Eine Entscheidung des BGH, Urteil vom 17.03.2022 – 4 StR 223/21
Der strafbefreiende Rücktritt vom Versuch nach § 24 StGB ist ein beliebtes Thema vieler Examensklausuren wie auch mündlichen Prüfungen. Er bringt einige anspruchsvolle Problematiken mit sich, was ihn für die Prüfer:innen im Examen besonders attraktiv macht.
Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe entschied nun in seinem Beschluss vom 17.03.2022 darüber, unter welchen Voraussetzungen der Rücktritt eines Tatbeteiligten von einem Mordversuch bei gemeinschaftlichem Tatplan durch Unterlassen möglich ist.
Zum Sachverhalt
Im Jahr 2019 beschließen drei Schüler gemeinsam ihren Lehrer zu töten.
Der Plan der drei ist es, den Lehrer in eine Falle zu locken, indem einer der Schüler auf dem Lehrerparkplatz aufgrund eines vorgetäuschten allergischen Schocks zusammenbrechen soll. Die anderen beiden schlagen dem zur Hilfe eilenden Lehrer dann von hinten mit Hämmern den Kopf ein.
Einer der Schüler (A) beschließt dann jedoch zum geplanten Tatzeitpunkt seinen Hammer in sein Hosenbein rutschen zu lassen, sodass er nicht ohne weiteres auf diesen zugreifen kann, um den Lehrer damit zu schlagen. Von dem Plan, die Tat doch nicht wie geplant auszuführen, wissen die beiden anderen nichts. Was A wiederum nicht weiß: der Hammer des zweiten Beteiligten (B), der auf den Lehrer einschlagen sollte, befindet sich in einer Tasche, die etwas abseits von dem Geschehen liegt. Auch dieser hat also keinen unmittelbaren Zugriff auf das Tatwerkzeug.
Der Plan der Schüler, ihren Lehrer zu töten, ist damit gescheitert. Doch reicht das bloße Absehen eines Täters von seinem eigenen Tatbeitrag aus, wenn sich der Betroffene dennoch vorstellt, dass ein anderer Beteiligter die Tat ausführt?
Entscheidung des Landgericht Dortmund in erster Instanz
Dieser Frage widmete sich in erster Instanz das Landgericht (LG) Dortmund. In seiner Entscheidung vom 06.07.2020 bejahte das LG den Rücktritt des A und sprach den Angeklagten von dem Vorwurf des versuchten Mordes frei mit der Begründung, dass die objektive Tatverhinderung durch A in diesem Fall ausreiche.
Kein Rücktritt nach Ansicht des BGH
Diese Entscheidung hob der BGH nun jedoch in der Revision der Staatsanwaltschaft auf und lehnte entgegen der vorangegangenen Entscheidung den Rücktritt des A von dem Mordversuch ab.
Um zu beurteilen, ob von einem Versuch zurückgetreten wurde, muss zunächst geprüft werden, ob und zu welchem Zeitpunkt der Versuch überhaupt begonnen hat.
JurCase informiert:
Nach § 22 StGB tritt ein Täter in das Versuchsstadium ein, wenn er nach seiner Vorstellung von der Tat unmittelbar zur Tatbestandverwirklichung ansetzt.
Dies ist dann der Fall, wenn aus Sicht des Täters keine wesentlichen Zwischenschritte zur Verwirklichung des Tatbestands notwendig sind und das betroffene Rechtsgut konkret gefährdet ist. Der Täter muss subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht’s los“ überschritten haben.
Mehrere Mittäter treten in das Versuchsstadium ein, sobald auch nur einer von ihnen zu der tatbestandlichen Ausführungshandlung unmittelbar ansetzt.
Bezüglich der Frage des Versuchsbeginns folgt der BGH der Rechtsauffassung der Vorinstanz und stellt klar, dass die Tatbeteiligten in dem Moment zur Tatausführung ansetzten, als die beiden, die mit den Hämmern zuschlagen sollten, tatplangemäß hinter dem Lehrer standen, der sich zu dem vermeintlich hilfsbedürftigen Schüler herunterbeugte. Um den heimtückischen Mord durchzuführen, mussten die Tatbeteiligten die Tatwaffen bis unmittelbar vor dem Zuschlagen verbergen, um die Arglosigkeit des Opfers aufrecht zu erhalten. In dem Ziehen der Waffen einen weiteren versuchshindernden Zwischenakt zu sehen, wäre demnach eine zu enge Betrachtung des Tatgeschehens, so der BGH.
Im Gegensatz zum LG sieht der BGH in dem Verhalten des Angeklagten A jedoch keinen Rücktritt von dem Mordversuch.
„§ 24 Abs. 2 Satz 1 StGB […] verlangt ohne Rücksicht auf die Frage, ob ein beendeter oder unbeendeter Versuch vorliegt, die bewusste Verhinderung der Tatvollendung. […]
Das die Tatvollendung verhindernde Verhalten muss dabei nicht notwendig in einem auf die Erfolgsabwendung gerichteten aktiven Tun liegen. […]
Ein solcher Rücktritt eines Tatbeteiligten durch schlichtes Unterlassen kommt in Betracht, wenn nach seiner Vorstellung ohne ihn der verabredete Plan nicht zu verwirklichen ist, etwa wenn nur er über die erforderlichen Tatwerkzeuge oder Fertigkeiten verfügt […].
Gleiches gilt, wenn ein Beteiligter seinen Tatbeitrag in der begründeten Überzeugung verweigert, die anderen Tatbeteiligten würden die Tat allein aufgrund seiner Untätigkeit nicht weiter durchführen […]
Geht der Tatbeteiligte hingegen von der Gefahr der Tatvollendung durch den oder die Mittäter aus, bedarf der Rücktritt wie beim beendeten Versuch des Einzeltäters eines auf die Erfolgsabwendung gerichteten aktiven Tuns […]“
Im hier zu entscheidenden Fall lässt die bloße Verweigerung des Tatbeitrags nicht auf die subjektive Vorstellung des A schließen, dass er sein Unterlassen als geeignet und ausreichend dafür ansah, die gesamte Tat scheitern zu lassen. Insbesondere war ihm nicht bewusst, dass der andere Mittäter ebenfalls keinen Zugriff auf seine Tatwaffe hatte, weil er diese in einer nicht griffbereiten Tasche verstaut hatte. Das zeigt sich insbesondere auch darin, dass der dem anderen Beteiligten auffordernd zu zwinkerte in der Erwartung, dass dieser die Tat weiterführte. Das Verschwindenlassen des Hammers in seinem Hosenbein ist nicht mit einem aktiven Tun gleichzusetzen, was die Tatvollendung verhindern soll. Ein strafbefreiender Rücktritt des A nach § 24 Abs. 2 StGB ist demnach abzulehnen.
JurCase informiert:
Prüfungsaufbau zum Rücktritt bei mehreren Tatbeteiligten gemäß § 24 Abs. 2 StGB
I. Kein fehlgeschlagener Versuch
II. § 24 Abs. 2 Satz 1: Tat subjektiv noch vollendbar
Rücktritt durch bewusstes und gewolltes Verhindern der Vollendung
III. Freiwilligkeit
oder
II. § 24 Abs. 2 Satz 2: Tat ohne Zutun nicht vollendet (§ 24 Abs. 2 Satz 2 Var. 1) oder Begehung (Vollendung) der Tat unabhängig von früherem Tatbeitrag des Beteiligten (Var. 2)
Rücktritt durch freiwilliges und ernsthaftes Bemühen um Erfolgsabwendung
Fazit
Grundsätzlich ist ein Rücktritt vom Versuch durch bloßes Unterlassen des eigenen Tatbeitrags bei mehreren Beteiligten nicht ohne weiteres möglich, da die übrigen Beteiligten den Taterfolg noch herbeiführen könnten.
Ein Rücktritt ist zu bejahen, wenn sich die Tatbeteiligten einvernehmlich dazu entscheiden, die Tat nicht mehr fortzuführen.
Das Aufgeben nur eines Tatbeteiligten der Tat genügt jedoch nur dann, wenn nach seiner Vorstellung die Verwirklichung der Tat ohne seinen Tatbeitrag nicht möglich ist oder er davon überzeugt ist, dass die Anderen die Tat auch nicht mehr weiterführen. Abzustellen ist also immer auf die subjektive Sicht des Täters zum Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung. Es genügt nicht, wenn nach der Vorstellung des Täters, die Tatvollendung weiterhin möglich ist.
Die Moral von der Geschicht‘: Töte deinen Lehrer nicht!