Problem: Untersagung des Mitführens gefährlicher Werkzeuge
Einordnung: Polizeirecht
VG Berlin, Beschluss vom 11.01.2019
1 L 363.18
EINLEITUNG
In einem Eilverfahren hatte das Verwaltungsgericht Berlin über die Rechtmäßigkeit einer bundespolizeilichen Allgemeinverfügung zu befinden, mit der unter Anordnung der sofortigen Vollziehung das Mitführen gefährlicher Werkzeuge auf bestimmten Bahnhöfen und in bestimmten Zügen in Berlin befristet untersagt wurde. Hierbei hat es sich insbesondere mit der Frage der Bestimmtheit der Verfügung und dem Vorliegen einer konkreten Gefahr auseinandergesetzt.
LEITSÄTZE (DER REDAKTION)
1. Die dem materiellen Strafrecht entlehnte Definition des gefährlichen Werkzeugs ist für Zwecke eines Verbots zur Gefahrenabwehr aufgrund der hierbei vorzunehmenden Gefahrenbewertung aus der Ex-ante-Perspektive zu unbestimmt.
2. Eine gefahrenabwehrrechtliche Allgemeinverfügung setzt als konkret-generelle Regelung das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraus.
3. Die Gefahrenschwelle wird nicht bereits durch das bloße Mitführen eines gefährlichen Gegenstandes überschritten. Damit eine konkrete Gefahr durch einen mitgeführten Gegenstand entsteht, sind vielmehr weitere freie Willensentschlüsse notwenig.
GRÜNDE
I.
Ein Einleitungssatz ist in der Praxis üblich, aber eigentlich nicht erforderlich, wenn im Rubrum unter „wegen“ eine Zusammenfassung des Streitstandes erfolgt.
Geschichtserzählung: Indikativ Imperfekt
Es sollte, etwa durch die Setzung von Anführungszeichen, deutlich gemacht werden, ob der genaue Wortlaut der Allgemeinverfügung wiedergegeben wird (wofür hier die Verwendung des Indikativ Präsens spricht) oder der Inhalt nur zusammengefasst wird (dann Konjunktiv Präsens).
Weitere Geschichtserzählung wieder im Indikativ Imperfekt
Wichtig: Wiedergabe aller Anordnungspunkte!
Begründung: Konjunktiv Präsens
Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung
In Berlin ist grds. ein Widerspruchsverfahren durchzuführen.
Begründung des Widerspruchs: Konjunktiv Präsens
Antragstellung: Indikativ Perfekt
Üblicherweise wird zu Beginn der Prozessgeschichte I nicht der Antrag wiedergegeben, sondern formuliert: „Am selben Tag hat er einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt.“
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.
Anträge: Indikativ Präsens
Die (stillschweigende) Korrektur eines nur leicht fehlerhaften Antrags wird üblicherweise durch die Verwendung des Einschubs „sinngemäß“ kenntlich gemacht. Einer Auslegung des Antrags zu Beginn der Entscheidungsgründe bedarf es dann nicht.
Begründung: Konjunktiv Präsens
II.
Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, zweite Alternative VwGO statthafte Antrag ist zulässig. Der Antragsteller ist insbesondere antragsbefugt. Dies wäre nur dann nicht der Fall, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Antragsteller behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können. Vorliegend ist es möglich, dass der Antrag-steller in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG betroffen ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob er regelmäßig gefährliche Werkzeuge im Sinne der Allgemeinverfügung in deren räumlichen und zeitlichen Geltungsbereich mit sich führt. Denn wegen der an die Art der konkreten Verwendung anknüpfenden Definition des gefährlichen Werkzeuges ist nicht auszuschließen, dass die Bundespolizei einzelfallbezogen auch Alltagsgegenstände als gefährlich qualifiziert und diese somit unter das Verbot fallen.
Ergebnissatz voranstellen.
Zulässigkeit: Hier sollten in der Klausur grundsätzlich (knappe) Ausführungen zur Statthaftigkeit und zu ggf. weiteren problematischen Punkten – wie hier der Antragsbefugnis – erfolgen.
Begründetheit
In der Klausur bietet es sich an, nach dem Ergebnis der Begründetheitsprüfung zunächst den Prüfungsmaßstab des § 80 V 1 VwGO darzulegen und dann – etwa einleitend mit „Hiernach … / Nach diesen Maßstäben …“ – das Ergebnis der Subsumtion (im Urteilsstil).
Formale Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Vollziehungsanordnung: § 80 III VwGO
Darlegung der allgemeinen Grundsätze
OVG Münster, Beschluss vom 11.2.2014, 15 B 69/14, juris Rn 8; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.3.2018, OVG 11 S 12.18, juris Rn 22
Subsumtion des konkreten Sachverhalts
Interessenabwägung = materielle Rm. der Anordnung der sofortigen Vollziehung
Prüfung der Allgemeinverfügung
Rechtsgrundlage für die Allgemeinverfügung. Ist in einer Klausur vollständig zu zitieren.
§ 3 I BPolG legt die sonderpolizeiliche Zuständigkeit der Bundespolizei als Bahnpolizei fest. Dies wäre besser im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit unter dem Stichwort „Zuständigkeit“ geprüft worden.
Die Bestimmtheit eines VA ist kann alternativ auch in der materiellen Rechtmäßigkeit geprüft werden.
Achtung: Da hier eine Bundesbehörde handelt, ist das VwVfG des Bundes einschlägig!
Darlegung der allgemeinen Grundsätze
Subsumtion
Es ist nicht klar, was ein „gefährliches Werkzeug“ ist.
Aus dem Unterschied zwischen präventiver Gefahrenabwehr und repressiver Strafverfolgung folgt, dass die strafrechtliche Definition des gefährlichen Werkzeugs für Maßnahmen der Gefahrenabwehr untauglich ist.
Ebenfalls zu unbestimmt: Merkmal „benutzen“ und Ausnahmeregelungen
Tatbestandsvoraussetzung: Prüfung des Vorliegens einer Gefahr
Auch im Rahmen des BPolG gilt die allgemeine aus dem Landespolizeirecht bekannte Gefahrendefinition.
BVerwG, Urteil vom 3.7.2002, 6 CN 8/01, juris Rn 35; OVG Koblenz, Urteil vom 27.3.2014, 7 A 10993/13, juris Rn 28
Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, § 14 BPolG Rn 25f.
Auch für den Erlass einer gefahren- abwehrrechtlichen Allgemeinverfügung ist Voraussetzung, dass eine konkrete Gefahr vorliegt.
BVerwG, Urteil vom 17.8.2011, 6 C 9/10, juris Rn 51
Abgrenzung konkrete und abstrakte Gefahr
Definition „abstrakte Gefahr“
Subsumtion: Immer Ergebnissatz voranstellen (Urteilsstil!).
Entscheidend ist, ob die Gefahrenschwelle überschritten wird:
Verneint für das bloße Mitführen der verbotenen Gegenstände.
Verneint auch im Hinblick auf das Mitführen unter dem Einfluss berauschender Mittel.
Verneint auch unter Berücksichtigung der Beschaffenheit von Bahnhöfen und Zügen.
Störerauswahl:
Hier fehlerhaft, weil die Voraussetzungen für ein Vorgehen gegen Nichtstörer nicht vorlagen.
Kein Vorliegen einer qualifizierten Gefahr
Definition der gegenwärtigen Gefahr; s. Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, § 20 BPolG, Rn 4
Erst-Recht-Schluss; eine weitere Prüfung erübrigte sich daher.
Da die Allgemeinverfügung bereits mangels Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen rechtswidrig ist, war auf die Ermessensausübung nicht mehr einzugehen. In der Praxis stützen Gerichte ihre Entscheidungen freilich nicht selten auf mehrere Gründe, um sie „beschwerde“- bzw. „berufungssicherer“ zu machen.
Da die Zwangsmittelandrohung – anders als im Landesrecht – nicht kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist, muss der Antrag auch hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung auf „Wiederherstellung“ und nicht auf „Anordnung“ der aufschiebenden Wirkung lauten.
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.3.2007, OVG 1 S 31.07, juris Rn 8
FAZIT
Im Rahmen eines Antrags nach § 80 V VwGO behandelt der Beschluss examensrelevante Probleme aus dem allgemeinen und besonderen Verwaltungsrecht: Mit der Frage nach der Bestimmtheit der Allgemeinverfügung beschäftigt sich das Gericht mit einer sowohl im Examen als auch in der Praxis häufigen Problematik a us d em allgemeinen Verwaltungsrecht. D ie Entscheidung thematisiert ferner Grundfragen des Polizeirechts (Gefahrenprognose, Inanspruchnahme eines Nichtstörers), wobei die Besonderheit darin besteht, dass nicht das Handeln einer Landespolizeibehörde, sondern der Bundespolizei zu prüfen war. Dies stellt für Examenskandidaten zwar grundsätzlich eine Herausforderung dar, die Entscheidung zeigt aber, dass – wie bei unbekannten Konstellationen regelmäßig – kein Sonderwissen gefordert wird. Auch im Rahmen des Handelns der Bundespolizei gelten nämlich die allgemeinen aus dem Landespolizeirecht bekannten Grundsätze. Darüber hinaus ist die Entscheidung nicht zuletzt wegen der ausführlichen Darlegung der allgemeinen Rechtsgrundsätze und der anschaulichen Subsumtion des konkreten Sachverhalts besonders lehrreich.