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Fall des Monats Juni 2022: Keine Erpressung bei bestehenden Ansprüchen

By 15. Juni 2022Oktober 10th, 2023No Comments
Fall des Monats

Problem: Keine Erpressung bei bestehenden Ansprüchen

Einordnung: Strafrecht BT II / Raub und räuberische Erpressung

BGH, Urteil vom 15.12.2021 6 StR 312/21

EINLEITUNG

Der BGH befasst sich mit der Strafbarkeit eines Täters, der einen bestehenden Anspruch mit qualifizierten Nötigungsmitteln durchsetzen will und kommt zu dem Schluss, dass die §§ 249 I; 255 StGB ausscheiden und nur § 240 I StGB greift. Außerdem geht es um die Mordmerkmale Heimtücke, Habgier und niedrige Beweggründe.

SACHVERHALT

Der Angeklagte A und das spätere Tatopfer G standen in einer geschäftlichen und nahezu freundschaftlichen Beziehung, wenngleich G den sich unterlegen fühlenden A bei diversen Fahrzeuggeschäften übervorteilt, in einem Fall auch gedemütigt hatte. G hatte aus einem durch Eigentumsumschreibung im Grundbuch bereits vollzogenen Grundstückskauf den nicht notariell beurkundeten Kaufpreisteil von 30.000 € noch nicht an A gezahlt und diesen deswegen immer wieder vertröstet. A plante deshalb, den Kaufpreis von 22.500 € für ein weiteres Fahrzeug anlässlich der Übergabe nicht an G zu bezahlen, sondern insoweit mit der ihm aus dem Grundstücksverkauf noch zustehenden Restkaufpreisforderung aufzurechnen. Da A damit rechnete, dass der ihm als profitorientiert, unnachgiebig, aggressiv und aufbrausend bekannte G das nicht akzeptieren werde, legte er eine mit sechs Schrotpatronen geladene Vorderschaftrepetierflinte in einem auf seinem Grundstück befindlichen Überseecontainer bereit, um G nach der Überführung des Fahrzeugs – gegebenenfalls unter Abgabe eines Warnschusses – einzuschüchtern und dazu zu veranlassen, ihm den Fahrzeugschlüssel und –papiere herauszugeben. Unter dem Vorwand, den Kaufpreis dort entrichten zu wollen, lockte A den G in den Container und schloss die Tür. Nach einer verbalen Auseinandersetzung ergriff er die geladene Waffe, richtete sie auf G und erklärte, gegen den Kaufpreisanspruch mit seiner Restforderung aus dem Grundstücksgeschäft aufzurechnen. Er verlangte von G mit vorgehaltener Waffe die Herausgabe des Fahrzeugschlüssels und der Fahrzeugpapiere. Da dieser sich weigerte, gab A, auch um seiner Ernsthaftigkeit Nachdruck zu verleihen, einen Warnschuss in Richtung Containerwand ab, richtete die Waffe wieder auf G und lud durch Zurückziehen des Vorderschafts nach. G war jedoch weiterhin nicht bereit, A ohne Kaufpreiszahlung Fahrzeugschlüssel und -papiere zu übergeben. Er trat wütend, mit lauter Stimme protestierend auf A zu und wollte nach der Waffe greifen. A erkannte, dass sein Einschüchterungsversuch gescheitert war, und fürchtete eine gewaltsame Auseinandersetzung. Ohne dies geplant oder zuvor auch nur in Erwägung gezogen zu haben, schoss er mit bedingtem Tötungsvorsatz aus einer Entfernung von etwa 50 Zentimetern auf G. Die abgefeuerte Schrotladung traf diesen tödlich.

Hat A sich durch sein Verhalten im Container strafbar gemacht?

[Anm.: §§ 223 ff, 239, 239a, 239b, 241 StGB sind nicht zu prüfen.]

LEITSÄTZE DER REDAKTION

  1. Bei der (räuberischen) Erpressung ist die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils normatives Tatbestandsmerkmal, auf das sich der zumindest bedingte Vorsatz des Täters erstrecken muss; der Täter will sich dann zu Unrecht bereichern, wenn er einen Vermögensvorteil erstrebt, auf den er keinen rechtlich begründeten Anspruch hat; allein der Umstand, dass ein fälliger Anspruch mit Nötigungsmitteln durchgesetzt werden soll, macht den begehrten Vorteil nicht rechtswidrig.
  2. Für das im Rahmen des Mordmerkmals der Heimtücke erforderliche Ausnutzungsbewusstsein genügt es, wenn der Täter die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen.
  3. Bei der Prüfung der Heimtücke kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte; allerdings hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen.

PRÜFUNGSSCHEMA: RÄUBERISCHE ERPRESSUNG, §§ 253 I, 255 StGB

A. Tatbestand

I. Qualifiziertes Nötigungsmittel

II. Opferreaktion

III. Vermögensnachteil

IV. Kausalität I. – II. und II. – III.

V. Vorsatz bzgl. I. bis IV.

VI. Absicht rechtswidriger und stoffgleicher Bereicherung

B. Rechtswidrigkeit und Schuld

LÖSUNG

A. Strafbarkeit gem. §§ 249 I, 250 II Nr. 1, 22, 23 I StGB

Dadurch, dass A dem G die Flinte vorhielt und diesen aufforderte, ihm Fahrzeugschlüssel und –papiere auszuhändigen, könnte A sich wegen versuchten besonders schweren Raubes gem. §§ 249 I, 250 II Nr. 1, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben.

I. Vorprüfung
Zu einer Wegnahme ist es nicht gekommen, sodass keine Strafbarkeit wegen vollendeter Tat gegeben ist. Die Strafbarkeit des Versuchs ergibt sich aus §§ 250 II, 12 I, 23 I StGB.

II. Tatentschluss

A müsste zunächst Tatentschluss zur Begehung des Grunddelikts, § 249 I StGB, gehabt haben.

Tatentschluss ist der Wille zur Verwirklichung der objektiven Tatumstände bei gleichzeitigem Vorliegen eventuell erforderlicher besonderer subjektiver Tatbestandsmerkmale.

1. Bzgl. qualifizierten Nötigungsmittels

A hatte den Willen, G durch das Vorhalten der Waffe mit dem Tode zu drohen, hatte also Tatentschluss bzgl. Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben, also eines qualifizierten Nötigungsmittels. Mit der Flinte auf G zu schießen oder in anderer Weise Gewalt gegen einer Person anzuwenden, hatte A hingegen ursprünglich nicht geplant.

2. Bzgl. fremder beweglicher Sachen

A wusste, dass der Fahrzeugschlüssel und die Papiere, die er erlangen wollte, zumindest bis zu ihrer Übergabe durch G noch in dessen Eigentum standen und hatte somit Tatentschluss bzgl. fremder beweglicher Sachen als Tatobjekte.

3. Bzgl. Wegnahme
A müsste sich auch vorgestellt haben, diese Sachen wegzunehmen.
A dachte, dass G die Sachen bei sich tragen würde, stellte sich also das Bestehen fremden Gewahrsams vor. Er wollte sie auch an sich nehmen und so neuen Gewahrsam begründen.

Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht unbedingt tätereigenen Gewahrsams.

A müsste sich jedoch auch einen Gewahrsamsbruch vorgestellt haben. Die sog. Verfügungs- oder Exklusivitätstheorie verlangt als Opferverhalten bei den Erpressungsdelikten eine Vermögensverfügung. Sie nimmt deshalb zwischen § 249 I StGB und §§ 253 I, 255 StGB – ebenso wie bei Diebstahl und Betrug – ein Exklusivitätsverhältnis an und grenzt zwischen Raub und räuberischer Erpressung – ebenso wie zwischen § 242 I StGB und § 263 I StGB – nach der inneren Willensrichtung des Opfers ab. Eine Wegnahme i.S.v. § 249 I StGB liegt nach dieser Meinung vor, wenn das Opfer seine Mitwirkung nicht für erforderlich hält. A ging wohl davon aus, dass G insb. wg. der Bewaffnung des A nicht dachte, dass er sich ernsthaft gegen den Verlust von Schlüsseln und Papieren wehren könnte. A hätte G diese Sachen, die G nach der Vorstellung des A bei sich trug, auch selbst abnehmen können. A glaubte nicht, dass G seine Mitwirkung für erforderlich hielt und hatte somit nach dieser Meinung keinen Tatentschluss bzgl. einer Wegnahme.

Verfügungs-/Exklusivitätstheorie: Schönke/Schröder, StGB, § 253 Rn 3, 8

Nach der sog. Spezialitätstheorie genügt als Opferverhalten im Rahmen der räuberischen Erpressung jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen. § 249 I StGB stellt deshalb nur eine lex specialis zu §§ 253 I, 255 StGB und die Abgrenzung dieser Delikte, also insb. die Prüfung der Wegnahme i.R.v. § 249 I StGB, ist nach dem äußeren Erscheinungsbild vorzunehmen. A stellte sich vor, dass G ihm die Sachen aushändigen würde, sodass er keinen Tatentschluss bzgl. eines Vorgangs hatte, der sich äußerlich als Wegnahme darstellen würde.

Spezialitätstheorie: BGH, Beschluss vom 24.04.2018, 5 StR 606/17, RA 2018, 557

Zwar ist der Verfügungstheorie zuzugestehen, dass es sich bei den Erpressungsdelikten ebenso wie beim Betrug um Selbstschädigungsdelikte handelt, sodass eine Übertragung der Anforderungen des § 263 StGB an die Opferreaktion auf die §§ 253, 255 StGB nahe liegt. Jedoch übersieht diese Meinung, dass der Begriff der Vermögensverfügung stets eine Freiwilligkeit impliziert, die bei einem unbewussten Selbstschädigungsdelikt wie § 263 StGB unproblematisch ist, bei bewussten Selbstschädigungsdelikten wie §§ 253; 255 StGB aber nicht gegeben sein kann. Schon deshalb überzeugt die Prüfung einer Vermögensverfügung bei den Erpressungsdelikten nicht. Außerdem kann die Verfügungstheorie bei Anwendung von vis absoluta zu Strafbarkeitslücken führen, wenn (z.B. wegen fehlender Zueignungsabsicht) keine Strafbarkeit wegen Raubes vorliegt. Denn bei Ausschaltung des Willens des Opfers kann dieses nicht mehr verfügen, sodass nach der Verfügungstheorie auch die Erpressungsdelikte ausscheiden müssen. Der Spezialitätstheorie ist zu folgen. Ein Tatentschluss das A bzgl. einer Wegnahme liegt somit nicht vor.

Vgl. zu diesem Streit Schumacher/ Schweinberger, JURA INTENSIV, Strafrecht BT I, Rn 424 ff.

III. Ergebnis

A ist nicht strafbar gem. §§ 249 I, 250 II Nr. 1, 22, 23 I StGB.

B. Strafbarkeit gem. §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1, 22, 23 I StGB
Durch sein Verhalten gegenüber G könnte A sich wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung gem. §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1, 22, 23 I StGB gegenüber und zum Nachteil des G strafbar gemacht haben.

I. Vorprüfung
Eine Strafbarkeit wegen vollendeter Tat ist nicht gegeben, da G keinen Vermögensnachteil erlitten hat. Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus §§ 250 II, 12 I, 23 I StGB.

II. Tatentschluss

A müsste mit Tatentschluss gehandelt, haben, zunächst zur Begehung des Grunddelikts, §§ 253 I, 255 StGB.

1. Bzgl. qualifizierten Nötigungsmittels
A hatte Tatentschluss zur Anwendung eines qualifizierten Nötigungsmittels (s.o.).

2. Bzgl. Opferreaktion

A stellte sich vor, dass G ihm Fahrzeugschlüssel und –papiere herausgeben würde. Er wollte also eine Handlung des Opfers herbeiführen und hatte somit Tatentschluss bzgl. einer tatbestandlichen Opferreaktion.

Auch nach der Verfügungs- oder Exklusivitätstheorie wäre dies eine tatbestandliche Opferreaktion, da die Übergabe eine Verfügung des G über Gewahrsam und Eigentum an den Sachen wäre. Da diese Meinung aber oben bereits abgelehnt wurde, ist auf deren Anforderungen im Gutachten nicht mehr einzugehen.

3. Bzgl. Vermögensnachteil

A hat sich auch vorgestellt, G durch den Verlust des Schlüssels und der Papiere einen Vermögensnachteil zuzufügen.

4. Bzgl. Kausalität 1. – 2. und 2. – 3.
A hatte auch Tatentschluss bzgl. der erforderlichen durchgehenden Kausalität.

5. Bereicherungsabsicht
A hatte die Absicht, sich Besitz und Eigentum an Schlüssel und Papieren zu verschaffen und sich so zu bereichern.

6. Bzgl. Rechtswidrigkeit und Stoffgleichheit der beabsichtigten Bereicherung
A müsste sich auch vorgestellt haben, dass die von ihm beabsichtigte Bereicherung rechtswidrig und stoffgleich sei.

„[15] a) Eine Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schweren Raubes mit Todesfolge (§ 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2, § 251 StGB) oder wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung mit Todesfolge (§ 253 Abs. 1, § 250 Abs. 2, § 251 StGB) kam nicht in Betracht.

[16] Bei der [räuberischen] Erpressung ist die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils normatives Tatbestandsmerkmal, auf das sich der zumindest bedingte Vorsatz des Täters erstrecken muss. Der Täter will sich dann zu Unrecht bereichern, wenn er einen Vermögensvorteil erstrebt, auf den er keinen rechtlich begründeten Anspruch hat; allein der Umstand, dass ein fälliger Anspruch mit Nötigungsmitteln durchgesetzt werden soll, macht den begehrten Vorteil nicht rechtswidrig. Entsprechendes gilt für das Tatbestandsmerkmal der Rechtswidrigkeit der Zueignung beim Tatbestand des Raubes im Sinne des § 249 StGB.

BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 402/10, NStZ 2011, 519

BGH, Beschluss vom 21.12.1998, 3 StR 434/98

BGH, Beschluss vom 15.05.2001, 3 StR 153/01

[17] Der Generalbundesanwalt weist in seiner Antragsschrift zutreffend darauf hin, dass der Angeklagte aus dem nach § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB infolge Eigentumsumschreibung im Grundbuch wirksamen Grundstückskaufvertrag einen Anspruch auf Zahlung des Restkaufpreises von 30.000 € gegen den Geschädigten hatte, mit dem er gegen den Kaufpreisanspruch für das Fahrzeug die Aufrechnung erklärt hat (§§ 387, 388 BGB). Die Forderung war einredefrei und fällig. Denn der Angeklagte hatte dem Geschädigten den Kaufpreisteil von 30.000 € nicht im Sinne eines befristeten Einforderungsverzichts gestundet, sondern bei verständiger Würdigung (§§ 133, 157 BGB) aus Nachsicht mit Blick auf die noch ausstehende Baugenehmigung lediglich einen Zahlungsaufschub gewährt. Es liegt fern, dass der Angeklagte dauerhaft das Risiko der Versagung der Bau- oder Nutzungsgenehmigung oder auch nur einer erheblich verzögerten Erteilung vertraglich übernehmen wollte.

Da der Anspruch des Geschädigten auf Zahlung des Kaufpreises für das Fahrzeug infolge der Aufrechnung nach § 389 BGB erloschen ist, war er nach § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB verpflichtet, dem Angeklagten das Fahrzeug nebst Schlüssel zu übereignen (§ 433 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 311c, 97 Abs. 1 Satz 1 BGB) und die Fahrzeugpapiere zu übergeben (§ 985 i.V.m. § 952 Abs. 2 BGB entsprechend).“

BGH, Urteil vom 18.09.2020, V ZR 8/19, NJW 2020, 3711

A wusste, dass er einen durchsetzbaren Anspruch gegen G auf Übergabe und Übereignung der Schlüssel und Papiere hatte und hatte somit keinen Tatentschluss bzgl. der Rechtswidrigkeit der von ihm beabsichtigten Bereicherung.

In der Literatur wird das Bestehen eines durchsetzbaren Anspruchs des Täters oft auch schon bei der Prüfung des Vermögensnachteils berücksichtigt. Wenn das Vermögen des Opfers zwar gemindert wird, dafür aber ein durchsetzbarer Anspruch des Täters gegen das Opfer erlischt, stellt dies Erlöschen die Erlangung eines Äquivalentes durch das Opfer dar, die einen Vermögensnachteil ausschließt.

III. Ergebnis

A ist nicht strafbar gem. §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1, 22, 23 I StGB.

C. Strafbarkeit gem. §§ 240 I, 22, 23 I StGB
Durch sein Verhalten gegenüber G könnte A sich jedoch wegen versuchter Nötigung gem. §§ 240 I, 22, 23 I StGB zum Nachteil des G strafbar gemacht haben.

I. Vorprüfung

Da es nicht zu der von A beabsichtigten Reaktion des G – der Herausgabe von Schlüssel und Papieren – gekommen ist, ist die Nötigung nicht vollendet. Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus § 240 III StGB.

II. Tatentschluss

1. Bzgl. Nötigungsmittel
A wollte G damit drohen, diesen zu erschießen, er hatte also Tatentschluss bzgl. einer Drohung mit einem empfindlichen Übel.

2. Bzgl. Opferreaktion

A hatte sich vorgestellt, G zur Herausgabe des Schlüssels und der Papiere zu bewegen, hatte also Tatentschluss bzgl. einer Handlung des Opfers als Opferreaktion.

Drohung ist das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt der Täter Einfluss zu haben vorgibt.

Empfindlich ist das angedrohte Übel, wenn es bei objektiver Beurteilung dazu geeignet ist, einen besonnenen Menschen zu dem mit der Drohung erstrebten Verhalten zu bestimmen.

  1. Bzgl. Kausalität 1. – 2.

A hatte sich vorgestellt, dass seine Drohung den G zu der begehrten Handlung bewegen würde und dass dieser die Herausgabe auch gerade wegen des ausgeübten Drucks und nicht z.B. als Folge einer Einsicht in das Bestehen einer eigenen Leistungspflicht vornehmen würde. Somit hatte A Tatentschluss bzgl. der i.R.v. § 240 I StGB erforderlichen Kausalität.

III. Unmittelbares Ansetzen, § 22 StGB

A hatte die Drohung bereits ausgesprochen und ging nicht davon aus, dass noch weitere wesentliche Zwischenschritte eintreten müssten, bis G die beabsichtigte Herausgabe vornehmen würde. Er hat somit unmittelbar angesetzt.

Unmittelbares Ansetzen ist gegeben, wenn der Täter die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreitet, was der Fall ist, wenn er Handlungen vornimmt, die in die Tatbestandsverwirklichung unmittelbar einmünden sollen und deshalb das geschützte Rechtsgut aus Sicht des Täters bereits konkret gefährdet ist.

IV. Rechtswidrigkeit

1. Keine Rechtfertigung

A hatte einen durchsetzbaren Anspruch gegen G auf Herausgabe und Übereignung von Schlüssel und Papieren (s.o.). Eine Rechtfertigung des A aus Selbsthilfe, § 229 BGB, wäre somit denkbar. Allerdings hätte A hier noch rechtzeitig obrigkeitliche Hilfe zur Durchsetzung seines Anspruchs erlangen können, sodass § 229 BGB als Rechtfertigungsgrund ausscheidet. A ist somit nicht gerechtfertigt.

2. Verwerflichkeit, § 240 II StGB

„[2] […] Das Drohen mit der geladenen Schusswaffe, um von dem Geschädigten im Wege der Selbsthilfe ohne Zahlung des Kaufpreises den Fahrzeugschlüssel und die Fahrzeugpapiere zu erlangen, erweist sich auch vor dem Hintergrund eines entsprechenden Anspruchs des Angeklagten […] als verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB.“

BGH; Beschluss vom 14.06.1982, 4 StR 255/82, NJW 1982, 2265

V. Schuld
A handelte schuldhaft.

VI. Kein Rücktritt gem. § 24 StGB
Anhaltspunkte für einen strafbefreienden Rücktritt des A gem. § 24 StGB sind nicht ersichtlich.

VII. Ergebnis

A ist strafbar gem. §§ 240 I, 22, 23 I StGB.

D. Strafbarkeit gem. § 211 StGB
Durch den Schuss auf G könnte A sich wegen Mordes gem. § 211 StGB zum Nachteil des G strafbar gemacht haben.

I. Tatbestand

1. Tötung eines anderen Menschen
A hat durch den Schuss mit der Flinte den G, also einen anderen Menschen, getötet.

2. Mordmerkmale der 2. Gruppe des § 211 II StGB: Heimtücke A könnte G heimtückisch getötet haben.

Heimtücke ist die bewusste Ausnutzung der auf Arglosigkeit beruhenden Wehrlosigkeit des Opfers in feindseliger Willensrichtung.

Arglos ist das Opfer, wenn es sich im Zeitpunkt des Eintritts in das Versuchsstadium keines Angriffs auf sein Leben oder eines erheblichen Angriffs auf die körperliche Integrität versieht.

Wehrlos ist das Opfer, wenn es aufgrund der Arglosigkeit nicht in der Lage ist sich zu verteidigen oder in seinen Verteidigungsmöglichkeiten stark eingeschränkt ist.

„[7] […] stößt es auf keine rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht den Angeklagten nicht wegen heimtückisch begangenen Mordes verurteilt hat. [8] Es kann offenbleiben, ob der Geschädigte im Augenblick der mit Tötungsvorsatz erfolgten Abgabe des zweiten Schusses entsprechend der Auffassung des Generalbundesanwalts noch arg- und wehrlos war. Jedenfalls ist das Landgericht aufgrund tragfähiger Feststellungen rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Angeklagte hierbei ohne Ausnutzungsbewusstsein handelte.

[9] aa) Für das Ausnutzungsbewusstsein genügt es, wenn der Täter die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Dabei kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte. Allerdings hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen; dies ist vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage.

BGH, Urteil vom 11.12.2012, 5 STR 438/12, NStZ 2013, 232

BGH, Beschluss vom 09.09.2020, 2 StR 116/20, NStZ 2021, 162

BGH, Urteil vom 16.02.2012, 3 StR 346/12

[10] bb) Daran gemessen ist die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte eine etwaige Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten jedenfalls nicht bewusst ausgenutzt habe, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Angeklagte hatte sich nur deshalb bewaffnet, um den [von] ihm als überlegen angesehenen und erfahrungsgemäß in Geldangelegenheiten aggressiv Reagierenden bei der Durchsetzung seiner Forderung einzuschüchtern und dessen Überlegenheit etwas entgegensetzen zu können. Er schoss nach Abgabe eines Warnschusses spontan und impulsiv, weil er aufgrund der offensiven Reaktion des Geschädigten sein Vorhaben als gescheitert ansah und fürchtete, erneut zu unterliegen.“

Aufgrund des fehlenden Ausnutzungsbewusstseins hat A den G nicht heimtückisch getötet.

3. Vorsatz
A hat mit Vorsatz zur Tötung des G gehandelt.

4. Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe des § 211 II StGB

a) Habgier

A könnte G aus Habgier getötet haben.

Habgier ist das ungezügelte, rücksichtslose Streben nach Gewinn um jeden Preis.

„[19] Der Angeklagte hat den Geschädigten nicht aus einem Streben nach materiellen Gütern oder Vorteilen getötet, das in seiner Hemmungs- und Rücksichtslosigkeit das erträgliche Maß weit übersteigt und in der Regel durch eine ungehemmte triebhafte Eigensucht bestimmt ist. Ursprünglich wollte der Angeklagte seine berechtigte Forderung durchsetzen und strebte nicht in der erforderlichen gesteigerten Weise nach Gewinn oder Vorteilen; vielmehr zielte sein Vorgehen auf die Herstellung eines rechtskonformen Zustands ab. Im Zeitpunkt der Abgabe des tödlichen Schusses ging es ihm ohnehin allenfalls noch am Rande um die Durchsetzung seines Anspruchs, weil ihm der Tod des Angeklagten hierzu nicht nützlich sein konnte.“

BGH, Beschluss vom 19.05.2020, 4 StR 140/20, NStZ 2020, 733

A hat also nicht aus Habgier gehandelt.

b) Niedrige Beweggründe
A könnte G jedoch aus niedrigen Beweggründen getötet haben.

Niedrige Beweggründe sind alle sittlich auf tiefster Stufe stehende und daher besonders verachtenswerte Tatantriebe.

„[20] bb) Das Vorliegen niedriger Beweggründe hat das Landgericht unter Hinweis auf die durch den Geschädigten im Vorfeld erlittene Demütigung und die diesem vom Angeklagten bislang entgegengebrachte Wertschätzung tragfähig verneint. Denn mit Blick hierauf und auf die Gefälligkeiten zu Gunsten des Geschädigten, demgegenüber der Angeklagte zuvor stets nachgegeben und dem er sich gefügt hatte, beruhten die Antriebsregungen ihrerseits nicht auf einer niedrigen Gesinnung.“

BGH, Beschluss vom 12.09.2019, 5 StR 399/19, NStZ 2019, 724

Niedrige Beweggründe sind bei A also auch nicht gegeben.

II. Ergebnis

A ist nicht strafbar gem. § 211 StGB.

E. Strafbarkeit gem. § 212 I StGB
Durch den Schuss auf G könnte A sich aber wegen Totschlags gem. § 212 I StGB zum Nachteil des G strafbar gemacht haben.

I. Tatbestand

1. Tötung eines anderen Menschen
A hat G, also einen anderen Menschen, durch den Schuss mit der Flinte getötet.

2. Vorsatz
A hat auch mit Vorsatz zur Tötung des G gehandelt.

II. Rechtswidrigkeit
A könnte aus Notwehr, § 32 StGB, gerechtfertigt sein.
Dann müsste der Versuch des G, dem A die Flinte abzunehmen, einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff darstellen. Zwar kann man den Versuch des G, nach der Flinte des A zu greifen, als gegenwärtigen Angriff auf dessen Besitz an der Waffe sehen. Der Angriff des G müsste jedoch auch rechtswidrig sein, d.h. G dürfte nicht seinerseits gerechtfertigt sein. A hatte unmittelbar zuvor eine strafbare versuchte Nötigung zum Nachteil des G begangen (s.o.). Dieser rechtswidrige Angriff auf die Willensfreiheit des G war in dem Moment, in dem der G dem A die Waffe entreißen wollte, immer noch gegenwärtig. Da die Handlung des G auch geeignet, erforderlich und geboten war, um diesen Angriff des A abzuwenden, und G mit Verteidigungswillen handelte, war G seinerseits aus Notwehr gerechtfertigt. Das Verhalten des G stellt somit keinen rechtswidrigen Angriff auf A dar. Somit ist A nicht aus § 32 StGB gerechtfertigt und handelte rechtswidrig.

III. Schuld
A handelte auch schuldhaft.

IV. Ergebnis

A ist strafbar gem. § 212 I StGB.

F. Konkurrenzen und Gesamtergebnis

Die Tatsache, dass A den Vorsatz zur Tötung des G erst nachträglich fasst, lässt das ansonsten einheitliche Geschehen in zwei verschiedene Handlungsabschnitte zerfallen. Die versuchte Nötigung, §§ 240 I, 22, 23 I StGB, und der Totschlag, § 212 I StGB, wurden also durch zwei verschiedene Handlungen begangen und stehen deshalb im Verhältnis der Tatmehrheit, § 53 StGB, zueinander. A ist strafbar gem. §§ 212 I; 240 I, 22, 23 I; 53 StGB.

FAZIT

Klassische Probleme in einem kompakten Sachverhalt: Die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung, der Ausschluss der Strafbarkeit von §§ 249 I; 253 I, 255 StGB beim Bestehen von Ansprüchen des Täters und die Prüfung verschiedener Mordmerkmale.

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