Referendariat und vor allem zu #Gewusst: Aktuelle Rechtsprechung.

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