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Gewusst

Staatsfeindlichkeit als sonstige niedrige Beweggründe (3 StR 204/24)

By 20. Januar 2025No Comments
HierZucktDeinPrüfungsamt

#HierZucktDeinPrüfungsamt im Strafrecht in Kooperation mit VRiLG Dr. Nils Godendorff

Moin zusammen,
heute empfehle ich Dir einen Beschluss des Bundesgerichtshofs – in dem nichts drin steht und der nicht veröffentlicht ist: BGH, Beschluss vom 26. November 2024 – 3 StR 204/24.

Was ist geschehen?

Das OLG Stuttgart (OLG Stuttgart, Urteil vom 15. November 2023- 7 St – 2 StE 17/22) hat in erster Instanz entschieden – als Staatsschutzsenat. Ich hatte hier Kein Sich-Bereiterklären und versuchte Anstiftung – aber doppeltes Sich-Bereiterklären schon einmal beschrieben, warum Oberlandesgerichte erstinstanzlich entscheiden und warum sie dabei in Organleihe für den Bund tätig sind.

Dieses OLG hat den Angeklagten unter anderen wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung, tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und Verstößen gegen das Kriegswaffenkontroll- sowie das Waffengesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorbehalten.

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Angeklagten gegen ein Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart verworfen. Und wenn der BGH das auf Antrag des GBA, einstimmig und auf die Revision des Angeklagten tut, dann steht in dem Beschluss nichts drin. Also, nichts, außer dem Satz, dass die Revision des Angeklagten offensichtlich unbegründet ist und deshalb verworfen wird, § 349 Abs. 2 StPO:

„Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluss entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.“

Im Ergebnis hat der (3., der Staatsschutzsenat) des BGH die Entscheidung des OLG also einstimmig für richtig gehalten und das Ganze immerhin für so wichtig gehalten, eine Pressemitteilung herauszugeben, die sich auf www.bundesgerichtshof.de findet.

(Sidenote: Unter www.bgh.de finden sich die BGH Edelstahlwerke GmbH aus Freital; die haben damals die Domain reserviert, bevor der Bundesgerichtshof seine Reservierung faxen konnte 😀 ).

Was hat das OLG entschieden und der BGH goutiert?

Nach den Feststellungen des OLG beschäftigte sich der Angeklagte seit langem mit Verschwörungstheorien, darunter auch mit solchen der sogenannten Reichsbürgerbewegung. Seit Beginn der Corona-Krise war er zudem im sogenannten Querdenkermilieu verhaftet. Infolge seiner zunehmend staatsfeindlichen Geisteshaltung beschloss er nach dem Verlust seiner Wohnung, sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurückzuziehen und ließ sich auf einem abgeschotteten Bauernhof nieder. Dort lebte er als Selbstversorger. Er sah das Gehöft und seine ihm dort zur Verfügung gestellte Wohnung als eigenständiges, jedenfalls nicht der staatlichen Rechtsordnung unterworfenes Gebiet an. Als eines morgens das SEK (mit der Ramme voran, der letzten klingelt) zur Vollstreckung eines Durchsuchungsbeschlusses zum Grundstück des Angeklagten gingen, kam der Angeklagte der Aufforderung, das Grundstück friedlich zu verlassen, nicht nach. Vielmehr feuerte er mit seinem vollautomatischen Gewehr (für die Ungedienten: das ist eines, bei dem man einmal am Abzug zieht und es macht „Brrrrrrrrrrrrt“ und nicht nur „Peng“) aus unterschiedlichen Positionen seiner Wohnung über 40 Einzelschüsse auf die Beamten, von denen zwei verletzt wurden. Etwa zwei Stunden nach dem letzten Schuss verließ der Angeklagte das Gebäude und wurde festgenommen.

Das OLG hat dabei insbesondere mit Blick auf die staatsfeindliche Tatmotivation des Angeklagten rechtsfehlerfrei das Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe bejaht.

Was ist daran neu?

Im Ausgangspunkt gilt: Niedrige Beweggründe liegen vor, wenn die Motive der Tötung nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert sind und auf tiefster Stufe stehen. Bei der Bewertung sind die Umstände der Tat sowie die Lebensverhältnisse und die Persönlichkeit des Täters in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen (BGH, Urteile vom 2. Dezember 1987 – 2 StR 559/87, BGHSt 35, 116; vom 19. Oktober 2001 – 2 StR 259/01, BGHSt 47, 128).

Ein politisches Motiv ist nicht allein deshalb als ein niedriger Beweggrund anzusehen, weil es ein politisches Motiv ist. Vielmehr sind die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen. (OLG München, Urteil vom 3. August 2016 – 7 St 5/14, BeckRS 2016, 131747). Wenn aber die politische Überzeugung, der der Angeklagte dient, schlechthin die Verneinung von Menschenwert und Menschenwürde bei jedem politischen Gegner bedeutet und der politische Grund durch die selbstsüchtige Erwartung ergänzt wird, die Tat werde ihm Anerkennung und Belohnung einbringen, dann reicht dies für die Annahme für niedrige Beweggründe aus (OGH für die britische Zone, Urteil vom 7. März 1950 – 1 StS 2/50, NJW 1950, 434).

Und in der Folge bildete sich eine Rechtsprechung heraus, nach der politische Motive zur Tötung eines Menschen „in aller Regel“ niedrige Beweggründe im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB sind (vgl. BGH, Beschluss v. 2. Mai 2018 – 3 StR 355/17, BeckRS 2018, 9611). Entschieden wurde dies aber in der Regel für die Tötung politischer Gegner, so das OLG München, Urteil vom 3. August 2016 – 7 St 5/14, zur Tötung eines kroatischen Dissidenten, KG, Urteil vom 15. Dezember 2021 – 3 StE 2/20-1, zur Tötung eines russischen Oppositionellen.

Neu und grundlegend ist an der vorliegenden Entscheidung des OLG Stuttgart, dass auch der Angriff auf staatliche Hoheitsträger aus politischen Gründen jedenfalls dann einen niedrigen Beweggrund darstellen kann, wenn dies aus einem geschlossenen antistaatlichen Weltbild heraus geschieht.

Key Takeaways und was soll ich nach der Lektüre dieses Posts wissen!?

  • Oberlandesgerichte gibt es auch in 1. Instanz
  • BGH-Beschlüsse gibt es auch ohne Begründung (sogar meist).
  • Niedrige Beweggründe gibt es auch bei politischem Widerstand gegen staatliche Hoheitsträger, jedenfalls, wenn diese aus einem geschlossenen antistaatlichen Weltbild heraus begangen werden.
  • Es gab mal einen OGH in der britischen Zone

Und nicht vergessen: Schreibt Klausuren!

Mit den besten Grüßen aus Hamburg
Nils Godendorff

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Beitragsautor:

Dr. Nils Godendorff

Dr. Nils Godendorff

Dr. Nils Godendorff ist vorsitzender Richter am Landgericht in Hamburg. Auf LinkedIn gibt Dr. Godendorff unter dem Hashtag #HierZucktDeinPrüfungsamt Hinweise zu examensrelevanten strafrechtlichen Entscheidungen. Die Reihe #HierZucktDeinPrüfungsamt in Kooperation mit Herrn Dr. Godendorff findest du auch bei JurCase!

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