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Gewusst

Die lieben Nachbarn: Nachbarschaftsstreitigkeiten im Zivilrecht

By 14. Mai 2021Oktober 11th, 2023No Comments
Zivilrecht

Grundwissen in einem eher vernachlässigten Examensthema

Streitigkeiten unter Nachbarn sind nicht nur im echten Leben (leider) eine Häufigkeit, auch im Zivilrecht beschäftigen sich etliche Vorschriften des BGB mit den alltäglichen Problemen von Nachbarn. Diese Vorschriften sind etwas versteckter und außerdem stark von der Rechtsprechung geprägt, weshalb sie gerne im Ersten und Zweiten Staatsexamen geprüft werden. Deshalb ist es sinnvoll, sich bereits vor der Klausur einen Überblick zu verschaffen.

Wer sind überhaupt „Nachbarn“?

Dies ist keine einfache Frage, denn dies ist je nach Landesnachbarrechtsgesetz unterschiedlich. Zu dem Personenkreis können Eigentümer, Erbbaurechtsinhaber, Mieter oder Pächter gehören. Deshalb bedarf es in der Klausur stets einer Argumentation, wieso die betroffenen Parteien im konkreten Sachverhalt Nachbarn sind.

Und warum gibt es immer wieder Konflikte zwischen Nachbarn? Ein Merksatz lautet: Nachbarn wohnen nebeneinander, nicht miteinander. Und das bekommen sie manchmal eben zu spüren!

JurCase informiert:

Im öffentlichen Baurecht sind Nachbarn nur die Eigentümer, nicht die Mieter oder Pächter!

Beeinträchtigungen von Nachbargrundstücken

Eine Vorschrift, die in Streitigkeiten zwischen Nachbarn wichtig werden kann, ist § 910 BGB. Hierbei geht es um Wurzeln eines Baumes oder Strauches, die von einem Grundstück in das andere eingedrungen sind und um Zweige, die hinüberragen. Diese dürfen vom Grundstückseigentümer beseitigt werden, außer, sie Beeinträchtigen die Nutzung des Grundstückes nicht. Genau diese Beeinträchtigung der Nutzung des Grundstückes ist meistens der Knackpunkt in Fällen.

Ein weiterer möglicher Anspruch ist § 1004 BGB, indem Eigentumsbeeinträchtigungen am Grundstück beseitigt werden können, außer, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist. Der Tatbestand des §1004 BGB setzt kein Verschulden voraus und es kommt nicht darauf an, ob die Beeinträchtigung tatsächlich zu einem Schaden führt. Bei Nachbarn kollidieren regelmäßig die Auswirkungen der Benutzung des jeweiligen Grundstücks. Nach der Rechtsprechung unterliegen die jeweiligen Eigentümer in den Grenzen ihres Eigentums nicht dem Bestimmungsrecht des anderen Eigentümers nach § 903 BGB (BGH AZ: V ZR 199/02). Gelangen jedoch grenzüberschreitende Immissionen auf ein Grundstück, dann wird der andere Eigentümer in seinem Herrschaftsraum über dem Grundstück gestört. Nicht abwehrbar aus § 1004 BGB sind negative Beeinträchtigungen, wie die Licht- und Luftzufuhr oder die Versperrung des Ausblicks, sowie ideelle Beeinträchtigungen, wie ein greller Hausanstrich.

Bei manchen Beeinträchtigungen kann sich aus § 906 Abs. 1 BGB eine Duldungspflicht ergeben, wenn es sich um „unwägbare Stoffe“, wie Gase oder Dämpfe handelt, wenn die Benutzung des Grundstückes nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt wird. Das gilt z. B. beim gelegentlichen Grillen. Dabei ist auf die Dauer, die Art der Auswirkung und den Zeitpunkt der Entstehung abzustellen. Der Anspruch wird analog auf Grobimmissionen wie Wasser oder herabstürzende Bäume ausgedehnt, die aus tatsächlichen Gründen nicht mit §§ 862, 1004 BGB abgewehrt werden können. Dies kann z. B. bei einem Brand gegeben sein, wenn der Nachbar die Gewahr nicht erkannt hat und daher die Einwirkungen auf das andere Grundstück nicht abwenden konnte.

Eine Duldungspflicht besteht nach § 906 Abs. 2 S. 1 BGB auch, wenn es sich um eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstückes handelt, die mit wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen nicht verhinderbar sind. Aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB hat sich analog ein Entschädigungsanspruch für nicht abwehrfähige Beeinträchtigungen anderer Art entwickelt. Diese Anspruchsgrundlage wird oft vergessen!

Eine Duldungspflicht kann sich auch aus § 242 BGB in Form des nachbarlichenGemeinschaftsverhältnisses ergeben, wenn besondere Umstände gegeben sind, die schutzwürdige Interessen der anderen Seite eine Duldung erfordern und schutzwürdige Belange der anderen Seite nicht entgegenstehen. Dies folgt aus der Sondersituation von Nachbarn, die auf gegenseitige Vertrauensverhältnisse und wechselseitige Rücksichtnahme angewiesen sind.

Aktuelle Urteile zum Nachbarschaftsrecht

Eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, V ZR 234/19) steht für Juni 2021 an, bei der es um die Frage geht, ob § 910 BGB greift, wenn es um mittelbare Beeinträchtigungen wie den Abfall von Nadeln oder Zapfen von Bäumen geht. Weiterhin geht es um die Frage, ob das durch § 910 BGB gewährte Selbsthilferecht des Nachbarn auch dann besteht, wenn der Baum infolge der Beseitigung des Überhangs seine Standfestigkeit verliert oder abzusterben droht.

In einem BGH-Urteil vom 27.11.2020 (V ZR 121/19) ging es um die Frage, ob es unterlassen werden muss, eine Pferdehaltung in einem Offenstall zu betreiben. Es wurde festgestellt, dass das Gebot der Rücksichtnahme zu den nachbarschützenden Normen des öffentlichen Baurechts zählt, deren Verletzung einen quasinegatorischen verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch des Nachbarn nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB begründen kann. Zu den nicht nur unwesentlichen Beeinträchtigungen zählt ein solcher Pferdestall. Dabei kommt es aber auch auf die Ortüblichkeit und die Art des Gebietes an.

Laut BGH-Urteil vom 20.09.2019 (V ZR 218/18) müssen Nachbarn Birken dulden, die Pollen auf das andere Grundstück wehen, solange der vorgeschriebene Grenzabstand bei der Pflanzung eingehalten wird. Aus dem Umkehrschluss von § 910 BGB wurde gelesen, dass der Grundstückseigentümer für natürliche Immissionen nicht verantwortlich ist und die Beeinträchtigung nicht zu schwerwiegend war.

Fazit

Nachbarn müssen sich einige Immissionen gefallen lassen, solange sie unabwendbar oder ortsüblich sind. Nicht alles, von dem sich Nachbarn gestört fühlen, kann verboten werden. Jeder Nachbar hat eben nach § 903 BGB erst einmal das Recht, mit dem eigenen Grundstück zu verfahren, wie er will. In einigen Fällen überschreitet diese Nutzung dann aber doch das, was andere dulden müssen! Die Vorschriften zum Nachbarschaftsrecht aus §§ 903 – 924 BGB und § 1004 BGB sollte man sich daher genau durchlesen und auch an analoge Anwendungen denken!

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Beitragsautor:

Lisa-Marie Schuchardt

Lisa-Marie Schuchardt

Lisa-Marie absolvierte nach ihrem Jurastudium ein Auslandsstudium in Aberdeen für den Master of Laws (LL.M.). Zu Beginn ihrer Tätigkeit bei uns schrieb sie hauptsächlich über das Studium. Im Anschluss dessen berichtete sie von ihrem Masterstudium. Außerdem leistete sie einen maßgeblichen Beitrag für unsere #Gewusst-Reihe.

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