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Gewusst

Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (VGH München, 10 CS 24.1062)

HierZucktDeinPrüfungsamt

#HierZucktDeinPrüfungsamt im Strafrecht in Kooperation mit VRiLG Dr. Nils Godendorff

Moin zusammen,
heute empfehle ich Dir einen Beschluss des VGH München vom 26.06.2024 – 10 CS 24.1062, BeckRS 2024, 14713.

Moment: Im Strafrecht wird eine Entscheidung des VGH empfohlen?

Ja, ganz genau. Heute geht es um die Strafbarkeit der Parole

„From the river to the sea“,

zuvor aber insbesondere um die PrüfungsgegenständeVO und die Struktur der Staatsschutzdelikte. Und mit der Strafbarkeit haben sich die Verwaltungsgerichte bislang am intensivsten befasst.

Fangen wir vorn an: Wen interessiert diese kleine Zusammenstellung? Zum einen hoffentlich jeden Staatsbürger. Intensiver interessiert sie aber vielleicht jene, die demnächst vor einer Klausur oder eine:r Prüfer:in sitzt, die Fragen zu den Staatsschutzdelikten stellt. Dazu solltest Du Dich kurz mit der für Dein Prüfungsamt geltende PrüfungsgegenständeVO befassen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Für das Zweite Staatsexamen werden die Staatsschutzdelikte in der Regel dazugehören, für das Erste Staatsexamen dürfte das unterschiedlich ausfallen.

Die Struktur des § 86a StGB

Den Staatsschutzdelikten nähert man sich am Besten über das Inhaltsverzeichnis des StGB. Der Besondere Teil des StGB beginnt mit dem Ersten Abschnitt – Friedensverrat, Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates. Etwas flapsig ausgedrückt: In diesem und im Zweiten Abschnitt sind all jene Delikte aufgeführt, die unseren demokratisch verfassten Rechtsstaat auseinanderfliegen lassen würde, wenn man sie verwirklicht. Will sagen: Schutzzweck ist nicht das Individuum, der gute Geschmack oder das Bewahren des Anstandes. Sondern Staats-Schutz-Delikte schützen den Staat als Ganzes.

Innerhalb dieses Abschnitts lohnt sich nun erst einmal die schlichte Lektüre der Norm, am sinnvollsten § 86 StGB und § 86a StGB. Diese Normen sind für Student:innen und Referendar:innen relevant, aber auch für die Praxis: Mit einem Anteil von 33,16 Prozent an den Gesamtfallzahlen stellten diese Propagandadelikte im Jahr 2023 phänomenübergreifend die am häufigsten registrierten Delikte der Politisch motivierten Kriminalität dar.

Und wie bereits gesagt, geht es nicht um den Schutz des guten Geschmacks, nicht einmal zentral um das Verbieten von Gewaltverherrlichung oder ähnliches, sondern um den Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung. Sie soll Wiederbelebung verfassungsfeindlicher Bestrebungen verfassungswidriger Organisationen entgegenwirken (MüKoStGB/Anstötz, 4. Aufl. 2021, StGB § 86a Rn. 1).

Die Prüfungsreihenfolge

In der Prüfung gilt es deshalb zunächst, eine Partei oder Vereinigung zu benennen, die § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 4 StGB unterfällt. Das können die HAMAS, die NSDAP oder auch die PKK sein. Es lohnt sich an dieser Stelle nicht, für die Prüfung die Listen irgendwelcher erfolgreichen Verbotsverfahren auswendig zu lernen. In der Prüfung wird das Verbot mit ziemlicher Sicherheit vorgegeben werden.

Sodann muss die Parole ein „Kennzeichen“ der Organisation sein – im vorliegenden Fall „From the River to the sea“, ggf. mit dem Zusatz „Palestine will be free“. Und dies ist der „Knackpunkt“ der Prüfung, der auch im vorgenannten Beschluss des VGH dazu führte, dass Zweifel daran bestanden, dass die Parole §§ 86a, 86 StGB erfüllt und das Versammlungsverbot haltbar ist. Es hänge von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von einem erkennbaren Bezug der Parole zur HAMAS. Hier wäre in der Klausur argumentatives Geschick gefragt und vermutlich alles vertretbar (vgl. die umfassenden Nachweise in beide Richtungen im zitierten Beschluss).

Und wie ginge es weiter?

Sofern der Bezug bejaht wird, ist über § 86a Abs. 3 § 86 Abs. 3 StGB und damit die Sozialadäquanzklausel zu prüfen. Insofern ist es den Fachgerichten und Staatsanwaltschaften überantwortet (und leider auch jeder und jedem Prüfungsteilnehmer:in), in jedem Einzelfall schon auf tatbestandlicher Ebene Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zu beachten. Insofern gilt es dann, die divergierenden Rechte gegeneinander abzuwägen. Aber wenn Du erstmal da bist und unfallfrei die vorherige Prüfungsreihenfolge abgearbeitet hast, kann hier nicht mehr viel schief gehen.

Warum solltest Du die Entscheidung noch lesen?

  1. Gerade in mündlichen Prüfungen gibt es nicht wenige Prüfer:innen, die mit Ausschnitten aus Zeitungen hantieren und einfach mal so „gern etwas dazu hören“ wollen. Wenn einem dann die Struktur der Delikte bekannt ist, hilft dies ungemein, die Prüfung zu strukturieren, was leider in manchen Fällen die Prüflinge leisten müssen.
  2. In den Klausuren scheint es mir auch nicht ausgeschlossen, dass jedenfalls im Zweiten Staatsexamen verstärkt diese tagespolitisch sehr hochbrandende Thematik Gegenstand wird. Gerade in mündlichen Prüfungen gibt es nicht wenige Prüfer:innen, die mit Ausschnitten aus Zeitungen hantieren und einfach mal so „gern etwas dazu hören“ wollen. Wenn einem dann die Struktur der Delikte bekannt ist, hilft dies ungemein, die Prüfung zu strukturieren, was leider in manchen Fällen die Prüflinge leisten müssen.
  3. In den Klausuren scheint es mir auch nicht ausgeschlossen, dass jedenfalls im Zweiten Staatsexamen verstärkt diese tagespolitisch sehr hochbrandende Thematik Gegenstand wird.

Und nicht vergessen: Schreibt Klausuren!

Mit den besten Grüßen aus Hamburg
Nils Godendorff

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Beitragsautor:

Dr. Nils Godendorff

Dr. Nils Godendorff

Dr. Nils Godendorff ist vorsitzender Richter am Landgericht in Hamburg. Auf LinkedIn gibt Dr. Godendorff unter dem Hashtag #HierZucktDeinPrüfungsamt Hinweise zu examensrelevanten strafrechtlichen Entscheidungen. Die Reihe #HierZucktDeinPrüfungsamt in Kooperation mit Herrn Dr. Godendorff findest du auch bei JurCase!

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