#HierZucktDeinPrüfungsamt im Strafrecht in Kooperation mit VRiLG Dr. Nils Godendorff
Moin zusammen,
heute empfehle ich Dir ein Urteil des Amtsgerichts Aschersleben vom 24.09.2024 – 2 Ds 69-24. Nun gut, eigentlich empfehle ich statt des kleinen Gerichts erst einmal den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 23.04.2024 – 5 StR 153/24 und davor dann sogar noch die Gesetzesmaterialien zum CanG. Und wie immer empfehle ich Dir zu allererst einen Blick in die PrüfungsgegenständeVO, ob BtMG, KCanG und MedCanG überhaupt Prüfungsgegenstände bei Dir sind. Aber vermutlich sind sie das und deshalb der Reihe nach:
Was ist geschehen?
Vor einiger Zeit, die Älteren erinnern sich noch, regierte in Deutschland die Fortschrittskoalition aus SPD, Grünen und FDP. Diese hatte in ihren Fortschritts-Koalitionsvertrag auf S. 68 geschrieben:
„Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet. Das Gesetz evaluieren wir nach vier Jahren auf gesellschaftliche Auswirkungen. Modelle zum Drugchecking und Maßnahmen der Schadensminderung ermöglichen und bauen wir aus. Bei der Alkohol- und Nikotinprävention setzen wir auf verstärkte Aufklärung mit besonderem Fokus auf Kinder, Jugendliche und schwangere Frauen. Wir verschärfen die Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Cannabis. Wir messen Regelungen immer wieder an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und richten daran Maßnahmen zum Gesundheitsschutz aus.“
In Umsetzung dessen wurde das CanG erlassen, das das KCAnG und das MedCanG einführte. In § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG wird als besonders schwerer Fall des Besitzes, der Herstellung, des Handeltreibens etc. gesetzt, dass sich die Tat auf eine nicht geringe Menge bezieht. Das waren im BtMG immer 7,5 g reines THC gewesen. Dazu muss man wissen, dass das gehandelte Cannabis in der Regel von 5 % Wirkstoffgehalt bis etwa 15 %, auch schon mal 20 % Wirkstoffgehalt hat. Und wenn dieser reine Wirkstoff 7,5 g überstieg, handelte es sich nach dem BtMG um eine nicht geringe Menge. Nach dem KCanG, so die Vorstellung des Gesetzgebers, sollte es auch irgendeine nicht geringe Menge geben, aber die sollte höher sein, als 7,5 g. Wie hoch, wusste man aber nicht so genau. Der Referentenentwurf führte insofern aus (BT-Drucksache 20/8704, S. 132):
„Sofern sich eine der genannten Tathandlungen auf eine nicht geringe Menge bezieht, liegt ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall vor, denn durch den illegalen Umgang mit nicht geringen Mengen wird insbesondere gefördert, dass Cannabis in einem nicht geringen Ausmaß illegal in den Verkehr kommt bzw. in ihm bleibt. Der konkrete Wert einer nicht geringen Menge wird abhängig vom jeweiligen THC-Gehalt des Cannabis von der Rechtsprechung aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln sein. Im Lichte der legalisierten Mengen wird man an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten können und wird der Grenzwert deutlich höher liegen müssen als in der Vergangenheit.“
Diese im Referentenentwurf angelegte Anregung zur Anhebung des Grenzwertes wird von einigen sehr laut und sehr deutlich als verfassungsrechtlich bindend angesehen. Das mag laut und oft vorgetragen werden, einen Anhalt in Art. 20 Abs. 3 GG hat es nicht. Diese Norm lautet:
„Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“
„Gesetz“ ist dabei
- jede geschriebene Rechtsnorm des Bundes- und Landesrechts,
- nach Art. 59 Abs. 2 GG transformiertes Völkervertragsrecht.
Vielfach wird der dabenstehende „Rechts“begriff als Verweis auf einen überpositiven Normbestand aufgefasst (BVerfGE 34, 269 (286 f.)), nach anderer Ansicht wird unter dem Begriff des Rechts die Gesamtheit der untergesetzlichen Rechtsnormen (Rechtsverordnungen, Satzungen) verstanden (Huber/Voßkuhle/Sommermann, 8. Aufl. 2024, GG Art. 20 Rn. 265) Wie auch immer man es damit dreht und wendet: Gesetzesmaterialien und Entstehungsgeschichte können der Auslegung dienen, mehr aber auch nicht; sie sind kein Teil des „Rechts“ iSd Art. 20 Abs. 3 GG (und erst recht kein Teil des „Gesetzes“ im Sinne der Norm).
Und dann?
Dann kamen Fälle zum BGH, in denen es um die Frage ging, was denn eine nicht geringe Menge an THC ist. Und der BGH beließ die Grenze und Menge bei 7,5 g THC. Der 5. Senat führte dazu aus (BGH, Beschluss vom 23.04.2024 – 5 StR 153/24):
„Der Senat sieht keinen Anlass, den bislang unter der Geltung des BtMG für Cannabisprodukte anerkannten Grenzwert abweichend zu bestimmen […].
[…D]ie nicht geringe Menge des jeweiligen Wirkstoffs wird stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und Wirkungsintensität festgelegt. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs. Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten. Das Vielfache ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potentials zu bemessen. Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. August 2023 – 3 StR 462/22, NJW 2023, 3248 f. mwN).
Für Cannabisprodukte hat der Bundesgerichtshof den Grenzwert der nicht geringen Menge nach dem BtMG ab einer Wirkstoffmenge von 7,5 Gramm THC angenommen. Maßgebend hierfür waren folgende Erwägungen: Zu einer äußerst gefährlichen, gar tödlichen Dosis des Wirkstoffs durch die bisher bekannten Konsumformen von Cannabisprodukten waren keine Angaben möglich. Deswegen hat sich der Bundesgerichtshof an der durchschnittlichen Konsumeinheit für einen Rauschzustand orientiert und diese gestützt vor allem auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse auf 15 Milligramm THC festgelegt.“
Mit anderen Worten: Solange nicht ersichtlich ist, dass die Menschheit in der Gewöhnung an Cannabis einen evolutionären Schritt gegangen ist, bleibt es bei dem alten Wert.
Welche Probleme verursacht das?
Für Wohnungsbesitz-Fälle mit einer Qualität von 12,5 %, die nicht ganz ungewöhnlich ist, gibt es damit keinen Regelfall mehr. Denn die Strafbarkeit beginnt überhaupt erst bei 60,01 g Gemenge (siehe § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchstb. b KCanG). Dieses Gemenge hat dann über 7,5 g Wirkstoff THC und ist damit sofort mit Beginn der Strafbarkeit gleichzeitig auch ein besonders schwerer Fall.
Und das Amtsgericht Aschersleben?
Das sagt: „Dem BGH kann nicht gefolgt werden“. Und zur Begründung führt es aus:
Zwar entfaltet die Gesetzesbegründung für die Gerichte keine Bindung im Sinne einer strengen Gesetzesbindung. Sie zu beachten folgt jedoch aus der Bindung der Gerichte an Gesetz und Recht, insbesondere der Gewaltenteilung, sowie des Demokratieprinzips.
„Die in Art 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommende Gewaltenteilung verpflichtet die Gerichte ebenfalls, den gesetzgeberischen Willen bei der Auslegung von Gesetzen zu berücksichtigen. Andernfalls würde das Gericht, wie dargestellt, in die Tätigkeit der Gesetzgebung übergreifen.“
Key Takeaways!?
- Die Gesamt-Menge des aufgefundenen Gemenges (30 g / 60 g) und die THC-Menge unterscheiden sich!
- Für die Klausur würde ich weiterhin mit dem Wert von 7,5 g gehen.
- Ab sofort wird auch in der mündlichen Prüfung im Strafrecht Staatsorganisationsrecht abgefragt.
Und nicht vergessen: Schreibt Klausuren!
Mit den besten Grüßen aus Hamburg
Nils Godendorff