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Gewusst

Die Zweckmäßigkeitserwägungen in der Anwaltsklausur – Teil II

By 21. Dezember 2021Oktober 11th, 2023No Comments
Assessorexamen

Im Beitrag Die Zweckmäßigkeitserwägungen in der Anwaltsklausur – Teil I sind bereits die wichtigsten Aspekte unabhängig vom Rechtsgebiet, sowie die Zweckmäßigkeitserwägungen in der öffentlich-rechtlichen Anwaltsklausur zu finden.

Die Zweckmäßigkeitserwägungen im Zivilrecht

Im Zivilrecht kommt die Anwaltsklausur üblicherweise in drei Formen vor:

  • Der Mandant möchte einen Anspruch durchsetzen (Rolle des Klägers)
  • Der Mandant möchte sich gegen eine gegen ihn erhobene Klage wehren (Rolle des Beklagten)
  • Gegen den Mandanten ist als Kläger oder Beklagter ein Versäumnisurteil ergangen

Die Klausurtypen existieren dabei unabhängig davon, ob es sich um eine Klausur im Erkenntnisverfahren oder im Zwangsvollstreckungsverfahren handelt.

JurCase informiert:

Gelegentlich können auch mal Sonderformen auftreten, etwa wenn der Mandant ein Rechtsmittel gegen ein Urteil einlegen oder sich mit der Nichtigkeitsklage gegen ein nichtiges Urteil wehren möchte. Trotz der Seltenheit lohnt es sich, zumindest mal die relevanten Normen in der ZPO zu lesen und in der Klausur im Zweifel einfach ein wenig in Gesetz und Kommentar zu blättern.

Im Rahmen der drei klassischen Klausurtypen sind die wichtigsten Zweckmäßigkeitserwägungen folgende:

1. Der Mandant als Kläger

  • Klageerhebung oder Mahnschreiben an die Gegenpartei? Dies hängt maßgeblich davon ab, ob mit der Gegenpartei bereits Kontakt aufgenommen wurde. Um ein für den Kläger kostenbegründendes sofortiges Anerkenntnis durch den Gegner zu vermeiden, sollte der Kläger den behaupteten Anspruch zunächst beim Gegner selbst einfordern und diesen mahnen.
  • Erhebung einer Teilklage, um zunächst die Gerichtskosten gering zu halten und die gerichtliche Bewertung des Sachverhalts abzuwarten. Sinnvoll, wenn die Erfolgsaussichten unsicher sind und hohe Streitwerte im Raum stehen.
  • Vergleichsangebot? Dies kann relevant sein, wenn der Mandant ausdrücklich an einer außergerichtlichen Einigung interessiert ist oder die Gegenpartei Verhandlungsbereitschaft zu erkennen gegeben hat.
  • Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz? Gibt der Mandant zu verstehen, dass es ihm auf die Sicherung einer Rechtsposition und schnelles Handeln ankommt, sind Arrestantrag oder Antrag auf einstweilige Verfügung möglicherweise das Mittel zum Zweck.
  • Die Klage im Urkundenprozess, da der Mandant seinen Anspruch so zunächst schnell durchsetzen kann und ohne Sicherheitsleistung vollstrecken kann.
  • Der richtige Beklagte: Wird eine Einzelperson verklagt oder liegt eine Streitgenossenschaft vor? Kommt eine Streitverkündung in Frage? Die Streitverkündung hat die Folge der Interventionswirkung gemäß §§ 68, 74 ZPO, sodass sie vorgenommen werden sollte, wenn bei Unterliegen des Klägers ein Regressprozess gegen den Streitverkündeten in Frage kommt.
  • Erledigungserklärung mit Antrag auf Feststellung der Erledigung. Dies führt bei Erfolg zur Kostentragung des Beklagten.
  • Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs des Beklagten, damit gemäß §§ 756, 765 ZPO ohne erneutes Anbieten der Gegenleistung vollstreckt werden kann.
  • Klagerücknahme zur Beendigung des Prozesses zur Senkung der Gerichtskosten.
  • Im Zwangsvollstreckungsverfahren kommen außerdem Vollstreckungsschutzanträge in Frage.

2. Der Mandant als Beklagter

  • Klageerwiderung oder sofortiges Anerkenntnis? Sollte der Mandant durch die Klage erstmals von den geltend gemachten Ansprüchen des Klägers erfahren haben, kommt möglicherweise das sofortige Anerkenntnis gemäß § 93 ZPO in Frage. Der Mandant muss keine Kosten tragen.
  • Flucht in die Säumnis, wenn dem Mandanten die Präklusion gemäß § 296 ZPO droht.
  • Die Aufrechnung mit eigenen fälligen und durchsetzbaren Ansprüchen führt bei Erfolg von Klage und Aufrechnung zur (Teil)abweisung und somit zu geringerer Kostentragung.
  • (Dritt-)Widerklage gegen den Kläger und Dritte, um eigene Ansprüche auch bei Misserfolg der Klage durchzusetzen.
  • Rüge der gerichtlichen Zuständigkeit, der statthaften Klageart und der Partei- oder Prozessführungsbefugnis des Klägers, um eine rügelose Einlassung gemäß §§ 39, 295 ZPO zu verhindern.
  • Erhebung der Einrede gemäß § 269 Abs. 6 ZPO führt zur Unzulässigkeit der Klage, wenn der Kläger den Anspruch bereits vormals erhoben und nach Klagerücknahme die Kosten des Beklagten nicht erstattet hat.

3. Der Mandant im Versäumnisverfahren

Ist der Mandant säumiger Kläger ist möglicherweise eine bereits erfolgte Klageschrift zu ergänzen. Ist der Mandant säumiger Beklagter, sind die Zweckmäßigkeitserwägungen mit denen unter 2. identisch. Hinzu kommt die Überprüfung der Einspruchsfristen.

JurCase informiert:

Es gilt der Grundsatz der Meistbegünstigung. Ist nicht klar ersichtlich, ob tatsächlich ein Versäumnisurteil ergangen ist, da das Urteil zwar damit überschrieben ist, jedoch entgegen § 313b ZPO Tatbestand und Entscheidungsgründe enthält, kann der Mandant statt des Einspruchs auch Berufung einlegen.

Die Zweckmäßigkeitserwägungen im Strafrecht

Im Strafrecht erscheint die Anwaltsklausur im Gewand der Revisionsklausur. Hier gilt es darüber zu entscheiden und den Mandanten dahingehend zu beraten, ob die Einlegung einer Revision sinnvoll ist. Neben den allgemeinen Aspekten wie der Zuständigkeit des Revisionsgerichts und der Einhaltung einer Revisionsfrist sind vor allem folgende Aspekte zu berücksichtigen:

  • Teilanfechtung des Urteils: Möglicherweise kommt eine Revisionsbeschränkung in Frage. Eine nur teilweise eingelegte Revision führt dazu, dass der nicht angefochtene Teil des Urteils rechtskräftig wird. Einzeln anfechtbar sind etwa einzelne prozessuale Taten oder der gesamte Rechtsfolgenausspruch.
  • Reformatio in peius: Besteht die Gefahr einer Reformatio in peius, der Verschlechterung, ist der Mandant zwingend darauf hinzuweisen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn auch die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat oder Taten offenkundig übersehen wurden, sodass mit einer Revisionseinlegung der Staatsanwaltschaft noch zu rechnen ist.
  • Rügeanforderungen: Zu beachten sind die Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 StPO. Danach müssen Verfahrensrügen ausführlich begründet werden. Dies sollte in den Zweckmäßigkeitserwägungen zumindest kurz Erwähnung finden.
  • Willkürprüfung: Bei unanfechtbaren Beschlüssen des Gerichts findet lediglich eine Willkürprüfung statt. Dies ergibt sich aus § 336 Abs. 1 S. 2 StPO. Liegt ein Rechtsverstoß vor, sollte der beschränkte Prüfungsumfang festgestellt werden.
  • Rücknahme einer bereits eingelegten, jedoch noch nicht begründeten Revision ist nur nach den strengen Regeln des § 302 StPO zulässig.
  • Eine Erstreckung einer Revision eines Mitangeklagten auf den Mandanten ist möglich und zulässig, wenn beide wegen derselben Tat und durch dasselbe Urteil verurteilt wurden und ein gemeinsamer Revisionsgrund besteht. Dies gilt nicht zugunsten jugendlicher Mitangeklagter, die wegen § 55 JGG keine Revision mehr einlegen können.

Fazit

Die Zweckmäßigkeitserwägungen mögen im Ergebnis nur einen kleinen Teil der Klausur darstellen. Eine schlechte materiell-rechtliche Bearbeitung kann durch sie ebenfalls nicht kompensiert werden, da dort die meiste Arbeit liegt. Sie aus Zeitmangel wegzulassen wäre jedoch ein grober Fehler und schlägt sich in der Note negativ nieder. Mit obiger Checkliste ist es problemlos möglich, die wichtigsten Aspekte im Kopf zu haben und die taktisch richtige Entscheidung für den Mandanten zu treffen.

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Beitragsautor:

Isabelle Mewes

Isabelle Mewes

Isabelle absolviert ihren juristischen Vorbereitungsdienst am Landgericht Mainz. Für JurCase gibt sie Einblicke in ihr Referendariat. Daneben teilte sie Erfahrungen über ihr Ehrenamt zu Studienzeiten bei ELSA mit. Sie beschäftigt sich außerdem mit Schlüsselqualifikationen.

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