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Fall des Monats Juni 2024: Verabredung zur Anstiftung gem. § 30 II StGB

By 18. Juni 2024No Comments
Fall des Monats

Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 29.11.2023, Az.: 6 StR 179/23

Problem: Verabredung zur Anstiftung gem. § 30 II StGB

Einordnung: Strafrecht AT II / Täterschaft und Teilnahme

In Kooperation mit Jura Intensiv präsentieren wir dir den #examensrelevanten Fall des Monats. Dieser bietet einen Sachverhalt mit Fragestellung, sodass der Fall eigenständig gelöst werden kann. Die hier präsentierten Lösungen enthalten in aller Regel auch weiterführende Hinweise für eine optimale Examensvorbereitung.

Einleitung

Der BGH befasst sich im vorliegenden Urteil mit der Frage, ob eine Verabredung zur Anstiftung zum Verbrechen gem. § 30 II StGB auch dann gegeben sein kann, wenn der anzustiftende Haupttäter noch gar nicht feststeht.

Sachverhalt

Der Angeklagte L suchte eine Person, die gegen Zahlung von bis zu 10.000 € bereit war, seinen Nachbarn Ha wegen des zwischen ihnen bestehenden Zerwürfnisses, zahlloser Streitigkeiten und aus Rache für dessen Strafanzeigen unter Ausnutzung von dessen Arg- und Wehrlosigkeit zu töten. Da L nicht die erforderlichen Kontakte hatte, sprach er im Sommer 2021 den Angeklagten H an, und beide verabredeten eine gemeinsame Suche nach einem Täter, wobei H sich das Anliegen des L, Ha zu beseitigen, zu eigen machte, in der Folgezeit Absprachen mit Personen aus seinem Bekanntenkreis traf und den Kontakt zu L herstellte. L strebte eine Tatausführung vor Weihnachten 2021 an, weil er wegen der auf die Strafanzeigen des Ha hin eingeleiteten Strafverfahren befürchtete, alsbald verhaftet zu werden. H war bewusst, dass gerade durch sein Tätigwerden ein Täter gefunden werden und es nach endgültiger Einigung und Beauftragung durch L zu der Gewalttat kommen könnte. Es bestand zwischen H und L keine Abrede dahin, dass L eine von H vermittelte Person auf jeden Fall beauftragen würde. Ferner blieb es L unbenommen, selbst nach einem möglichen Täter zu suchen und diesen ohne Einbindung des H zu beauftragen.

Strafbarkeit von H und L?

Leitsätze

  1. Die Verabredung zur Anstiftung zu einem Verbrechen (§ 30 Abs. 2 Variante 3 Alt. 2 StGB) setzt eine vom ernstlichen Willen getragene Einigung von mindestens zwei Personen voraus, gemeinschaftlich einen Dritten zur Begehung eines bestimmten Verbrechens anzustiften.
  2. Der Verwirklichung steht nicht stets entgegen, dass im Zeitpunkt der Übereinkunft die Person des präsumtiven Täters noch nicht feststeht und unklar ist, ob überhaupt ein solcher gefunden und bestimmt werden kann

Jura Intensiv informiert:

PRÜFUNGSSCHEMA: VERABREDUNG ZUR ANSTIFTUNG ZU EINEM VERBRECHEN, § 30 II StGB

A. Tatbestand
I. Verabredung mit einem anderen, zu einem Verbrechen anzustiften
II. Vorsatz bzgl. I.

B. Rechtswidrigkeit und Schuld

C. Kein Rücktritt gem. § 31 StGB

Hinweis: Bei der Prüfung der versuchten Anstiftung, § 30 I StGB, ist es sinnvoll, einen Versuchsaufbau zu wählen. Immerhin erfasst § 30 I StGB vor allem solche Fälle, in denen es zu einem Anstiftungserfolg nicht gekommen ist.

Da bei § 30 II StGB die strafbegründende Handlung – das Bereiterklären, Annehmen des Erbietens oder die Verabredung – tatsächlich erfolgt ist, ist hier neben einem am Versuchsschema orientierten Aufbau auch eine Prüfung wie bei einer vollendeten Tat möglich, der hier der Vorzug gegeben wird.

Lösung

A. Strafbarkeit von H und L gem. §§ 211, 30 I StGB

Eine Strafbarkeit von H und L wegen einer gemeinschaftlichen versuchten Anstiftung zum Mord gem. §§ 211, 30 I StGB scheidet aus.

H und L hätten für einen solchen Anstiftungsversuch auf einen konkreten potenziellen Haupttäter einwirken und diesem die Begehung einer konkreten, in wesentlichen Zügen bereits vorgegebenen Haupttat antragen müssen.

Auch wenn H bereits Personen aus seinem Bekanntenkreis angesprochen hatte, ging es nur darum, deren allgemeine Bereitschaft zu ermitteln, vielleicht eine solche Tat zu begehen und noch nicht darum, einen konkreten Tatentschluss hervorzurufen.

„[6] Das Landgericht hat eine Strafbarkeit wegen versuchter Anstiftung zu einem Verbrechen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Variante 1 StGB) aus Rechtsgründen verneint. Die Angeklagten hätten sich lediglich der allgemeinen Tatbereitschaft der angesprochenen Personen versichert.“

B. Strafbarkeit von H und L hem. §§ 211, 30 II StGB

Durch Absprache, nach einem Täter für das geplante Tötungsdelikt zum Nachteil des Ha zu suchen, könnten H und L sich jedoch wegen Verabredung zur Anstiftung zum Mord gem. §§ 211, 30 II StGB strafbar gemacht haben.

I. Tatbestand

1. Verabredung mit einem anderen, zu einem Verbrechen anzustiften
H und L müssten sich dazu verabredet haben, zu einem Verbrechen anzustiften, und zwar zu einem Mord, § 211 StGB, zum Nachteil des Ha.

„[8] a) [Die Verabredung zur Anstiftung im Sinne von § 30 Abs. 2 Variante 3 Alt. 2 StGB] setzt eine vom ernstlichen Willen getragene Einigung von mindestens zwei Personen voraus, gemeinschaftlich einen Dritten zur Begehung eines bestimmten Verbrechens anzustiften. Die in Aussicht genommene Tat muss zumindest in ihren wesentlichen Grundzügen, nicht aber bereits in allen Einzelheiten festgelegt sein. Daher können – entsprechend der Absprache eines Tatplans zwischen Mittätern – Zeit, Ort und Modalitäten der Ausführung im Einzelnen noch offen sein, solange sie nicht völlig im Vagen bleiben, weil dann die Strafbarkeit zu weit ins Vorfeld der eigentlichen Tat vorverlagert würde. Darüber hinaus muss der Übereinkunft der Täter das Versprechen mittäterschaftlicher Tatbeiträge zugrundeliegen; unzureichend ist es, wenn ein Beteiligter lediglich als Gehilfe tätig werden will.

(vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 16.03.2011, 5 StR 581/10, NStZ 2011, 570; BGH, Beschluss vom 21.11.2018, 1 StR 506/18, NStZ 2019, 665; BGH, Urteil vom 28.06.2007, 3 StR 140/07, NStZ 2007, 697 und BGH, Urteil vom 13.10.1992, 1 StR 517/92, NStZ 1993, 137. Interessant ist, dass der BGH hier von einer „mittäterschaftlichen Anstiftung“ spricht, also einer täterschaftlichen Teilnahme.

[9] b) Daran gemessen tragen die Urteilsgründe eine verabredete Anstiftung.

[10] aa) Die erstrebte Tat wurde anhand der sie kennzeichnenden Merkmale als konkret-individualisierbares Geschehen ernstlich verabredet. Dies gilt sowohl für das Bestimmen eines präsumtiven Täters als auch für die von diesem zu begehende Haupttat. Fest standen nach der Abrede weiter das Tatopfer, die in Betracht gezogene Begehungsweise bei der Bestimmung des präsumtiven Täters und das Tatmotiv. Dies gilt gleichermaßen für den Tatzeitraum. Denn die Tat sollte möglichst vor Weihnachten 2021 und ausgeführt werden, wenn die beiden Angeklagten ortsabwesend wären.

[11] bb) Dem steht nicht entgegen, dass im Zeitpunkt der Übereinkunft die Person des präsumtiven Täters nicht feststand und unklar war, ob überhaupt ein solcher gefunden und bestimmt werden kann. Hierbei handelt es sichum vom Willen der Beteiligten losgelöste Bedingungen, denen mit Blick auf den Zweck der zeitlichen Vorverlagerung der Strafbarkeit nach § 30 Abs. 2 StGB keine Bedeutung zukommt. Die Angeklagten waren fest entschlossen, nach erfolgreicher Suche die tatgeneigte Person anzustiften. Gegenteiliges folgt nicht daraus, dass nach den Feststellungen keine der von H vermittelten Personen beauftragt wurde. Denn diese erwiesen sich mangels Neigung, die Tat selbst auszuführen, als ungeeignet.

(vgl. auch BGH, Beschluss vom 02.11.2021, 3 StR 259/21, NStZ-RR 2022, 49)

[11] cc) Unerheblich ist ferner, dass es nach der getroffenen Abrede dem präsumtiven Täter überlassen bleiben sollte, bei welcher geeigneten Gelegenheit und auf welche Weise er die Tat ausführen würde. Es genügt vielmehr, dass die Angeklagten diese Umstände billigend in Kauf nahmen; denn bedingten Vorsatz in diesem Sinn hat ein Straftäter auch dann, wenn er aus Gleichgültigkeit mit jeder eintretenden Möglichkeit einverstanden ist.

(vgl. auch BGH, Urteil vom 12.01.2005, 2 StR 229/04, NJW 2005, 996)

[12] dd) Die Urteilsgründe belegen auch ein gemeinschaftliches Vorgehen der Angeklagten. Dabei sollte H, der sich das Interesse L‘s an der Tötung Ha‘s ‚zu eigen gemacht‘ hatte, ein wesentlicher Tatbeitrag zukommen. Er verfügte über Beziehungen ins kriminelle Milieu, die er absprachegemäß nutzen sollte, um geeignete Personen anzusprechen; L verfügte über solche Verbindungen nicht. Entgegen der Annahme des Landgerichts ist vor diesem Hintergrund auch der Umstand ohne Bedeutung, dass Gegen- stand der Abrede nicht war, in jedem Fall gemeinsam auf mögliche Täter zuzugehen. Vielmehr begründete schon die Willensbindung der Beteiligten eine Gefahr für das durch die vorgestellte Tat bedrohte Rechtsgut, weil bereits die wechselseitige psychische Bindung den Anstiftungsversuch und die Begehung der Haupttat wahrscheinlicher macht.“

Ob H tatsächlich – was aber Voraussetzung für die geprüfte Variante des § 30 II StGB wäre – als Mittäter an der geplanten Anstiftung des präsumtiven Haupttäters beteiligt wäre, erscheint fraglich. H sollte zwar den Kontakt zwischen L und geeigneten Kandidaten herstellen, an deren eigentlicher Anstiftung aber wohl nicht mehr mitwirken. Dass eine Mitwirkung im bloßen Vorbereitungsstadium der geplanten Anstiftungshandlung wirklich eine mittäterschaftliche Beteiligung darstellen würde, ist aber wohl eher nicht der Fall. Gerade der Umstand, dass H und L nicht gemeinsam auf mögliche Täter zugehen wollten, erscheint hier – entgegen der Auffassung des BGH – sehr wohl bedeutsam.

Da Ha auch heimtückisch getötet werden sollte, haben H und L sich dazu verabredet, zu einem Mord, § 211 StGB, anzustiften.

2. Vorsatz bzgl. 1.
H und L handelten mit Vorsatz bzgl. der objektiven Tatumstände.

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

H und L handelten rechtswidrig und schuldhaft.

III. Keine Rücktritt gem. § 31 StGB

Anhaltspunkte für einen strafbefreienden Rücktritt von H und M gem. § 31 StGB sind nicht ersichtlich.

IV. Ergebnis

H und L sind strafbar gem. §§ 211, 30 II StGB.

FAZIT

§ 30 StGB stellt Handlungen im Vorbereitungsstadium unter Strafe, da auch die bloße Verabredung (zur Tatbegehung oder zur Anstiftung) einen gegenseitigen Motivationsdruck aufbauen kann, die verabredete Handlung auch tatsächlich auszuführen. Bei den geringen Anforderungen des vorliegenden Urteils an die Bestimmtheit der späteren Tat ist die Vorverlagerung der Strafbarkeit allerdings bedenklich.

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Beitragsautor:

Jura Intensiv

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