#HierZucktDeinPrüfungsamt im Strafrecht in Kooperation mit VRiLG Dr. Nils Godendorff
Moin zusammen,
heute empfehle ich Dir einen Beschluss, in dem sich der (relativ neue) 6. Senat des BGH zur Unterschlagung positioniert. Konkret: Den Beschluss vom 29.11.2023 (6 StR 191/23). Der Beschluss lädt zum Träumen ein: Hast Du nicht auch schon mal von dem Haus (okay, nicht beweglich), dem Auto oder Fahrrad Deines Nachbarn geträumt oder gar mit jemandem darüber gesprochen, wie toll es wäre, das wäre Deins oder seins? Endlich hat der 6. Senat klargestellt: Das war keine Straftat. Träum weiter.
JurCase informiert:
Den Beschluss des sechsten Strafsenats des BGH vom 29.11.2023 (6 StR 191/23) findest du kostenfrei hier auf der Seite des Bundesgerichtshofs.
Was ist passiert?
Das LG hat den Angeklagten unter anderem wegen veruntreuender Unterschlagung in fünf Fällen verurteilt. Dagegen wandte sich der Angeklagte mit seiner zum Teil erfolgreichen Revision.
Der Angeklagte war (offenbar) Bauunternehmer und hatte fünf geleaste, ihm nicht gehörende Baumaschinen
nach Ablauf der Leasingzeit nicht herausgerückt. Das LG hatte ihn wegen aller fünf nicht herausgegebener Gegenstände wegen veruntreuender Unterschlagung verurteilt. Vier Leasinggegenstände hatte der Angeklagte weiterveräußert. In diesen Fällen hielt der BGH die Verurteilung.
Bezüglich eines weiteren Leasinggegenstandes, eines Tiefladers, hob der BGH die Verurteilung allerdings auf. Denn für diesen läge keine vollendete Zueignung vor, weil der Angeklagte den Gegenstand nicht veräußert oder sonst weitergegeben hatte. Einen Zueignungserfolg im Sinne des § 246 Abs. 1 StGB könne sich aus diesem „bloßen“ Unterlassen der Herausgabe nicht ergeben.
Was steckt dahinter:
§ 246 Abs. 1 StGB ist recht kurz:
Wer eine fremde bewegliche Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zueignet, wird […] bestraft.
Wer den Satz „Jura ist Mathe mit Worten“ ernst nimmst, könnte auf die Idee kommen, die Unterschlagung sei nichts anderes als ein Teil des Diebstahls, § 242 Abs. 1 StGB:
Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird […] bestraft.
In § 246 Abs. 1 StGB ist die Zueignung aber Teil des objektiven Tatbestandes. Bislang (BGHSt 14, 38 = NJW 1960, 684) reichte zum Erfüllen dieses objektiven Tatbestandes, dass sich der innere Zueignungswille nach außen erkennbar manifestiert. Dies konnte durch jede beliebige Handlung geschehen. Es genügte, dass die Handlung irgendwie als Betätigung des Zueignungswillens zu verstehen war. Und dafür hätte es genügen können, dass man das in einer 500 km entfernt stehenden Garage stehende fremde Fahrrad verschenkt (vgl. Sander/Hohmann NStZ 1998, 273, 276).
Und was sagt der BGH nunmehr dazu?
§ 246 Abs. 1 StGB ist ein Erfolgsdelikt – das ist die Quintessenz dessen, was der BGH ausführlich und sehr detailliert darlegt:
Zwar dürfte im Ausgangspunkt ein wie auch immer gearteter Manifestationsakt häufig mit einer Eigentumsbeeinträchtigung einhergehen; er darf auch als Beweisanzeichen für den subjektiven Tatbestand gewertet werden. Der BGH betont aber nunmehr, dass Fälle denkbar seien, in denen der jeweilige Täter sich als Eigentümer „geriert“, gleichwohl aber keinerlei Verkürzung der Positionen des Berechtigten drohe. An dieser Stelle zitiert der 6. Senat unter Vorsitz von VRiBGH Prof. Dr. Sander den Aufsatz Sander/Hohmann, NStZ 1998, 273, und dort die Seite 276, wo sich das oben zitierte Fahrrad-Beispiel findet.
Namentlich sei eine Eingrenzung auch notwendig, um die Grenze zur Versuchsstrafbarkeit (§ 246 Abs. 3 StGB) zu konturieren. Deshalb sei der Unterschlagungstatbestand – und damit notwendigerweise das Tatbestandsmerkmal „zueignet“ – auf tatsächliche Eigentumsbeeinträchtigungen zu beschränken. Und diese setzten voraus, dass die Sache oder der in ihr verkörperte wirtschaftliche Wert wenigstens vorübergehend in sein Vermögen einverleibt und den Eigentümer auf Dauer von der Nutzung ausschließt. Anders gedreht: Soll eine vollendete Unterschlagung immer schon dann gegeben sein, wenn jemand eine eindeutige Manifestation betätigt.
Warum solltest du die Entscheidung noch lesen?
- Die Angelegenheit ist durchaus nicht „gegessen“. Der Senat hat begründet, dass die entgegenstehende BGH-Rechtsprechung bestehen bleiben könne und ein Anfrageverfahren gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG nicht veranlasst sei. Denn in Bezug auf den Tieflader seien weder ein Zueignungserfolg noch ein Manifestationsakt festgestellt, so dass beide BGH-Auffassungen zum identischen Ergebnis führe. Das bedeutet aber, dass man beide Meinungen gut weiter vertreten kann.
- Es ist für Prüfungen –schriftlich wie mündlich- immer interessant, wenn ein identischer Begriff in zwei Normen unterschiedlich begriffen wird.
- Der Senat zeigt sehr schön auf, wie man anhand von Auslegungskriterien eine Begründung finden kann.
Und nicht vergessen: Schreib regelmäßig Übungsklausuren!
Mit den besten Grüßen aus Hamburg
Nils Godendorff