Diese aktuelle Rechtsprechung im Straf- und Strafprozessrecht aus den Jahren 2019, 2020 und 2021 solltest du für dein Staatsexamen kennen!
Hiermit möchten wir dir die aktuell wichtigste Rechtsprechung, die Top 10 Urteile im Strafrecht aus den Jahren 2019, 2020 und 2021 zur Vorbereitung auf dein schriftliches Examen und / oder deine mündliche Prüfung vorstellen [Stand: Mai 2021]:
Nr. 1 – BGH 5 StR 671/19 – Urteil vom 24.06.2020
Es werden mehrere Einbruchdiebstähle in gewerbsmäßig aber auch privatwohnlich genutzten Räumlichkeiten verübt. Bei einigen Einbrüchen handeln mehrere Beteiligte gemeinschaftlich, andere werden von einem Angeklagten alleine begangen.
In einem dieser Fälle bricht der Angeklagte alleine in eine Wohnung ein, in welcher, bedingt durch einen Todesfall, zur Tatzeit keine Person mehr wohnt. Diskutiert wird hier erneut die Entwidmung der Privatwohnung und wann der besonders schwere Fall des § 263 Abs. 4 StGB erfüllt ist.
JurCase informiert:
Während hier nicht nur der Todesfall und die mögliche Entwidmung der Privatwohnung diskutiert wird (siehe auch: Fall Nr. 1), geht es hierbei auch um den Bandendiebstahl gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Zur Definition dieses Merkmals kannst du die „3-2-1-0 Formel“ verwenden: Mindestens drei Handelnde müssen sich zur Begehung zusammentun, zwei müssen bei der konkreten Tat zusammenwirken, einer muss die Tat als Täter begehen und keiner muss am Tatort zugegen sein.
Nr. 2 – BGH 4 StR 482/19 – Urteil vom 18.06.2020
Die Angeklagten stehen mit hochmotorisierten Fahrzeugen vor einer roten Ampel und verabreden sich zu einem „Stechen“. Sobald das Ampellicht von Rot auf Grün wechselt, muss hierbei schnellstmöglich die nächste Ampelanlage erreicht werden.
An der nächsten Kreuzung missachten beide Angeklagten das rote Ampellicht, sodass es zur Kollision mit einem Fahrzeug, welches die Kreuzung von der anderen Seite überquert, kommt. Der Insasse des anderen Fahrzeugs verstirbt am Unfallort.
JurCase informiert:
Hier kommt es darauf an, ob der Täter den konkreten Geschehensablauf als möglich erkannt und die damit einhergehende Eigengefahr hingenommen hat. Weiter bietet der Fall auch die Möglichkeit, Problemstellungen zum § 315c und § 315d StGB zu erörtern. Im Fall des § 315d StGB gibt es eine aktuelle Vorlage beim Bundesverfassungsgericht, in der überprüft werden soll, ob die Strafbarkeit des „Alleinrennens“ verfassungsmäßig ist (vgl. AG Villingen-Schwenningen, Beschluss vom 16.01.2020 – 6 Ds 66 Js 980/19).
Nr. 3 – BGH 5 StR 371/20 – Urteil vom 15.04.2021
Es findet ein Geschäft mit Betäubungsmitteln statt, bei welchem durch eine Verwechslung eine zu geringe Menge Wechselgeld herausgegeben wird. Anschließend wird durch die Angeklagten gewaltsam versucht, das Geld zurück zu bekommen. In der Auseinandersetzung kommt es wechselseitig zu Gewalteinsatz unter anderem mittels zerschlagener Glasflasche und Steinen. Insbesondere diskutiert wird jedoch die Rechtswidrigkeit der Bereicherung. Fraglich ist, ob die Angeklagten einen Anspruch auf das Wechselgeld aus dem Geschäft mit den Betäubungsmitteln haben.
JurCase informiert:
Die Erpressung i.S.d. § 253 StGB verlangt als Delikt mit überschießender Innentendenz neben der vorsätzlichen Erfüllung des objektiven Tatbestands auch eine Bereicherungsabsicht, insbesondere muss die Bereicherung auch rechtswidrig sein, es darf kein Anspruch auf das Erlangte bestehen. Zudem wird hier eine Irrtumskonstellation über Vorliegen eines rechtmäßigen Anspruchs erörtert.
Nr. 4 – BGH 3 StR 365/20 – Urteil vom 25.02.2021
Die Angeklagten beschließen, Anlagen sowie Fahrzeuge der Ordnungsbehörden zu zerstören, indem sie diese anzünden. Sie zerstören oder beschädigen dazu mehrere mobile Geschwindigkeitsmesser und zünden unter anderem einen Polizeiwagen an. Diskutiert wird im Detail, ob ein mobiler Geschwindigkeitsmesser eine „Anlage“ i.S.d. § 316b Abs. 1 Nr. 3 StGB ist, was bejaht wird.
JurCase informiert:
Manche Prüfer verlangen die Prüfung von Normen, die du wahrscheinlich noch nicht im Studium behandelt hast. Es wird hier kein vertieftes Vorwissen erwartet, sondern ganz explizit die juristische Behandlung einer unbekannten Norm. Wichtig sind hier also vor allem die Auslegungsmethoden (Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der Norm). Außerdem wirft der Fall Fragen zu den Brandstiftungsdelikten (§§ 306 ff. StGB) auf.
Nr. 5 – BGH 3 StR 564/19 – Urteil vom 28.01.2021
Der Angeklagte war als Oberleutnant der afghanischen Armee auf einem Stützpunkt tätig und hat im Zuge dieser Tätigkeit in einem Zeitraum von 2013 bis 2014 in Afghanistan mehrere Straftaten begangen.
Einzelne Tätigkeiten, die Folter, Androhungen von Folter, erheblichen Gewalteinsatz und unwürdigen Umgang mit Leichen beinhalten, reichten dabei den Anforderungen an ein Kriegsverbrechen aus. Insbesondere relevant ist hier die deutsche Gerichtsbarkeit, die sich hier aus einer völkerrechtlichen Verpflichtung ergibt.
JurCase informiert:
Eine Zusatzfrage im Strafrecht kann sich mit der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts beschäftigten. Dies richtet sich grundsätzlich nach den §§ 3 bis 9 StGB. Wichtig ist auch, dass die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts, wenn es Anlass zur Prüfung gibt, gut vertretbar an verschiedenen Stellen geprüft werden kann. Für eine Meinung ist die Anwendbarkeit Tatbestandsvoraussetzung, eine andere prüft die Anwendbarkeit als Verfahrensvoraussetzung erst nach der Schuld und eine letzte Meinung prüft die Anwendbarkeit im Rahmen einer Vorprüfung.
Nr. 6 – BGH 5 StR 558/19 – Urteil vom 19.08.2021
Die Angeklagten gründen eine Gesellschaft und betreiben eine Apotheke. Über einen längeren Zeitraum werden, ohne Erfüllung der Voraussetzung der vertragsärztlichen Versorgung, bei einer kassenärztlichen Vereinigung Gelder abgerechnet. Zudem werden unrichtige Zahlensätze und Rechnungen bei einer Krankenkasse vorgelegt, welche daraufhin ebenfalls Geld an die Gesellschaft bezahlt.
Die Angeklagten machen sich hier letztlich des Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB strafbar, diskutiert wird außerdem ein besonders schwerer Fall gemäß § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB.
JurCase informiert:
Bei den in § 263 Abs. 3 S. 2 StGB beschriebenen besonders schweren Fällen handelt es sich um Regelbeispiele und keine Tatbestandsvoraussetzungen. Das Vorliegen eines Regelbeispiels bedeutet nicht gleich eine Strafbarkeit wegen besonderer Schwere, vielmehr bedarf es einer Einzelfallentscheidung und insbesondere Gesamtwürdigung der Tatumstände. Weiter ist anzumerken, dass der § 263 Abs. 3 StGB auch für die Untreue nach § 266 StGB gilt.
Nr. 7 – BGH 3 StR 377/18 – Urteil vom 30.06.2020
Der zum Tatzeitpunkt heranwachsende Angeklagte i.S.d. § 105 JGG greift den Geschädigten vor dessen Haustür mit einer Schusswaffe an, da er sich durch diesen in seiner familiären Ehre beeinträchtigt sieht. Er tötet den Geschädigten damit allerdings nicht, weil sich u. a. nach dem ersten Schuss durch einen Defekt in der Waffe keine Schüsse mehr lösen.
Diskutiert wird die Anwendung des erhöhten Strafhöchstmaßes gemäß § 105 Abs. 3 JGG bei einem versuchten Delikt, also keiner Vollendung. Der Versuch ist für den Angeklagten erkennbar gescheitert, zur Vertuschung der Tat, hilft er nach Verstecken der Tatwaffe dem Geschädigten.
JurCase informiert:
Hier findet sich Anlass, Versuch und Rücktritt zu prüfen. Die Voraussetzungen des Rücktritts gemäß § 24 StGB unterscheiden sich dabei in verschiedenen Konstellationen. In Fällen des sogenannten „Ehrenmordes“ sind mögliche Rechtfertigungsgründe beziehungsweise Erlaubnisirrtumskonstellationen zu bedenken, wenn die Tat beispielsweise in der Kultur des Täters gerechtfertigt gewesen wäre. Zu beachten ist hier vor allem die Vermeidbarkeit in § 17 StGB.
Nr. 8 – BGH 5 StR 393/18 – Urteil vom 03.07.2019
Eine an einem Reiz-Darm-Syndrom erkrankte Person scheitert mit mehreren Suizidversuchen über eine längere Zeit. Mit ihrem Hausarzt vereinbart sie eine Einnahme von Medikamenten, die den Tod der Erkrankten herbeiführen sollen.
Nach Beschaffung durch den Hausarzt, nimmt sie diese selbst ein, und wird daraufhin von ihrem Arzt betreut. Die Person verstirbt an den Folgen der Medikamenten-Einnahme. Ob sofortige notärztliche Maßnahmen hätten helfen können, ist ungewiss.
JurCase informiert:
Eine Selbsttötung ist Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Sie ist daher in der Regel straflos, womit auch die Teilnahme an einer solchen straflosen Selbsttötung grundsätzlich straflos ist. Es muss daher immer zwischen Fremd- und Selbsttötung abgegrenzt werden. Eine Ausnahme der strafbaren Suizidbeihilfe findet sich in § 217 StGB, der jedoch 2020 vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt wurde (Vgl. 2 BvR 2527/16 vom 26.02.2020).
Nr. 9 – AG Riesa 9 Cs 926 Js 3044/19 – Urteil vom 24.04.2019
Eine handelsübliche Drohne mit vier Rotorblättern wird über einen privaten Garten gesteuert. Die Drohne erschreckt dabei die dort spielenden Kinder und folgt weiter den Bewegungen des Eigentümers. Dieser holt sein Luftgewehr, droht einen Schuss an und schießt sodann auf die Drohne, welche durch den Einschlag und den folgenden Aufschlag auf den Boden zerstört wird.
Diskutiert werden hier mögliche Rechtfertigungsgründe für den Schuss mit dem Luftgewehr.
JurCase informiert:
Die Drohne wird hier nicht von ihrem Eigentümer gesteuert. Da eine Notwehrhandlung i.S.d. § 32 StGB nur gegen die Rechtsgüter des Eigentümers gerechtfertigt ist, scheidet die Notwehr hier aus. Letztendlich ist der Schuss auf die Drohne wegen § 228 BGB gerechtfertigt. In einer solchen Prüfung ist also an verschiedene Rechtfertigungsgründe, auch außerhalb des StGB, zu denken.
Nr. 10 – BGH 2 StR 563/18 – Urteil vom 11.09.2019
Mehrere Personen treffen sich zum Alkohol- und Betäubungsmittelkonsum. Konsumiert wird unter anderem ein „Joint“ mit synthetisch hergestelltem Cannabinoid, welches in seiner Wirksamkeit um ein Vielfaches potenter als natürliches Cannabinoid ist. Der Geschädigte raucht den Wirkstoff auf eigene Verantwortung und bricht danach zusammen. Einige Stunden später verstirbt er an einem zentralen Regulationsversagen, bedingt durch die Mischintoxikation. Die anderen Personen rufen aus Angst vor der strafrechtlichen Verfolgung des Betäubungsmittelbesitzes keinen Notarzt.
JurCase informiert:
Gefragt wird hier nach der Strafbarkeit des Unterlassens. Während zunächst aktives Tun von Unterlassen abgegrenzt werden muss, ist vor allem die nötige Garantenstellung i.S.d. § 13 Abs. 1 StGB fraglich. Diese kann sich aus Gesetz, Rechtsgeschäft, einer Gefahrengemeinschaft, einer engen Lebensbeziehung, aus Ingerenz oder aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle ergeben. Letzteres wird hier genauer diskutiert.