#HierZucktDeinPrüfungsamt im Strafrecht in Kooperation mit VRiLG Dr. Nils Godendorff
Moin zusammen,
heute empfehle ich dir den Beschluss des 3. Strafsenates (3 StR 73/23) vom 4. April 2023. Es ist eine Grundsatzentscheidung zur Strafzumessung.
JurCase informiert:
Den Beschluss des BGH vom 04.04.2023 (3 StR 73/23) findest du kostenfrei hier auf der Seite des Bundesgerichtshofs.
Was ist passiert?
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von knapp vier Jahren verurteilt.
Worum geht es?
Die Angeklagten suchten die beiden Nebenkläger gezielt auf, prügelten mit einem Teleskopschlagstock und einem Baseballschläger gemeinsam in lebensgefährdender Weise auf sie ein und verletzten sie erheblich. Das Landgericht hat deshalb strafschärfend gewürdigt, dass es ihnen im Sinne eines dolus directus ersten Grades besonders auf die Verletzung des einen Nebenklägers ankam.
Hiergegen revidierten die Angeklagten erfolglos.
Was gibt es für Strafzumessungsgesichtserwägungen?
Ich empfehle den oben genannten Kreis, um sich das klar zu machen:
- Es gibt Strafzumessungsgesichtspunkte, die der materiellen Norm inhärent sind. Sie in der Strafzumessung erneut zu würdigen, wäre Doppelverwertung, § 46 Abs. 3 StGB. Die Norm lautet:
„Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.“ - Also: Wer betrunken Auto fährt, für den ist in die Norm und den Strafrahmen eingepreist, dass er betrunken Auto fährt und auch dass er damit abstrakt andere gefährden könnte. „Strafschärfend war zu berücksichtigen, dass der Angeklagte betrunken war und durch sein Verhalten andere gefährdet haben könnte“ ist klassische Doppelverwertung. Das würde ich mal lassen und in der Examensklausur müsst ihr das finden wie ein gutes Trüffelschwein.
- Dann gibt es die bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte. Das sind solche, die so dicht am Kerngegenstand der Norm oder des Täters sind, dass sie unbedingt gesehen und gewertet werden müssen. In der Regel solche, die zugunsten wirken. Beispiele: Die Sicherstellung der Betäubungsmittel oder der Wert des Tatfahrzeugs (vgl. BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg, 57. Ed. 01.05.2023, StGB § 46 Rn. 166).
- Und dann gibt es noch solche, die man berücksichtigen darf, aber nicht aufzählen muss: Z.B., dass der Angeklagte sich beim Wohnungseinbruchsdiebstahl immerhin vorher die Schuhe abgeputzt hat.
Warum war die Angeklagten-Revision erfolglos?
Im konkreten Fall war die Berücksichtigung der direkten Körperverletzungsabsicht keine Doppelverwertung.
Das hatte der BGH bereits vor einiger Zeit für die Tötungsabsicht ausdrücklich entschieden (BGH, Urteil vom 10. Januar 2018 – 2 StR 150/15, BGHSt 63, 54 – zur Wertigkeit der Entscheidung sei auf die BGHSt-Notierung verwiesen).
- Nunmehr hat der 3. Senat diese Rechtsprechung auf die Körperverletzung ausgeweitet. Denn:
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- Die drei Vorsatzformen haben einen unterschiedlichen Schuldgehalt.
- Die Schuldschwere steigert sich im Grundsatz vom dolus eventualis (bedingter Vorsatz) über den dolus directus zweiten Grades (direkter Vorsatz in Form der „Wissentlichkeit“) hin zum dolus directus ersten Grades (direkter Vorsatz in Form der Absicht).
- Die kriminelle Intensität des Täterwillens ist beim zuletzt genannten in der Regel am stärksten ausgeprägt. Primärziel des Absichtstäters ist der tatbestandliche Erfolg; dessen Eintritt ist nicht nur die für möglich oder sicher gehaltene Nebenfolge seines Verhaltens (BGH, Beschluss vom 07.03.2017 – 3 ARs 21/16, NStZ-RR 2017, 237, 238).
- Die Absicht kann daher auch beim Körperverletzungsdelikt als Ausdruck der Beweggründe und Ziele des Täters sowie seiner Gesinnung und des bei der Tat aufgewendeten Willens (§ 46 Abs. 2 StGB) die individuelle Schuld erhöhen und taugliches Kriterium für eine Strafschärfung sein.
Und wenn die Vorsatzform in einem Urteil nicht i.R.d. Strafzumessung erörtert wird?
Dann macht das nichts. Denn die Entscheidung, ob in der Absicht ein die Strafhöhe beeinflussender, bestimmender Strafschärfungsgrund zu sehen ist, muss das Tatgericht unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls treffen. Siehe vorhergehender Absatz, letzter Spiegelstrich: „kann“.
Was heißt das fürs Examen?
Insbesondere in der Revisionsklausur aus Anwaltssicht sollte die Vorsatzform für Dich künftig ein Warnsignal sein. Du wirst Dich mit ihr beschäftigen müssen – wenn auch aus Anwaltssicht oft erfolglos. Eine Weiterentwicklung könnte diese Rechtsprechung noch erfahren für Delikte, die man kaum bedingt vorsätzlich begehen kann.
Übrigens: Wenn Schöffinnen und Schöffen so richtig unzufrieden damit sind, dass die bösartige Verteidigung die ganze schöne Anklage, von der doch alle so überzeugt sein müssten, kaputtgemacht haben, dann zitiere ich Strafschärfungsgrund § 46 y StGB: Strafschärfend war zu sehen, wie raffiniert der Angeklagte vorging – nicht einmal der Tatnachweis gelang. Die meisten Schöffinnen und Schöffen verstehen das sogar.
Und nicht vergessen: Schreib regelmäßig Übungsklausuren!