Problem: Müllcontainer als Mangel der Kaufsache
Einordnung: Kaufrecht
OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.01.2020
I-21 U 46/19
EINLEITUNG
Aufgrund des steten Zuzugs in die Ballungsräume versuchen die Kommunen den Bedarf an Wohnungen nicht nur mit der Verdichtung gewachsener Wohngebiete sowie durch Erhöhung von Gebäuden zu decken, sondern planen erneut Großsiedlungen wie zuletzt in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die hier vorliegende Entscheidung des OLG Düsseldorf zeigt, dass man für über eine halbe Million Euro Kaufpreis nicht immer eine Traumwohnung erhält.
LEITSÄTZE
1. Eine in der Nähe einer vom Bauträger erworbenen Eigentumswohnung auf Anweisung der Stadt errichtete Wertstoffsammelstelle begründet keinen Sachmangel der Kaufsache im Sinne von § 437 BGB, weil die damit einhergehende Beeinträchtigung als sozialadäquat hinzunehmen ist.
2. Der Bauträger ist nicht verpflichtet, den Erwerber der Eigentumswohnung vor Vertragsschluss über die geplante Aufstellung der Wertstoffsammelstelle aufzuklären, wenn es sich um eine für jedermann öffentlich zugängliche Information handelt, die jederzeit bei der Stadt abrufbar war.
SACHVERHALT
Die K erwarben eine Eigentumswohnung im Objekt H13 in D zu einem Kaufpreis von 541.704,49 € von der Bauträgerin (B). Der Kaufvertrag wurde im Februar 2015 geschlossen. Das Objekt befindet sich im Neubaugebiet G, in dem insgesamt ca. 1.800 Wohnungen errichtet werden sollen. Die von den K selbst genutzte, 136,55 m² große Wohnung befindet sich im 2. Obergeschoss und besteht aus vier Zimmern. Etwa 84 m² der Wohnung nebst Balkon sind zur H-Straße gelegen. Auf der dem Haus gegenüberliegenden Seite der H-Straße befindet sich ein Platz, der von B in den Verkaufsprospekten und -verhandlungen als sog. „Piazza“ bezeichnet wurde. Auf diesem Platz wurde auf Anweisung der Stadt eine Altglas- und Altpapier-Entsorgungsanlage bestehend aus vier großen Niederflurcontainern errichtet (im Folgenden „Containeranlage“). Drei der Container sind für Altglas, einer für Altpapier vorgesehen.
Der Abstand der Container zum Objekt H13 beträgt 21,5 Meter. Kurz vor Übergabe der Wohnung fand eine Begehung des Gemeinschaftseigentums zum Zwecke der Abnahme statt, an der die Eigentümer teilnehmen konnten. Zu diesem Zeitpunkt war die Containeranlage bereits fertig gestellt. Über die Containeranlage wurde von Seiten der B mit den Eigentümern nicht gesprochen. Weder aus den Verkaufsprospekten noch aus einem auf der Internet-Homepage der B befindlichen Werbevideo war eine solche Anlage ersichtlich. Die Übergabe der Wohnung an die Kläger erfolgte kurz darauf Ende 2015. Im Rahmen der ersten Eigentümerversammlung Anfang 2016 bemängelten die Eigentümer die Entsorgungsanlage gegenüber B. Schriftlich teilten sie mit, dass ein Einverständnis mit der ohne ihre Kenntnis errichteten Containeranlage nicht bestehe, sie sich über einen durch diese bedingten Mangel mangels hinreichender Information arglistig getäuscht fühlten. B erläuterte kurz darauf schriftlich, wie es zu der Errichtung der Containeranlage gekommen war, und wies eine Aufklärungspflichtverletzung zurück.
Die Eigentümer beantragten im September 2016 bei der Stadt D schriftlich aber erfolglos die Verlegung der Containeranlage und setzten zeitgleich der B erfolglos eine Frist zur Beseitigung der Containeranlage. In der Folgezeit stellte ein Sachverständiger für Immobilienbewertung gutachterlich die Wertminderung der Wohnungen infolge der Entsorgungsanlage fest. An B gerichtete Aufforderungen zur Beseitigung der Containeranlage unter Vorlage des Gutachtens blieben erfolglos.
Die K sind der Meinung, durch die Containeranlage sei die von ihnen erworbene Wohnung mit einem Mangel im Sinne der §§ 434 ff. BGB behaftet, weil die Brauchbarkeit der Wohnung aufgrund des von der Containeranlage ausgehenden Lärms erheblich beeinträchtigt sei, in der 1800 Wohnungen ihr Altglas entsorgen. Zum einen rufe das Herabfallen der Flaschen nach dem Einwurf sowie das Betätigen der Metallklappen laute Geräusche her, zum anderen entstehe erheblicher Lärm auch beim Entleeren der Container, was regelmäßig vor 7.00 h morgens erfolge. Die vorgegebenen Nutzungszeiten würden nicht eingehalten; es käme zu heftigen Lärmbelästigungen bereits vor 7.00 h, in den Abendstunden und auch am Wochenende. Zu den akustischen Beeinträchtigungen kämen optische hinzu, da der Bereich vermüllt und die Container überfüllt seien. Es gäbe zahlreiche Alternativstandorte, da das Wohngebiet von Gewerbe- und Verkehrsflächen umgeben sei, die als Standort hätten gewählt werden können.
Auf eine Antwort auf die überholte Frage, wann bei der Rechtslage vor dem 01.01.2018 im Falle eines Bauträgervertrages das Kaufrecht zur Anwendung kam, verzichten wir. Heute gibt § 650u I BGB klar Auskunft. Das Gericht konzentrierte sich auf das Vorhandensein eines Mangels. Dem folgen wir hier.
Die K sind der Ansicht, B hätte ihnen den Mangel arglistig verschwiegen und verlangen die Zahlung von Schadensersatz in Höhe der Wertdifferenz, die das Kaufobjekt durch den Mangel erfahren habe.
B hingegen meint, die mit dieser modernen Niederfluranlage einhergehenden Beeinträchtigungen seien Teil des urbanen Lebens und als sozialadäquate Störungen hinzunehmen und bestreitet das Vorliegen solcher Informationspflichten.
Die von der Piazza ausgehenden Lärmbelästigungen seien bereits kaufpreismindernd berücksichtigt worden. Zu Recht?
Die Kläger wollen das Objekt behalten, allerdings einen Teil des sehr hohen Kaufpreises erstattet bekommen. Sie hätten auch die Minderung erklären können, haben sich aber für das Geltendmachen von Schadensersatz entschieden. Dies dürfte damit zusammenhängen, weil sie sich im Hilfsvorbringen auf die angebliche arglistige Täuschung stützen.
LÖSUNG
A. Anspruch der K gegen B auf Zahlung von Schadensersatz gem. §§ 437 Nr. 3, 280 I, III 281 I 1 BGB
K könnte einen Anspruch gegen B auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe der Wertminderung aus §§ 437 Nr. 3, 280 I, III 281 I 1 BGB haben.
I. Kaufvertrag
Den hierzu erforderlichen Kaufvertrag schlossen die Parteien im Februar 2015. Eine Anfechtung des Vertrages haben sie nicht erklärt.
ZWEI WICHTIGE HINWEISE:
1. Wäre der Vertrag nach dem 01.01.2018 geschlossen worden, wäre gem. Art. 229, § 39 EGBGB die richtige Anspruchsgrundlage in §§ 650u I 3, 280 I, III, 281 BGB zu suchen.
2. Das OLG prüft als actio §§ 437 Nr. 3, 280 I BGB, was nicht richtig ist, wenn der Schaden in einem behebbaren Mangel der Sache selbst und nicht neben der Leistung liegt.
II. Mangel zur Zeit des Gefahrübergangs
Die K berufen sich auf einen Sachmangel. Ein solcher muss zur Zeit des Gefahrübergangs vorgelegen haben. Mangels anderer Angaben ist davon auszugehen, dass die Gefahr gem. § 446 S. 1 BGB mit der Übergabe im Dezember 2015 auf die K übergegangen ist.
1. Vorhandensein eines Sachmangels gem. § 434 I 1 BGB
Es könnte ein Sachmangel gem. § 434 BGB vorliegen. In Betracht kommt das Fehlen einer vereinbarten Beschaffenheit gem. § 434 I 1 BGB. Unter Beschaffenheit einer Sache im Sinne von § 434 I 1 BGB sind sowohl alle Faktoren anzusehen, die der Sache selbst anhaften, als auch alle Beziehungen der Sache zur Umwelt, die nach der Verkehrsauffassung Einfluss auf die Wertschätzung der Sache haben.
BGH, Urteil vom 15.06.2016, VIII ZR 134/15
OLG Köln, Urteil vom 23.12.2016, 11 U 173/15
Was in der notariellen Urkunde steht, ist entscheidend: BGH, Urteil vom 22.04.2016, V ZR 23/15.
BGH, Urteil vom 15.06.2016, VIII ZR 134/15
Damit liegt keine Beschaffenheitsvereinbarung, auch keine negative, vor.
2. Sachmangel gem. § 434 I 2 Nr. 1 BGB
Ein Sachmangel liegt gem. § 434 I 2 Nr. 1 BGB ferner vor, wenn die Parteien beim Vertragsschluss eine besondere Verwendungseignung zwar nicht vereinbart, jedoch vorausgesetzt haben und diese fehlt. Dies ist hier aber nicht der Fall.
3. Sachmangel gem. § 434 I 2 Nr. 2 BGB
Ein Sachmangel liegt gem. § 434 I 2 Nr. 2 BGB vor, wenn die Sache sich entweder nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet oder von der gewöhnlichen Beschaffenheit, die ein Käufer erwarten kann, für den Käufer negativ abweicht.
Wohnung eignete sich zu Wohnzwecken
Wer wenig Immissionen wünscht, muss in den Wald ziehen.
Entscheidend ist, ob die Immissionen noch sozialadäquat sind.
Anwendung des Rechtsgedankens des § 906 BGB auf das Verhältnis Mieter/Vermieter: BGH, Urteil vom 29.04.2015, VIII ZR 197/14 (…)
Das OLG Düsseldorf wendet den Rechtsgedanken des § 906 BGB nun auf das Verhältnis Käufer/Verkäufer an.
Es kommt nicht auf das subjektive Empfinden desjenigen an, der sich gestört fühlt.
Keine Rose ohne Dornen! Wer die Vorteile des Lebens in einer Großstadt genießen will, muss mit den Nachteilen der dichten Besiedelung, den vielen Menschen mit ihren Eigenheiten und Bedürfnissen klarkommen. Wer sich für eine Wohnung an der „Piazza“ entschieden hat, muss mit dem Lärm leben, der dort üblich ist.
Damit liegt kein Sachmangel vor und besteht mithin kein Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I 1 BGB.
B. Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II BGB
I. Anwendbarkeit neben den §§ 434 ff. BGB
Ein Anspruch aus §§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II BGB wird von den kaufrechtlichen Sachmängelansprüchen nicht verdrängt, wenn, wie hier behauptet wird, eine Aufklärungspflicht vorsätzlich verletzt wurde.
BGH, Urteil vom 27.03.2009, V ZR 30/08
II. Schuldverhältnis gem. § 311 II Nr. 1
Nach § 311 II Nr. 1 BGB entsteht ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 II BGB zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils auch durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen. Dies ist hier der Fall.
III. Pflichtverletzung im Sinne des § 241 II BGB
B muss eine Pflicht gem. § 241 II BGB verletzt haben. In Betracht kommt allein die Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht.
Aufklärungspflicht kann Umstände betreffen, welche keine Sachmängel sind.
Jedoch sind Informationsdefizite Teil des Lebensrisikos. Zur Aufklärung ist man nur verpflichtet, wenn ein berechtigtes Interesse des anderen Teils ersichtlich ist und die Preisgabe der Information zumutbar ist.
Siehe auch LG Wuppertal, RA 2020, 57 ff.
Jeder muss sich um frei verfügbare Informationen selbst bemühen.
Damit fehlt es bereits an einer Pflichtverletzung im Sinne des § 241 II BGB.
IV. Vertretenmüssen durch arglistiges Verschweigen
Arglist: BGH, Urteil vom 22.04.2016, V ZR 23/15
K hat gegen B keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus §§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II BGB.
C. Ergebnis
K hat gegen B keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz.
FAZIT
Rügt der Käufer einen Mangel der Kaufsache wegen lästiger Immissionen, ist nicht das subjektive Empfinden maßgeblich, sondern die Sozialadäquanz der Immissionen. Hierbei darf das Gericht auf den Rechtsgedanken des § 906 BGB abstellen. Eine Aufklärungspflichtverletzung liegt nicht vor, wenn sich der Käufer die Information aus frei zugänglichen Quellen beschaffen kann und ihm dies auch zuzumuten ist.
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