Kann Jura auch kreativ sein?
Gleich zu Beginn des Referendariats stellt sich die Frage, wo man denn seine Verwaltungsstation absolvieren möchte. Denn im Gegensatz zu der Zivil- und Strafrechtsstation muss man sich als Referendar in der Verwaltungsstation selbst, und am besten auch frühzeitig um eine Stelle bemühen. Ich selbst habe meine Verwaltungsstation an einer Kunsthochschule im Ruhrgebiet absolviert und möchte dir hiervon berichten.
Wieso ausgerechnet eine Kunsthochschule?
Das Verwaltungsrecht ist sowohl unter Studierenden als auch bei Referendaren (leider) nicht sonderlich beliebt. Während sich die meisten Referendare vor allem auf die Zeit bei der Staatsanwaltschaft freuen und dort während der Sitzungsdienste den Alltag vor Gericht hautnah mitgestalten und miterleben können, gilt die Verwaltungsstation eher als langweilig. Die meisten Referendare berichteten während ihrer Zeit bei einer Behörde davon, den Großteil ihrer Zeit totschlagen zu müssen und eher gelegentlich mit „richtigen“ Aufgaben, wie etwa der Verfassung eines Bescheides, beauftragt worden zu sein. Nicht nur einige wenige klagten auch darüber, die Zeit, die sie bei der praktischen Ausbildung „vergeudeten“, hätten sie sinnvoller nutzen können – so wie etwa für die Vorbereitung auf das anstehende Zweite Staatsexamen.
Doch die Möglichkeiten, die Verwaltungsstation zu absolvieren, sind vielfältiger als man denkt. Einige meiner Referendarskollegen nutzten die Möglichkeit, ihre Station bei der Polizei oder auch beim Landtag zu absolvieren. Auch für einen Auslandsaufenthalt bietet sich die Verwaltungsstation an.
JurCase informiert:
Auch wenn Auslandsaufenthalte aufgrund der aktuellen Lage leider nicht möglich sind, ist es grundsätzlich empfehlenswert, die Verwaltungs- oder Wahlstation für einen solchen zu nutzen. Du kannst dich beispielsweise auf der Homepage des Auswärtigen Amtes oder denen der Außenhandelskammern des jeweiligen Landes informieren. Viele deutsche Kanzleien haben zudem Niederlassungen im Ausland, sodass du dich bei den Kanzleien auch direkt nach offenen Stellen erkundigen kannst. Ein vollbefriedigendes Erstes Staatsexamen ist dafür übrigens keine Mindestvoraussetzung, wenn du dich bewerben möchtest! Was du allerdings mitbringen solltest, ist Interesse an der Kultur und den Gepflogenheiten des jeweiligen Landes und ausreichend gute Englischkenntnisse.
Ich hatte mich allerdings dazu entschieden, einen atypischeren Weg zu gehen und bewarb mich an der Folkwang Universität der Künste.
Während viele meiner Kollegen darauf achteten sich eine Behörde auszusuchen, bei der man möglichst viel mit examensrelevanten Themen zu tun hat, habe ich mich letztendlich für das Prüfungsrecht entschieden. Denn seien wir mal ehrlich, mit Baurecht, Kommunalrecht und anderen klassischen Themengebieten aus dem Verwaltungsrecht wurden wir im Studium schon genug gequält. Dass das Prüfungsrecht eher weniger prüfungsrelevant war, habe ich in Kauf genommen. Schließlich sind ja auch die Arbeitsgemeinschaften genau dazu gedacht, examensrelevante Themen zu erarbeiten, sodass es kein Nachteil für mich war, meine praktische Ausbildung an einer Kunsthochschule, einer für die Verwaltungsstation eher untypischen Stätte zu absolvieren.
Ich erhoffte mir dadurch vor allem, Jura auch mal von einer anderen Seite kennenzulernen, nämlich abseits von Gerichtsverhandlungen, des Unterrichts während der Arbeitsgemeinschaften oder der ewig langen Lerneinheiten in der Bibliothek. Denn wie oft hat man als Jurist tatsächlich die Möglichkeit, mit angehenden Tänzern, Opernsängern und Designern in Kontakt treten zu können?
Mein Arbeitsalltag
An meinem ersten Tag musste ich zunächst um 9.00 Uhr bei meiner Ausbilderin sein und lernte den Rektor sowie die Mitarbeiter des Dezernats der Hochschule kennen. Meine Ausbilderin zeigte mir dann auch gleich mein Büro, welches mir für die gesamte Dauer der Verwaltungsstation zur Verfügung stand. Ich bekam sodann auch einen Dienstausweis, welcher es mir ermöglichte, in meinen Pausen vergünstigt in der Mensa und Cafeteria zu essen. Besonders reizvoll war für mich, Veranstaltungen der Studierenden kostenfrei besuchen zu können, sodass man sich nach Feierabend auch das ein oder andere Orchesterkonzert anhören oder auch eine Tanzvorführung besuchen konnte.
Zu meinen Aufgaben gehörte neben der Abfassung von Bescheiden und der Bearbeitung von Widerspruchsbescheiden auch die Teilnahme an hochschulinternen Versammlungen zwischen Studierenden und Lehrenden sowie die Überarbeitung und Optimierung von Satzungen, Geschäftsordnungen sowie Studien- und Promotionsordnungen. Während meiner Zeit an der Folkwang Universität der Künste wurde ich auch in die Bewerbungsabläufe herangeführt: Welche Qualifikationen muss ein Studieninteressierter einer Kunsthochschule mitbringen? Wie ist das Zulassungsverfahren im Einzelnen geregelt? Nach welchen Kriterien wird zum Beispiel die Mappe eines angehenden Designstudenten bewertet? Hat sich die zuständige Prüfungskommission dann tatsächlich dazu entschieden, einen Bewerber abzulehnen oder zur Eignungsprüfung zuzulassen, fiel es in meinen Zuständigkeitsbereich, einen Ablehnungs- oder Zulassungsbescheid zu erstellen. Zur Besprechung meiner Arbeiten traf ich mich dann in der Regel einmal in der Woche mit meiner Ausbilderin.
Wie war die Arbeitsauslastung?
Ich musste an drei Tagen in der Woche von jeweils 9.00 bis 16.00 Uhr vor Ort sein. Allerdings war es für meine Ausbilderin in der Kunsthochschule auch in Ordnung, wenn ich mal nur an zwei Tagen in der Woche erscheine, etwa dann, wenn AG interne Klausuren anstanden und ich mit der Vorbereitung für diese voll ausgelastet war. Die Aufgaben, die ich von meiner Ausbilderin bekam, konnte ich vor Ort gut bewältigen, sodass ich genug Zeit zum Lernen hatte oder mich auch mal Freizeitaktivitäten widmen konnte.
Tipps und Hinweise
Es ist wichtig, sich gleich zu Beginn des Referendariats frühzeitig für eine in Betracht kommende Stelle zu bewerben.Diejenigen, die besonders viel Wert darauf legen, examenstypische Inhalte zu bearbeiten, sollten sich zum Beispiel beim Rechtsamt bewerben. Vielfach zahlt es sich allerdings aus, auch unkonventionellere Stellen in Betracht zu ziehen. Schließlich ist das Referendariat auch dazu gedacht, verschiedene Tätigkeitsbereiche und Materien kennenzulernen und sich auch mal abseits von Themen wie der Erteilung einer Baugenehmigung und des Abschleppens von Fahrzeugen auszuprobieren, was im Studium leider viel zu kurz kommt.
Fazit
Ich war froh, meine Station an der Kunsthochschule „Folkwang Universität der Künste“ absolviert zu haben, was nicht zuletzt auch mit meiner sehr netten und kompetenten Ausbilderin und einer spannenden Rechtsmaterie zu tun hatte.
Zwar hatte ich zu Beginn des Referendariats Bedenken, ob es nicht sinnvoller wäre, meine Station dort zu absolvieren, wo ich auch mit examensrelevanten Gebieten in Berührung komme. Doch alles in allem war es mir persönlich dann doch wichtiger, mein Referendariat so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten und das war mit meiner Wahl der Kunsthochschule möglich. Da wir im Rahmen unserer Arbeitsgemeinschaft zudem alle prüfungsrelevanten Themen in aller Ausführlichkeit besprachen, war ich doch ganz froh, mich während meiner praktischen Ausbildung nicht auch noch damit rumärgern zu müssen.
Gerade dann, wenn euch das Verwaltungsrecht eher Frust als Lust bereitet, kann es die Motivation immens steigern, sich auch mal abseits von konventionellen Ausbildungsstätten zu bewerben und neue Eindrücke zu sammeln!