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Fall des Monats September 2023: Die Luftpumpe als Scheinwaffe i.S.v. § 250 I Nr. 1b) StGB?

By 15. September 2023Oktober 10th, 2023No Comments
Fall des Monats

BGH, Beschluss vom 28.03.2023, Az. 4 StR 61/23

Problem: Scheinwaffe i.S.v. § 250 I Nr. 1b) StGB

Einordnung: Strafrecht BT II / Raub und räuberische Erpressung

Einleitung

Der BGH beantwortet in diesem Beschluss die Frage, ob eine Luftpumpe ein sonstiges Werkzeug i.S.v. § 250 I Nr. 1b) StGB darstellt.

Sachverhalt

Der Angeklagte A wollte der Geschädigten G ihre Handtasche wegnehmen, um sich Wertgegenstände und Bargeld zu verschaffen. Ihre Tasche hatte G, die sich rauchend vor dem Eingangsbereich einer Gaststätte befand, neben sich auf einem Tisch abgestellt. Um an die Handtasche zu gelangen, fasste A den Entschluss, G zu bedrohen, indem er ihr eine Luftpumpe nach Art eines Gewehres (Langwaffe) vorhielt. Er wollte dadurch erreichen, dass sie in der Annahme, es handele sich um eine Schusswaffe, aus Angst um ihre Gesundheit keinen Widerstand leisten und seinen Forderungen nachkommen würde. In Umsetzung seines Tatplans hielt er die Luftpumpe mit ausgezogenem Kolben und mit auf Brusthöhe angehobenen Armen vor sich und trat so auf G zu. Er hielt ihr die Luftpumpe im Abstand von 20 bis 30 Zentimetern vor das Gesicht und forderte sie auf, hineinzugehen. Wie von A beabsichtigt, erkannte G die Luftpumpe nicht als eine solche. Vielmehr besorgte sie den Einsatz einer Schusswaffe und lief daher in das Lokal. A nahm die zurückgelassene Handtasche an sich und verließ die Örtlichkeit. Bevor er sich der Tasche entledigte, entnahm er ihr das Portemonnaie der G, um es nebst Inhalt wie u.a. Bargeld zu behalten.

Hat A sich wegen schweren Raubes gem. §§ 249 I, 250 I Nr. 1b) StGB strafbar gemacht?

Prüfungsschema: Schwerer Raub, §§ 249 I, 250 I Nr. 1b) StGB

A. Tatbestand
I. Grunddelikt: § 249 I StGB
II. Qualifikation: § 250 I Nr. 1b) StGB
1. Sonstiges Werkzeug oder Mittel
2. Beisichführen
3. Vorsatz bzgl. 1. und 2.
4. Gebrauchsabsicht
B. Rechtswidrigkeit und Schuld

Leitsätze der Redaktion

  1. Die Vorschrift des § 250 I Nr. 1b) StGB erfasst grundsätzlich alle bewusst gebrauchsbereit mitgeführten Gegenstände, die als Mittel zur Überwindung des Widerstands des Tatopfers mittels Gewalt oder Drohung geeignet sind, also auch sogenannte Scheinwaffen, d. h. Gegenstände, die objektiv ungefährlich sind und deren Verletzungstauglichkeit nur vorgetäuscht wird.
  2. Vom Anwendungsbereich des § 250 Abs. 1 Nr. 1b) StGB sind allerdings solche Gegenstände auszunehmen, die für einen objektiven Beobachter schon nach ihrem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich und deshalb nicht geeignet sind, mit ihnen – etwa durch Schlagen, Stoßen, Stechen oder in ähnlicher Weise – auf den Körper eines anderen in erheblicher Weise einzuwirken.

Lösung

Durch die Bedrohung der G und das Mitnehmen der Tasche der G könnte A sich wegen schweren Raubes gem. §§ 249 I, 250 I Nr. 1b) StGB strafbar gemacht haben.

Beachte: Der BGH hat früher im Vorhalten einer (echten) Waffe wegen der beim Opfer auftretenden körperlichen Stresssymptome bereits die Anwendung von Gewalt gegen eine Person gesehen (BGH, Urteil vom 27.08.1968, 4 StR 268/69, NJW 1970, 61). Für den vom BVerfG für Gewalt geforderten körperlich wirkenden Zwang dürfte aber wohl eine körperliche Einwirkung erforderlich sein und die körperlichen
Auswirkungen einer massiven Drohung nicht ausreichen (vgl.Joecks/Jäger, StGB, § 249 Rn 19 ff.).

A. Tatbestand

I. Grunddelikt: § 249 I StGB

1. Qualifiziertes Nötigungsmittel
Durch das Vorhalten der Luftpumpe in der Art eines Gewehrs hat A mit dem Erschießen der G und somit mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben gedroht. A hat somit ein qualifiziertes Nötigungsmittel angewandt.

2. Fremde bewegliche Sache
Bei den im Eigentum der G stehenden Wertsachen, insb. dem Bargeld, handelte es sich auch um für A fremde bewegliche Sachen.

3. Wegnahme
A müsste die Sache weggenommen haben.

Beachte: Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen, Gewahrsams.

Solange die Tasche mit den Wertsachen auf einem Tisch neben G stand, hatte diese Gewahrsam daran. Es bestand also ursprünglich für A fremder Gewahrsam. Durch das Ergreifen der Tasche und das Weglaufen hat A neuen Gewahrsam begründet. Diese Gewahrsamsverschiebung müsste auch einen Gewahrsamsbruch darstellen. Nach der Spezialitätstheorie richtet sich dies nach dem äußeren Erscheinungsbild, nach der Exklusivitätstheorie ist die innere Willensrichtung des Opfers maßgeblich und eine Wegnahme gegeben, wenn das Opfer seine Mitwirkung beim Gewahrsamswechsel nicht für erforderlich hält. Vom äußeren Erscheinungsbild ist hier ein Nehmen des A gegeben und da G an dem Gewahrsamswechsel gar nicht mitgewirkt hat ist auch davon auszugehen, dass sie eine entsprechende Mitwirkung ihrerseits nicht für erforderlich hielt. Nach beiden Meinungen ist also ein Gewahrsamsbruch und somit eine Wegnahme gegeben.

Beachte:
Spezialitätstheorie: BGH, Urteil vom 20.04.1995, 4 StR 27/95, NJW 1995,2799
Exklusivitätstheorie: Joecks/Jäger, StGB, § 249 Rn 9, § 255 Rn 5

4. Vorsatz bzgl. 1. – 3.
A handelte mit Vorsatz bzgl. der objektiven Tatumstände.

5. Finalzusammenhang
A hat gedroht, um die Wegnahme zu ermöglichen, sodass der für den Raub erforderliche Finalzusammenhang gegeben ist.

6. Absicht rechtswidriger Zueignung
A hatte die Absicht, zumindest die Geldscheine und Münzen seinem Vermögen einzuverleiben (Aneignungsabsicht) und den Willen, die Berechtigte G dauerhaft aus der Eigentümerposition zu verdrängen (Enteignungswille) und handelte somit in Zueignungsabsicht. A hatte hierauf keinen Anspruch,  sodass die beabsichtigte Zueignung rechtswidrig war. A handelte auch mit Vorsatz bzgl. der Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung und somit in der Absicht rechtswidriger Zueignung.

II. Qualifikation: § 250 I Nr. 1b) StGB
A könnte auch den Qualifikationstatbestand des § 250 I Nr. 1b) StGB erfüllt haben.

1. Sonstiges Werkzeug oder Mittel.
Bei der Luftpumpe müsste es sich um ein sonstiges Werkzeug oder Mittel gehandelt haben.

„[5] aa) Die Vorschrift [des § 250 I Nr. 1b) StGB] erfasst grundsätzlich alle bewusst gebrauchsbereit mitgeführten Gegenstände, die als Mittel zur Überwindung des Widerstands des Tatopfers mittels Gewalt oder Drohung geeignet sind, also auch sogenannte Scheinwaffen, d. h. Gegenstände, die objektiv ungefährlich sind und deren Verletzungstauglichkeit nur vorgetäuscht wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind allerdings vom Anwendungsbereich des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB aufgrund einer einschränkenden Auslegung solche Gegenstände auszunehmen, die für einen objektiven Beobachter schon nach ihrem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich und deshalb nicht geeignet sind, mit ihnen – etwa durch Schlagen, Stoßen, Stechen oder in ähnlicher Weise – auf den Körper eines anderen in erheblicher Weise einzuwirken.

[6] bb) Ein derartiger Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die vom Angeklagten verwendete Luftpumpe war auch für einen objektiven Beobachter nicht offenkundig ungefährlich. Insbesondere durch ihren Einsatz als Schlagwerkzeug gegen empfindliche Körperstellen hätte mit ihr erheblich auf den Körper eines anderen eingewirkt werden können. Der Gegenstand war ‚seiner Art nach‘ dazu geeignet, von dem Opfer als Bedrohung wahrgenommen zu werden. Damit steht die vom Täter zugleich beabsichtigte Täuschung des Tatopfers hinsichtlich der von dem mitgeführten Gegenstand ausgehenden Drohwirkung – hier: als vermeintliche Schusswaffe – nicht derart im Vordergrund, dass die Anwendung von § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB den (Wort-)Sinn des Gesetzes verfehlen würde. Denn eine Täuschung des
Opfers wird bei dem Gebrauch jeder ‚Scheinwaffe‘ im Hinblick auf deren objektive Ungefährlichkeit angestrebt.“

(vgl. insoweit BGH, Urteil vom 18.01.2007, 4 StR 394/06, NStZ 2007, 332; BGH, Urteil vom 12.07.2017, 2 StR 160/16, NStZ 2017, 581)

Die Luftpumpe ist also ein sonstiges Werkzeug i.S.v. § 250 I Nr. 1b) StGB.

Beachte: Diese Relativierung der oben dargestellten einschränkenden Auslegung des § 250 I Nr. 1b) StGB erscheint durchaus sinnvoll, lässt aber einige frühere Entscheidungen in einem neuen Licht erscheinen. So hatte das AG Kassel in einem Fall, in dem der Angeklagte eine Bierflasche in die Manteltasche gesteckt hatte, um den Eindruck zu erwecken, dies sei eine echte Pistole, § 250 I Nr. 1b) StGB erneint, weil eine Bierflasche für einen objektiven Betrachter offensichtlich ungefährlich erscheinen würde (Urteil vom 08.12.2015, 1620 Js 8306/15 – 263 Ls, RA 2016, 157). Allerdings könnte man eine Bierflasche sehr wohl als Schlaginstrument einsetzen, um das Opfer erheblich zu verletzen, sodass dieser Gegenstand auf der Grundlage des aktuellen Beschlusses doch ein „sonstiges Werkzeug“ i.S.v. § 250 I Nr. 1b) StGB darstellen könnte.

2. Beisichführen
A hielt die Luftpumpe bei Begehung des Raubes in der Hand, hat sie also bei sich geführt.

3. Vorsatz bzgl. 1. und 2.
A handelte mit Vorsatz bzgl. der objektiven Tatumstände.

4. Gebrauchsabsicht
A müsste die Luftpumpe in der Absicht bei sich geführt haben, den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden. A hatte nicht nur die Absicht, unter Verwendung der Luftpumpe Gewalt anzudrohen und dadurch den Widerstand der G zu verhindern, er hat dies auch getan (s.o.).

B. Rechtswidrigkeit und Schuld

A handelte rechtswidrig und schuldhaft.

C. Ergebnis

A ist strafbar gem. §§ 249 I, 250 I Nr. 1a) StGB.

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