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Fall des Monats Juli 2025: Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe

OLG Zweibrücken, Beschluss vom 04.12.2024, Az.: 1 ORs 3 SRs 72/24

Problem: Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe

Einordnung: Strafrecht AT II / Täterschaft und Teilnahme

In Kooperation mit Jura Intensiv präsentieren wir dir den #examensrelevanten Fall des Monats. Dieser bietet einen Sachverhalt mit Fragestellung, sodass der Fall eigenständig gelöst werden kann. Die hier präsentierten Lösungen enthalten in aller Regel auch weiterführende Hinweise für eine optimale Examensvorbereitung.

Einleitung

Das OLG Zweibrücken prüft die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei der Beteiligung an einem Bandendelikt durch ein Bandenmitglied.

Sachverhalt

Die Angeklagte A sollte sich als Mitglied einer Gruppierung zukünftig an Betrugsstraftaten zum Nachteil älterer Menschen mit dem Modus Operandi „Enkeltrick“/„Schock-Anruf“ beteiligen. In von Mitgliedern der Gruppierung geführten Telefonaten sollten ältere Opfer durch Vortäuschung vermeintlicher Notlagen zur Herausgabe von wesentlichen Teilen ihres Vermögens bewegt werden. A sollte als „Abholerin“ fungieren, also (größere) Bargeldbeträge bei zuvor erfolgreich getäuschten Tatopfern abholen und den so erlangten Geldbetrag anschließend an weitere Tatbeteiligte übergeben.

Am Vormittag des 16.04.2024 kontaktierte M, ein Mitglied der Gruppierung, der auch A angehörte, die Zeugin Z telefonisch und gab sich als Polizeibeamtin aus, um einen Anruf in amtlicher Funktion vorzutäuschen. M teilte wahrheitswidrig mit, dass T, die Tochter der Z einen schweren Verkehrsunfall verursachte habe und für den Tod einer hochschwangeren Frau verantwortlich sei; damit T nicht ins Gefängnis müsse, solle Z einen hohen Geldbetrag zahlen. Z vereinbarte mit M die Übergabe von 400.000 € an der Wohnanschrift der Z. Die in Kenntnis dieser Umstände von der Gruppierung mit der Geldabholung beauftragte A erschien zu diesem Zweck an der Wohnung der Z, um dort – wie vereinbart – die 400.000 € entgegenzunehmen. Nachdem Z zwischenzeitlich misstrauisch geworden war und die Polizei alarmiert hatte, wurde A gegen 13.05 Uhr von Einsatzkräften der Polizei festgenommen.

Strafbarkeit der A?

[Anm.: § 263 III, V StGB ist nicht zu prüfen.]

Leitsatz

Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei der Geldabholung nach Schockanruf.

PRÜFUNGSSCHEMA: VERSUCHTER BETRUG, §§ 263 I, 22, 23 I StGB

A. Vorprüfung
B. Tatentschluss
I. Bzgl. Täuschung über Tatsachen
II. Bzgl. täuschungsbedingten Irrtums
III. Bzgl. irrtumsbedingter Vermögensverfügung
IV. Bzgl. verfügungsbedingten Vermögensschadens
V. Bereicherungsabsicht
VI. Bzgl. Rechtswidrigkeit und Stoffgleichheit der beabsichtigen Bereicherung
C. Unmittelbares Ansetzen, § 22
D. Rechtswidrigkeit und Schuld
E. Kein Rücktritt gem. § 24 StGB

Lösung

A. Strafbarkeit gem. §§ 263 I, 25 II, 22, 23 I StGB

Dadurch, dass A zur Wohnung der Z fuhr, könnte sie sich wegen mittäterschaftlichen versuchten Betrugs gem. §§ 263 I, 25 II, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben.

I. Vorprüfung
Da das Geld nicht übergeben wurde, fehlt es jedenfalls an einem Vermögensschaden, sodass keine Strafbarkeit wegen vollendeter Tat gegeben ist. Die Strafbarkeit des Versuchs des Betrugs ergibt sich aus § 263 II StGB.

II. Tatentschluss
A müsste Tatentschluss dazu gehabt haben, Z über Tatsachen zu täuschen.

Definitionen:
Tatentschluss
ist der Wille zur Verwirklichung der objektiven Tatumstände bei gleichzeitigem Vorliegen eventuell erforderlicher besonderer subjektiver Tatbestandsmerkmale.
Täuschung ist jede intellektuelle Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen, die geeignet ist, eine Fehlvorstellung über Tatsachen hervorzurufen.
Tatsachen sind alle Zustände oder Geschehnisse, die dem Beweis zugänglich sind.

A selbst wollte Z nicht täuschen. Sie ging davon aus, dass M die Z über die Tatsache täuschen würde, dass T zur Zahlung eines hohen Geldbetrags verpflichtet sei. Allerdings könnte A sich Umstände vorgestellt haben, die sie zur Mittäterin der M machen würden, sodass der A die Täuschungshandlung der M gem. § 25 II StGB zugerechnet würde.

„[12] a) Schließen sich mehrere Täter zu einer Bande zusammen, um fortgesetzt Straftaten einer bestimmten Deliktsart zu begehen, ist für jede einzelne Tat nach den allgemeinen Kriterien festzustellen, ob sich die anderen Bandenmitglieder hieran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt oder ob sie gegebenenfalls überhaupt keinen strafbaren Beitrag geleistet haben. Ebenso wie nicht jeder Beteiligte an einer von einer Bande ausgeführten Tat hierdurch zum Bandenmitglied wird, ist auch nicht jeder Beteiligte an einer Bandentat schon deshalb als deren Mittäter anzusehen (vgl. insoweit auch BGH, Urteil vom 26.04.2012, 4 StR 665/11, StV 2012, 669 und BGH, Beschluss vom 15.01.2002, 4 StR 499/01, JuS 2002, 717).

[13] Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB, wer seinen eigenen Tatbeitrag leistet und diesen so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag sein, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Die Frage, ob sich bei mehreren Tatbeteiligten das Handeln eines von ihnen als Mittäterschaft im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB darstellt, ist vom Tatgericht für jede einzelne Tat aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Maßgebliche Kriterien sind dabei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Beteiligten abhängen müssen (vgl. insoweit auch BGH, Urteil vom 29.07.2021, 1 StR 83/21, NStZ 2022, 95).

Hinweis:
Während in der Literatur weiterhin die Tatherrschaftslehre (vgl. SK, StGB, § 25 Rn 13, Kühl, AT, § 20 Rn 188) verbreitet ist, nimmt der BGH auch hier in Fortführung seiner ständigen Rechtsprechung im Rahmen der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme die für die von ihm vertretene „modifizierte Animus-Theorie“ typische Gesamtbetrachtung vor (s. auch BGH, Beschluss vom 28.04.2020, 3 StR 85/20, JuS 2020, 1081).

[14] b) […] Zwar können solche Erörterungen [zu den Umständen des Einzelfalls] dann entbehrlich sein, wenn angesichts der Urteilsfeststellungen die Einbindung des jeweiligen Tatbeteiligten als Mittäter ohne weiteres ersichtlich ist. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

[15] Einerseits kam der Angeklagten als ‚Abholerin‘ eine wesentliche Rolle innerhalb der Tätergruppierung zu. Ihr wurde die Aufgabe übertragen, die Tatbeute unmittelbar bei den Opfern abzuholen. Sie war der einzige Tatbeteiligte vor Ort und auch dem größten Entdeckungsrisiko ausgesetzt. Damit hing die Durchführung der Tat auch objektiv wesentlich von ihrem Tatbeitrag ab; ohne diesen hätte die Tat nicht verwirklicht werden können. Andererseits war die Angeklagte in keiner Weise an der Organisation der Taten beteiligt, die vielmehr von bislang unbekannten Mitgliedern der Tätergruppierung übernommen wurde. Auch war die wesentliche Aufgabe, die potentiellen Betrugsopfer durch entsprechende ‚Schock-Anrufe‘ zu täuschen und zur Übergabe von während des Kontakts ‚vereinbarten‘ Geldbeträgen zu bewegen, anderen bislang unbekannten Mitgliedern der Tatgruppierung übertragen. Die Angeklagte wirkte bei keiner Gelegenheit selbst auf die Geschädigte ein, sondern fand sich – nach entsprechender Anweisung durch ein Mitglied der Tätergruppierung – lediglich zu der ihr vorgegebenen Uhrzeit an der Wohnung der Geschädigten ein; ein persönlicher Kontakt zu der Geschädigten hätte sich auf die Entgegennahme des Geldbetrages beschränkt. Neben diesen objektiven Faktoren ist auch das Eigeninteresse [der] Angeklagten an der Tat und an einer eigenen Tatherrschaft in den Blick zu nehmen. Bei der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung konnte ein (gegebenenfalls besonderes) eigenes Interesses der Angeklagten am Taterfolg nicht berücksichtigt werden. Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, in welcher Weise die Angeklagte – über die Erstattung der Auslagen für die Hotelbuchung hinausgehend – für ihre Tätigkeit als ‚Abholerin‘ hätte entlohnt werden sollen. Insoweit war der Grad des eigenen Interesses der Angeklagten am Taterfolg nicht zu bewerten.“

A hatte also keinen Tatentschluss dahingehend, Z selbst oder gemeinschaftlich mit M i.S.v. § 25 II StGB zu täuschen.

III. Ergebnis
A ist nicht strafbar gem. §§ 263 I, 25 II, 22, 23 I StGB.

B. Strafbarkeit gem. §§ 263 I, 22, 23 I, 27 StGB

A könnte sich durch die Fahrt zur Wohnung der Z aber wegen Beihilfe zum versuchten Betrug gem. §§ 263 I, 22, 23 I, 27 StGB strafbar gemacht haben.

I. Tatbestand

1. Vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat
Zunächst einmal müsste ein versuchter Betrug der M gem. §§ 263 I, 22, 23 I StGB als vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat vorliegen.

a) Vorprüfung
Ein vollendeter Betrugs liegt nicht vor und der Betrugsversuch ist strafbar (s.o.).

b) Tatentschluss
M hatte sich vorgestellt, gegenüber Z wahrheitswidrig zu behaupten, dass T einen hohen Geldbetrag zahlen müsse. Sie hatte also Tatentschluss zur Täuschung über Tatsachen. M ging auch davon aus, dass Z dies glauben würde, hatte also Tatentschluss bzgl. eines täuschungsbedingten Irrtums. M dachte, dass Z den geforderten Betrag zahlen und so Besitz und Eigentum an den Geldscheinen verlieren würde. Sie hatte Tatentschluss bzgl. einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung. M wusste, dass Z für die Zahlung kein Äquivalent erhalten würde, hatte also auch Tatentschluss bzgl. eines verfügungsbedingten Vermögensschadens. M hatte die Absicht, die Abholerin A bzgl. des übergebenen Geldes zu bereichern. M wusste, dass kein Anspruch auf die Zahlung bestand und dass die Bereicherung der A die Kehrseite des Vermögensschadens bei Z darstellen würde, hatte also Tatentschluss bzgl. der Rechtswidrigkeit und Stoffgleichheit der beabsichtigten Bereicherung.

c) Unmittelbares Ansetzen, § 22 StGB
Spätestens in dem Moment, in dem A bei Z erschien, um das Geld abzuholen, hat M auch zur Verwirklichung des Tatbestandes i.S.v. § 22 StGB unmittelbar angesetzt.

Definition:
Unmittelbares Ansetzen
ist gegeben, wenn der Täter die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreitet, was der Fall ist, wenn er Handlungen vornimmt, die in die Tatbestandsverwirklichung unmittelbar einmünden sollen und deshalb das geschützte Rechtsgut aus Sicht des Täters bereits konkret gefährdet ist.

d) Rechtswidrigkeit
M handelte auch rechtswidrig.

2. Hilfeleisten
Dadurch, dass A zur Wohnung der Z fuhr, um dort das Geld abzuholen, hat A den Betrugsversuch gefördert und somit Hilfe geleistet.

3. Vorsatz (sog. „Doppelvorsatz“)
A müsste mit Vorsatz bzgl. der teilnahmefähigen Haupttat und bzgl. des Hilfeleistens gehandelt haben (sog. „Doppelvorsatz“). Zwar war A davon ausgegangen, dass die Haupttat vollendet würde. Da jedoch der Versuch ein notwendiges Durchgangsstadium für die Vollendung einer Vorsatztat darstellt, umfasst der Vorsatz der A auch den Versuch der Haupttat. A wollte auch zu der Haupttat Hilfe leisten und wies somit den erforderlichen „Doppelvorsatz“ auf.

II. Rechtswidrigkeit und Schuld
A handelte rechtswidrig und schuldhaft.

III. Kein Rücktritt gem. § 24 II StGB
Anhaltspunkte für einen strafbefreienden Rücktritt der A gem. § 24 II StGB sind nicht ersichtlich.

Hinweis:
Obwohl die Beihilfe der A bereits vollendet ist, ein Rücktritt als Folge der Akzessorietät der Teilnahme noch möglich, da die Haupttat nur als Versuch vorliegt.

IV. Ergebnis
A ist strafbar gem. §§ 263 I, 22, 23 I, 27 StGB.

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Beitragsautor:

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