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Fall des Monats August 2023: Haftung für einen Elektroroller

By 15. August 2023Oktober 10th, 2023No Comments
Fall des Monats

Problem: Haftung für einen Elektroroller

Einordnung: Deliktsrecht

BGH, Urteil vom 24.01.2023 VI ZR 1234/20

EINLEITUNG

Die grundlegende Entscheidung des BGH zur weiten Auslegung des Merkmals „bei Betrieb“ in § 7 I StVG (VI ZR 236/18) wurde seitens JuraIntensiv in RA 07/2019, 337 ff. besprochen. Es ist lohnenswert, sie vorab zu lesen, um die Entwicklung der Rechtsprechung zu verstehen und den „roten Faden“ zu erkennen. Im Urteil vom 20.10.2020, VI ZR 319/18, dem ein ähnlicher Sachverhalt zugrundelag, blieb der VI. Zivilsenat der eingeschlagenen Linie treu. Wo aber liegen die Grenzen einer derart weiten Auslegung? Einen neuen Zaun zieht der VI. Zivilsenat in der hier besprochenen Entscheidung.

SACHVERHALT

K ist Gebäudeversicherer des W, der eine Werkstatt betreibt. B ist Haftpflichtversicherer des V. V brachte seinen Elektroroller (Kleinkraftrad) zur Inspektion in die Werkstatträume des W. Dort entnahm M, ein Mitarbeiter des W, die Batterie des Elektrorollers und begann sie aufzuladen. Als M bemerkte, dass sich die Batterie stark erhitzte, trennte er sie vom Stromnetz und legte sie zur Abkühlung auf den Boden der Werkstatt. Kurz darauf explodierte die Batterie und setzte das Gebäude des W in Brand. K verlangt von B Schadensersatz aus übergegangener Forderung. Zu Recht?

ORIENTIERUNGSSATZ

  1. Für eine Haftung nach § 7 I StVG ist stets erforderlich, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll.
  2. Dass Dritte durch den Defekt einer Betriebseinrichtung eines Kraftfahrzeuges an ihren Rechtsgütern einen Schaden erleiden, gehört zu den spezifischen Auswirkungen derjenigen Gefahren, für die die Haftungsvorschrift des § 7 StVG den Verkehr schadlos halten will. Hierzu reicht es aus, dass ein Brand oder dessen Übergreifen in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht (Fortführung BGH, Urteil vom 20.10.2020, VI ZR 319/18).
  3. Etwasanderesgiltaberdann,wenn die Batterie aus dem Elektroroller ausgebaut war und zu diesem keine Verbindung mehr hatte. In diesem Fall ist die Batterie nicht mehr Teil der Betriebseinrichtung mit der Folge, dass der Halter nicht für die durch die Explosion entstandenen Schäden haftet.

Problem: Haftung für einen Elektroroller

Einordnung: Deliktsrecht

BGH, Urteil vom 24.01.2023 VI ZR 1234/20

EINLEITUNG

Die grundlegende Entscheidung des BGH zur weiten Auslegung des Merkmals „bei Betrieb“ in § 7 I StVG (VI ZR 236/18) wurde seitens JuraIntensiv in RA 07/2019, 337 ff. besprochen. Es ist lohnenswert, sie vorab zu lesen, um die Entwicklung der Rechtsprechung zu verstehen und den „roten Faden“ zu erkennen. Im Urteil vom 20.10.2020, VI ZR 319/18, dem ein ähnlicher Sachverhalt zugrundelag, blieb der VI. Zivilsenat der eingeschlagenen Linie treu. Wo aber liegen die Grenzen einer derart weiten Auslegung? Einen neuen Zaun zieht der VI. Zivilsenat in der hier besprochenen Entscheidung.

SACHVERHALT

K ist Gebäudeversicherer des W, der eine Werkstatt betreibt. B ist Haftpflichtversicherer des V. V brachte seinen Elektroroller (Kleinkraftrad) zur Inspektion in die Werkstatträume des W. Dort entnahm M, ein Mitarbeiter des W, die Batterie des Elektrorollers und begann sie aufzuladen. Als M bemerkte, dass sich die Batterie stark erhitzte, trennte er sie vom Stromnetz und legte sie zur Abkühlung auf den Boden der Werkstatt. Kurz darauf explodierte die Batterie und setzte das Gebäude des W in Brand. K verlangt von B Schadensersatz aus übergegangener Forderung. Zu Recht?

ORIENTIERUNGSSATZ

  1. Für eine Haftung nach § 7 I StVG ist stets erforderlich, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll.
  2. Dass Dritte durch den Defekt einer Betriebseinrichtung eines Kraftfahrzeuges an ihren Rechtsgütern einen Schaden erleiden, gehört zu den spezifischen Auswirkungen derjenigen Gefahren, für die die Haftungsvorschrift des § 7 StVG den Verkehr schadlos halten will. Hierzu reicht es aus, dass ein Brand oder dessen Übergreifen in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht (Fortführung BGH, Urteil vom 20.10.2020, VI ZR 319/18).
  3. Etwasanderesgiltaberdann,wenn die Batterie aus dem Elektroroller ausgebaut war und zu diesem keine Verbindung mehr hatte. In diesem Fall ist die Batterie nicht mehr Teil der Betriebseinrichtung mit der Folge, dass der Halter nicht für die durch die Explosion entstandenen Schäden haftet.

LÖSUNG

PRÜFUNGSSCHEMA

A. Anspruch K gegen B aus §§ 86, 115 I 1 Nr. 1 VVG, 7 I StVG

I. Versicherungsvertrag zwischen K und W i. S. d. § 86 VVG

II. Versicherungsvertrag zwischen V und B gem. §§ 113 VVG, 1 PflichtversG

III. Haftung des V aus § 7 I StVG

B. Ansprüche aus Verschuldenshaftung

 

A. Anspruch des K gegen B gem. §§ 86, 115 I 1 Nr. 1 VVG i. V. m. § 7 I StVG

K könnte gegen B einen Anspruch aus §§ 86, 115 I 1 Nr. 1 VVG i. V. m. § 7 I StVG haben. Dies setzt voraus, dass ein Versicherungsvertrag zwischen K und W besteht, V dem W aus § 7 I StVG haftet, und V bei B gem. § 113 VVG haftpflichtversichert ist.

In der RA 07/2019 finden Sie auf der Seite 337 eine hilfreiche Skizze, die den Zusammenhang zwischen Gebäudeversicherer, Halter und Haftpflichtversicherer illustriert.

I. Versicherungsvertrag zwischen K und W i. S. d. § 86 VVG

Zwischen K und W besteht ein Versicherungsvertrag über das Werkstattgebäude. W hat bei K einen Schaden geltend gemacht. Wenn und insoweit K diesen Schaden reguliert, gehen bestehende Ansprüche des Versicherten W gegen V auf K über. Ebenfalls gehen die Direktansprüche des W gegen die Haftpflichtversicherung des V, die B, aus § 115 I 1 Nr. 1 VVG auf K über.

Gesetzlicher Forderungsübergang

II. Versicherungsvertrag zwischen V und B gem. §§ 113 VVG, 1 PflichtversG

B haftet gem. § 115 I 1 Nr. 1, S. 4 VVG als Gesamtschuldner neben V, wenn B Pflichtversicherer des V gem. § 113 VVG ist. Die Kfz-Haftpflichtversicherung ist eine Pflichtversicherung gem. § 1 PflichtversG. Somit hängt der Direktanspruch aus § 115 I 1 Nr. 1 VVG hier nur noch davon ab, ob V dem W auf Schadensersatz haftet. In Betracht kommt eine Haftung aus § 7 I StVG.

Direktanspruch gegen die Haftpflichtversicherung, wenn sie eine Pflichtversicherung ist

III. Haftung des V gegenüber W aus § 7 I StVG

V müsste als Halter des Fahrzeugs, dem die Batterie entnommen wurde, für die in der Werkstatt eingetretenen Brandschäden aus § 7 I StVG haften.

1. Rechtsgutsverletzung

Indem die Werkstatt des W durch den Brand beschädigt wurde, wurden fremde Sachen beschädigt und mithin Rechtsgüter i. S. d. § 7 I StVG verletzt.

2. Halter eines KfZ

V ist Halter des Elektrorollers der Klasse „Kleinkraftrad“, mithin eines Kraftfahrzeuges.

Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 7 StVG liegen unproblematisch vor, problematisch ist allein, wie weit die Auslegung des Merkmals „bei Betrieb“ reichen soll.

3. Kausalität

§ 7 I StVG verlangt, dass sich das schädigende Ereignis bei Betrieb des betroffenen Fahrzeugs ereignet hat. Daraus wird allgemein geschlossen, dass sich die Betriebsgefahr des Fahrzeugs im Kausalverlauf realisiert haben muss. Dies heißt konkret, dass die Schäden am Eigentum des W innerhalb des Zurechnungszusammenhangs des Betriebs des Fahrzeugs des V entstanden sein müssen. Für den Begriff des Betriebs ist grundsätzlich vom einzelnen Betriebsvorgang als Haftungsgrundlage auszugehen.

Allen Ansprüchen aus Gefährdungshaftung ist gemein, dass sich die jeweilige tatbestandsspezifische Gefahr im Kausalverlauf realisiert haben muss. Diese ist beim Kfz die „Betriebsgefahr“.

[8] Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG ist, dass eines der dort genannten Rechtsgüter „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ verletzt bzw. beschädigt worden ist. Dieses Haftungsmerkmal ist entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, das heißt, wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, das heißt, die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (…).

Tatbestandsspezifische Gefahr durch den Betrieb des Kfz

Der eingetretene Schaden muss in örtlichem, zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang oder einer Betriebseinrichtung stehen.

[9] Zwar ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts der Umstand, dass sich der Elektroroller und die Batterie zur Inspektion in einer Werkstatt befanden, für die Frage der Haftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG unerheblich. Denn dass Dritte durch den Defekt einer Betriebseinrichtung eines Kraftfahrzeuges an ihren Rechtsgütern einen Schaden erleiden, gehört zu den spezifischen Auswirkungen derjenigen Gefahren, für die die Haftungsvorschrift des § 7 StVG den Verkehr schadlos halten will. Dabei macht es rechtlich keinen Unterschied, ob der Brand unabhängig vom Fahrbetrieb selbst vor, während oder nach einer Fahrt eintritt. Wollte man die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG auf Schadensfolgen begrenzen, die durch den Fahrbetrieb selbst und dessen Nachwirkungen verursacht worden sind, liefe die Haftung in all den Fällen leer, in denen unabhängig von einem Betriebsvorgang allein ein technischer Defekt einer Betriebseinrichtung für den Schaden eines Dritten ursächlich geworden ist. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist das Schadensgeschehen jedoch auch in diesen Fällen durch das Kraftfahrzeug selbst und die von ihm ausgehenden Gefahren entscheidend (mit)geprägt worden. Hierzu reicht es aus, dass der Brand oder dessen Übergreifen in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht (…).

Diese weite Auslegung traf der VI. Zivilsenat in der Entscheidung RA 07/2019, 337.

Grundsätzlich nicht erfasst: Technischer Defekt unabhängig von einer Betriebseinrichtung

Ausnahmsweise doch erfasst: Ursächlicher Zusammenhang mit Betriebseinrichtung

[10] Allerdings ist nicht festgestellt – und die Revision zeigt dazu auch keinen übergangenen Vortrag auf -, dass die Erhitzung und die nachfolgende Explosion der Batterie bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG standen. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Batterie bereits aus dem Elektroroller ausgebaut und hatte zu diesem keine Verbindung mehr. Bei dieser Sachlage besteht kein Unterschied zu der Situation, in der eine zuvor nicht im Elektroroller befindliche Batterie dort eingebaut werden soll und zu diesem Zweck vorher aufgeladen wird. In diesen Fällen ist die Batterie nicht mehr bzw. noch nicht Teil der Betriebseinrichtung.

Hier entscheidend: Die Batterie war ausgebaut und hatte zum Elektroroller keine Verbindung mehr.

Vergleich mit einer ähnlichen Sachlage

[11] Weiter ist nicht festgestellt – und die Revision zeigt auch dazu keinen übergangenen Vortrag auf -, dass die Explosion der Batterie in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang stand (…). Allein der Umstand, dass sich die Batterie zuvor im Elektroroller befand und in diesem entladen wurde, begründet nicht den erforderlichen Zurechnungszusammenhang.

Entscheidend: Dass die Batterie zuvor eingebaut war, begründet allein für sich noch nicht den Zurechnungszusammenhang.

Folglich fehlt es am zur Begründung der Haftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang mit einem Betriebsvorgang. K hat gegen B keinen Anspruch aus §§ 86, 115 I 1 Nr.1, S. 4 VVG i. V. m. § 7 I StVG.

B. Ansprüche aus Verschuldenshaftung

Ansprüche aus Verschuldenshaftung des W gegen V, für die B gem. § 115 I 1 Nr. 1 VVG haften würde und die gem. § 86 VVG auf K hätten übergehen können, sind mangels Verschuldens des V nicht ersichtlich.

C. Ergebnis

K hat gegen B keinen Anspruch aus übergegangenem Recht.

FAZIT

Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht. Hierfür ist es nicht alleine ausreichend, dass sich die Batterie zuvor im Elektroroller befand und in diesem entladen wurde.

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Beitragsautor:

Jura Intensiv

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