Problem: Kündigung eines Schulvertrages nach Geschlechtswechsel des Schülers
EINORDNUNG: DIENSTVERTRAGSRECHT
LG Aachen, Urteil vom 14.04.2020
12 O 303/19
EINLEITUNG
Die selten vorkommende Intersexualität beruht auf biologischen Ursachen, entweder auf Abweichungen der Geschlechtschromosomen oder auf genetisch bedingten hormonellen Entwicklungsstörungen. Sie kann aufgrund einer Chromosomenanalyse festgestellt werden. Die Zuordnung zu einem Geschlecht ist aufgrund der sich zeigenden Geschlechtsmerkmale uneindeutig. Transsexuelle hingegen, sind aufgrund der Geschlechtsmerkmale biologisch einem Geschlecht zuzuordnen, fühlen sich aber dem anderen Geschlecht zugehörig. Der vorliegende Fall behandelt die Zulässigkeit der Kündigung des Schulvertrages durch einen Schulträger, der eine Mädchenschule betreibt und nunmehr statt einer Lilly einen Linus in der Klasse sitzen hat.
JurCase informiert:
Anmerkung der Redaktion: Gemeint sind hier transidente Menschen (oder auch Transgender). Der Begriff „Transsexuelle“ wird teilweise abgelehnt, da er fälschlicherweise als sexuelle Orientierung kategorisiert wird und aus einem medizinischen Kontext stammt, bei dem “Transsexualität” als psychische Störung definiert wird.
Der Begriff „Intersexualität“ gilt ebenfalls als veraltet und wird mit „Intergeschlechtlichkeit“ ersetzt. Inter* Menschen sind Menschen, deren körperliches Geschlecht (beispielsweise die Genitalien oder die Chromosomen) nicht der medizinischen Norm von ‚eindeutig‘ männlichen oder weiblichen Körpern zugeordnet werden kann, sondern sich in einem Spektrum dazwischen bewegen.
LEITSATZ
Die Zugehörigkeit eines Schülers zum männlichen Geschlecht rechtfertigt keine Kündigung durch die monoedukative Schule.
SACHVERHALT
B ist Trägerin der C-Schule in E, die der 15-jährige K seit der 5. Klasse und zuletzt in der 10. Klasse besuchte. Der Unterricht an der C-Schule fand in der Vergangenheit monoedukativ in Mädchenklassen statt. Seit mehreren Jahren wird ab der 10. Klasse in einem Kurssystem unterrichtet, bei dem die Schülerinnen der C-Schule aufgrund einer Kooperation mit anderen Schulen einzelne Kurse auch zusammen mit Schülern anderer Schulen besuchen. Seit dem Schuljahr 2018/2019 werden außerdem reine Jungenklassen ab der 5. Klasse aufgebaut. K wurde ursprünglich mit dem Vornamen Lilly und als dem weiblichen Geschlecht zugehörig im Geburtenregister eingetragen. Er fühlt sich aber seit der Pubertät dem männlichen Geschlecht zugehörig, was er Mitte 2017 seinen Eltern und Mitte 2018 in der Schule bekannt gab. Im Januar 2018 stellte der Zeuge Dr. T die Diagnose einer Störung der Geschlechteridentität in Form des Transsexualismus. Nach dem Outing des K kündigte der Schulleiter der C-Schule in einem Elterngespräch im Oktober 2018 an, K müsse die Schule wechseln. Nach weiterer Korrespondenz und einer Klassenpflegschaftssitzung wurde diese Forderung zunächst nicht erneut geäußert. K verfügt über gute Schulnoten, wonach er zum Besuch der gymnasialen Oberstufe berechtigt ist. Er ist gut integriert und zieht sich zum Sportunterricht in der Toilette um. Durch Beschluss des Amtsgerichts Köln wurde der Vorname des K von ‚Lilly‘ zu ‚Linus‘ geändert und festgestellt, dass er als dem männlichen Geschlecht zugehörig anzusehen ist. Hierauf sprach B schriftlich am 12.07.2019 die fristlose Kündigung des Schulverhältnisses zum Ende des Schuljahres 2018/2019 zum 31.07.2019 aus.
Zur Begründung gibt B an, muslimische Schülerinnen fühlten sich gestört und würden aufgrund der Anwesenheit nun Kopftücher tragen. Ferner habe sich K im Herbst 2018 in sozial auffälliger und missbilligenswerter Weise verhalten. Er habe u.a. seine ehemalige Klassenlehrerin in sozialen Medien in herabwürdigender Weise beschimpft. Nach einem Gespräch mit der Schulleitung vom 08.10.2018 habe K eine Unterschriftenaktion per Instagram gegen die Verweisung eines transsexuellen Schülers veranlasst, die einen „shitstorm“ gegen die Schule im Internet ausgelöst habe. K begehrt die Feststellung, dass der Schulvertrag nicht durch Kündigung beendet wurde. Zu Recht?
LÖSUNG
A. Abschluss eines Schulvertrages
K müsste mit B einen Schulvertrag geschlossen haben.
[16] Der Schulvertrag mit einer privaten Ersatzschule stellt einen Dienstvertrag im Sinne der §§ 611 ff. BGB dar.
[BGH, Urteil vom 16.01.1984, II ZR 100/83; OLG Köln, Urteil vom 20.03.2020, 20 U 240/19]
B. Beendigung des Schulvertrages durch Kündigung
Fraglich ist, ob B den Schulvertrag mittels Kündigung beendet hat. B erklärte gegenüber K am 12.07.2019 schriftlich die Kündigung des Schulvertrages. Fraglich ist, ob B sich auf einen Kündigungsgrund berufen kann.
I. Kündigungsgrund gem. § 627 BGB
B könnte einen Kündigungsgrund gem. § 627 BGB haben. Ein solcher setzt erstens voraus, dass das Dienstverhältnis kein Arbeitsverhältnis ist. Ein Arbeitsverhältnis kommt mangels Weisungsgebundenheit der B im Sinne des § 611a BGB von vornherein nicht in Betracht. Ein Kündigungsgrund aus § 627 BGB setzt ferner voraus, dass das Dienstverhältnis dauerhaft angelegt ist und der Dienstberechtigte an den Dienstverpflichteten feste Bezüge zu leisten hat. Dies ist hier der Fall.
Schließlich muss der Dienstverpflichtete Dienste höherer Art leisten, die auf Grund besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen. Dies erscheint problematisch, weil die Schüler in einer Privatschule nicht von einem bestimmten Lehrer, sondern von mehreren, auch wechselnden Lehrern unterrichtet werden.
[Voraussetzungen des § 627 BGB]
[21] Die Regelung zur fristlosen Kündigung bei Vertrauensstellung nach § 627 BGB kommt nicht zur Anwendung. Bei der von der beklagten Partei vertraglich zu erbringenden Leistung in Form der Beschulung des Klägers zu 3) handelt es sich um keine Dienste höherer Art im Sinne des § 627 BGB. Dienste höherer Art sind solche, die überdurchschnittliche Kenntnisse oder Fertigkeiten erfordern oder den persönlichen Lebensbereich betreffen und die ihrer Art nach üblicherweise nur infolge besonderen, das heißt persönlichen Vertrauens übertragen zu werden pflegen. Dementsprechend muss der Ausführung der Tätigkeit eine persönliche Beziehung zwischen den Vertragspartnern zu Grunde liegen. Dies ist für den Privatschulvertrag abzulehnen, da die Beschulung in der Regel nicht durch einen ganz bestimmten Lehrer oder auch nur eine bestimmte Gruppe von Lehrern erfolgen soll, auf die sich ein besonderes persönliches Vertrauen beziehen könnte. Auch die Eigenschaft der beklagten Partei als kirchliche Institution führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Für den Abschluss eines Schulvertrages dürfte die Qualität der erwarteten Dienstleistung an einer bestimmten Schule entscheidend sein und nicht ein besonderes persönliches Vertrauen in den dahinterstehenden Schulträger.
[Definition Dienst höherer Art]
[Entscheidend ist die persönliche Beziehung, BGH, Urteil vom 13.11.2014, III ZR 101/14]
[Nicht auf den einzelnen Lehrer oder auf den Schulträger, sondern auf die Schule kommt es beim Schulvertrag an, OLG Köln, Urteil vom 20.03.2020, 20 U 240/19.]
Folglich kann sich B nicht auf den Kündigungsgrund des § 627 BGB berufen.
II. Kündigungsgrund gem. § 626 BGB
Fraglich ist, ob sich B auf den zur außerordentlichen fristlosen Kündigung berechtigenden Grund des § 626 BGB berufen kann. Hierzu müsste erstens ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 I BGB vorliegen. Zweitens müsste B die Frist des § 626 II BGB eingehalten haben.
[23] Ein zur außerordentlichen Kündigung berechtigender wichtiger Grund liegt vor, wenn Tatsachen vorliegen, die unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertrages für den Kündigenden unzumutbar machen. Dabei gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das ultima ratio-Prinzip. Es muss zum einen ein an sich wichtiger Grund vorliegen, der zum anderen auch im konkreten Einzelfall zu einer Kündigung berechtigt. Zu den Umständen des Einzelfalls gehören etwa Gewicht und Auswirkung einer vertraglichen Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens sowie die bisherige Dauer des Vertragsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Grundsätzlich liegt ein wichtiger Grund im Bereich des Schulrechts vor, wenn der Schüler eine der (ungeschriebenen) Schulordnung offensichtlich zuwiderlaufende grob fehlerhafte Verhaltensweise zeigt, die das Ordnungsgefüge einer Schule nicht unerheblich in Mitleidenschaft zieht und die schulische Ordnung in einem Maße stört, dass die Schule Gefahr läuft, ihren Erziehungsauftrag gegenüber den übrigen Schülern nicht mehr hinreichend zu erfüllen.
[Das Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung gem. § 626 BGB ist ein scharfes Schwert. Die Kündigung muss sowohl ultima ratio als auch verhältnismäßig sein.]
[In der Schule ist man nicht allein. Die Schule hat einen Erziehungsauftrag gegenüber all ihren Schülern.]
[Brandenburgisches OLG, Urteil vom 05.07.2006, 13 U 41/06]
[24] Auf ein entsprechendes Fehlverhalten kann die streitgegenständliche Kündigung aber nicht gestützt werden. Soweit von der beklagten Partei eine Reihe von Vorfällen aus Herbst 2018 geltend gemacht werden, in denen sie ein Fehlverhalten des Klägers zu 3) sieht, ist dieser Vortrag schon deshalb nicht geeignet, die im Juli 2019 ausgesprochene Kündigung zu stützen, weil diesbezüglich die Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2 BGB offensichtlich nicht gewahrt ist.
[Die Schule hatte hier die Frist versäumt. Das behauptete Fehlverhalten aus dem Jahr 2018 kann keine Begründung für eine auf § 626 BGB gestützte Kündigung liefern, die erst am 12.07.2019 erklärt wird.]
[25] Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist aber auch unter Abwägung der Interessen des Beklagten einerseits und des Klägers zu 3) andererseits abzulehnen. Unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls ist der beklagten Partei eine weitere Beschulung des Klägers zu 3) – ggf. auch bis zur erfolgreichen Ablegung der Abiturprüfungen – zumutbar. Maßgeblich für die Interessenabwägung im vorliegenden Fall sind auf Seiten des Klägers zu 3) das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG und auf Seiten der beklagten Partei die von Art. 7 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG geschützte Privatschulfreiheit und die über Art. 12 Abs. 1 Satz 2, 19 Abs. 3 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit. Die Privatschulfreiheit garantiert die Umsetzung verschiedenster Erziehungsziele und Bildungsideen und ist damit Ausdruck eines in einer demokratischen Gesellschaft unabdingbaren Pluralismus, der in der Vielfalt des kulturellen, bildungspolitischen, religiösen und weltanschaulichen Unterrichts zum Ausdruck kommen soll. Kennzeichnend für Privatschulen ist deshalb ein Unterricht eigener Prägung, insbesondere im Hinblick auf die Erziehungsziele, die weltanschauliche Basis sowie die Lehrmethoden. Zugunsten der beklagten Partei ist zu berücksichtigen, dass an der St. Angela-Schule monoedukativer Unterricht stattfindet, was für das Schulprofil von wesentlicher Bedeutung ist. In der gymnasialen Oberstufe, in die der Kläger zu 3) beabsichtigt aufgenommen zu werden, befinden sich ausschließlich Schülerinnen. Eine Jungenklasse in der Oberstufe gibt es derzeit noch nicht. Die monoedukative Ausrichtung einer Privatschule verstößt auch nicht gegen die aus Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG folgende, mit Art. 3 Abs. 3 GG deckungsgleiche Maßgabe, Frauen und Mädchen beziehungsweise Jungen und Männer nicht aufgrund ihres Geschlechts nachteilig zu behandeln. Die Schule beziehungsweise die beklagte Partei handeln dabei in Ausübung ihrer grundrechtlichen Freiheit und nicht als Grundrechtsverpflichtete. Danach ist anzunehmen, dass die beklagte Partei aufgrund des im Grundsatz monoedukativen und insoweit auch durch die Privatschulfreiheit geschützten Konzepts C-Schule den Kläger zu 3) – wäre dieser schon damals dem männlichen Geschlecht zugehörig gewesen – nicht verpflichtete gewesen wäre, diesen aufzunehmen. Daraus folgt aber nicht, dass es der beklagten Partei auch möglich sein müsste, den Schulvertrag mit dem Kläger zu 3) aufgrund dessen späteren Wechsels der geschlechtlichen Zugehörigkeit zu beenden. Im Rahmen einer Interessenabwägung zur Feststellung eines zur Kündigung berechtigenden wichtigen Grundes hat das Landgericht Bonn in seinem Urteil vom 20.03.2015 die Grundrechtsposition eines Privatschulträgers, der sich durch eine weltanschauliche Neutralität kennzeichnete, höher gewertet als die Religionsfreiheit einer Schülerin, ein Kopftuch zu tragen. Die Religionsausübungsfreiheit etwa in Form des Tragens eines Kopftuchs ist aber mit dem hier betroffenen Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nur bedingt vergleichbar. Zu beachten ist, dass zwar auch für die Religionsfreiheit unter anderem darauf verwiesen wird, dass religiöse Vorschriften und Gebräuche für Gläubige gegebenenfalls eine ‚psychologische‘ Verpflichtung/Handlungsmaxime begründen können. Der Kläger zu 3) stand aber aufgrund der diagnostizierten Störung der Geschlechteridentität in Form des Transsexualismus unter nicht unerheblichem körperlichem und psychischem Leidensdruck. Die Frage, zu welchem Geschlecht sich eine Person zugehörig fühlt, ist nach der Auffassung der Kammer für den Betroffenen als schwerwiegender zu beurteilen als beispielsweise religiöse Gebote. Das Recht sich in diesem prägenden und weitreichenden Bereich der Persönlichkeit frei zu entwickeln, ist als überaus hoch zu gewichten. Dem Kläger ist es auch nicht zuzumuten, hierzu an eine andere Schule zu wechseln, die nicht das monoedukative Prinzip verfolgt. Maßgeblich ist, dass für die Entscheidung des Klägers zu 3) ein psychologischer und körperlicher Leidensdruck glaubhaft gemacht wird, weshalb sich diese Entscheidung nicht als eine rein freiwillige oder willkürliche dargestellt, die als Konsequenz auch die Pflicht zum Besuch einer anderen Schule rechtfertigen würde. Hinzu kommt, dass auch der Schulfrieden nach den berücksichtigungsfähigen Umständen nicht gestört ist. Hinweise auf eine soziale Auffälligkeit des Klägers zu 3) bestehen nicht. Ausweislich der vorgelegten aktuellen Zeugnisse verfügt der Kläger zu 3) über gute Schulnoten. Der Vortrag der beklagten Partei zu Vorfällen im Jahr 2018 ist – wie bereits aufgezeigt – hierbei nicht zu berücksichtigen. (…)
[Das LG Aachen zieht bei der Interessenabwägung Normen aus dem Grundgesetz heran, weil es sich bei § 626 BGB um eine Generalklausel handelt. Generalklauseln sind Einlasstore für die mittelbare Drittwirkung von Grundrechten in das Privatrecht.]
[Zur Privatschulfreiheit: LG Bonn, Urteil vom 20.03.2015, 1 O 365/14; BVerfG, Beschluss vom 23.11.2004, 1 BvL 6/99]
[Prägung der St. Angela-Schule: Monoedukativer Unterricht]
[Zur rechtlichen Zulässigkeit monoedukativer Schulen, BVerwG, Urteil vom 30.01.2013, 6 C 6/12]
[Interessanter Aspekt des Urteils: Die Schule hätte ihn als Jungen nicht aufnehmen müssen. Daraus folgt nach Ansicht des LG Aachen aber nicht zwingend das Recht, den Schulvertrag nach dem Wechsel der geschlechtlichen Zugehörigkeit zu beenden.]
[Weiterer interessanter Aspekt des Urteils: Der vorliegende Fall ist nicht vergleichbar mit dem Fall des LG Bonn, Urteil vom 20.03.2015, 1 O 365/14, in dem einer Schule recht gegeben wurde, die einer Schülerin das Tragen des Kopftuchs verboten hatte.]
[26] Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn die beklagte Partei einwendet, muslimische Schülerinnen würden sich durch die Anwesenheit des Klägers zu 3) gestört fühlen und nunmehr anfangen, Kopftuch zu tragen, da es bereits gemischte Kurse gibt. Gleiches gilt für den Einwand der beklagten Partei in Bezug auf den für Mädchen ausgerichteten Sportunterricht. Insbesondere das behauptete Problem von fehlenden getrennten Umkleiden dürfte zu lösen sein.
Damit steht fest, dass B kein Kündigungsrecht gem. § 626 BGB zustand.
III. Kündigungsgrund gem. § 624 BGB
Fraglich ist, ob sich die Kündigung auf § 624 BGB stützen lässt.
[28] Eine wirksame Kündigung kann auch nicht auf § 624 BGB gestützt werden. Der Sinn und Zweck der Vorschrift stehen einer Anwendung im vorliegenden Fall entgegen. § 624 BGB bezweckt den Schutz des Dienstverpflichteten vor einer übermäßigen Beschneidung seiner persönlichen und beruflichen Freiheit. Hintergrund für die Kündigung der beklagten Partei ist nicht die Wahrung ihrer persönlichen oder beruflichen Freiheit als solcher. Sie beabsichtigt weder die Einstellung des von ihr bislang erbrachten Schulbetriebs als solchen noch auch nur dessen grundlegende Umstrukturierung. Mit der ausgesprochenen Kündigung bezweckt ist allein der Ausschluss des Klägers zu 3) von der Teilhabe an dem Schulbetrieb aufgrund besonderer in dessen Person begründeter Umstände. Jedenfalls nach § 242 BGB ist es der beklagten Partei unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Rechtsausübung verwehrt, im vorliegenden Fall Rechte aus einer Kündigung nach § 624 BGB herzuleiten.
[Ohne Kenntnisse würde man § 624 BGB aufgrund seines Wortlautes in einer Klausur ohne weiteres anwenden. Das LG Bonn erklärt hier anschaulich den Sinn und Zweck des § 624 BGB.]
IV. Kündigungsrecht gem. § 314 BGB
Fraglich ist, ob sich die Kündigung auf § 314 BGB stützen lässt.
[29] Für einen Anwendung von § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB ist neben § 626 Abs. 1 BGB kein Raum. Im Übrigen würde aber auch eine Kündigung nach § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraussetzen, an dem es hier – wie aufgezeigt – fehlt. Für einen Rückgriff auf § 313 BGB wegen Störung der Geschäftsgrundlage gilt entsprechendes.
V. Vorliegen eines ordentlichen Kündigungsgrundes
Fraglich ist, ob die Kündigung vom 12.07.2019 zumindest hilfsweise auf einen ordentlichen Kündigungsgrund gestützt werden kann. Dies könnte im Wege der Auslegung (§§ 133, 157 BGB) oder im Wege der Umdeutung gem. § 140 BGB geschehen.
[18] Ob die Erklärung der beklagten Partei im Schreiben vom 12.07.2019, mit welchem sie erklärt hat, den Schulvertrag fristlos zu kündigen, auch als (hilfsweise) ordentliche Kündigung ausgelegt oder ggf. in eine solche umgedeutet werden könnte, oder die beklagte Partei eine ordentliche Kündigungen zu einem späteren Zeitpunkt ausgesprochen hat, kann vorliegend dahinstehen. Eine ordentliche Kündigung des Schulvertrags zum Ende des Schulhalbjahrs oder Ende des Schuljahrs kommt nicht in Betracht.
C. Ergebnis
Die Kündigung vom 12.07.2019 erfolgte ohne Grund. Der Schulvertrag besteht fort.
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