BGH, Urt. v. 23.06.2023 – V ZR 28/22, BeckRS 2023, 21034
Schwerpunkt: §§ 284, 296 ZPO
In Kooperation mit Alpmann Schmidt präsentieren wir die Rechtsprechung des Monats. Hierbei handelt es sich um eine examensrelevante Rechtsprechung, die dir von einem Praktiker vorgestellt wird.
Leitsätze
- Grundsätzlich kann nur ein vor Fristablauf eingegangener, mit einer Unterschrift versehener Schriftsatz die Frist zur Begründung einer (hier: wohnungseigentumsrechtlichen) Beschlussanfechtungsklage wahren.
- Die Wahrung der Begründungsfrist einer Beschlussanfechtungsklage unterliegt nicht der Parteidisposition, sondern ist von Amts wegen zu prüfen. Ob die Frist gewahrt ist, kann das Gericht dann im Freibeweisverfahren klären.
Fall
In einer Wohnungseigentümergemeinschaft wird am 14.06.2023 trotz tatsächlich nicht erreichter Mehrheit der Stimmen (§ 25 Abs. 1 WEG) vom Versammlungsleiter versehentlich das Zustandekommens eines Mehrheitsbeschlusses verkündet, gegen den die nicht anwaltlich vertretene Klägerin sodann am 14.07. 2023 Beschlussanfechtungsklage einreicht, die sie mit 16-seitigem Schriftsatz vom 14.08.2023 begründet.
Dieser auf der letzten Seite unterschriebene Schriftsatz geht im Original erst am 15.08.2023 – und damit nach Fristablauf (vgl. § 45 S. 1 WEG) – bei Gericht ein. In der Gerichtsakte befindet sich ansonsten nur die erste Seite des Schriftsatzes als Faxeingang vom 14.08.2023; ob der vollständige Schriftsatz an das gerichtliche Faxgerät übermittelt worden ist und die letzte Seite eine Unterschrift erkennen ließ, ist unklar.
Verfassen Sie die Entscheidungsgründe eines amtsgerichtlichen Urteils und unterstellen Sie, dass auch nach Einholung einer dienstlichen Stellungnahme der Servicekraft nicht auszuschließen ist, dass diese nur die erste Seite des möglicher-weise vollständigen Faxes abgeheftet und den Rest vernichtet hat.
Vorüberlegungen
Geht es allgemein um die Frage nach der Einhaltung materiell-rechtlicher Ausschlussfristen durch gerichtliche Rechtsverfolgung, wird klar, dass die hiesige hier besprochene Problematik auch bei den – ebenfalls materiell-rechtliche Ausschlussfristen darstellenden – Anfechtungsfristen in § 7 Abs. 1 und 2 AnfG (AS-Skript Vollstreckungsrecht in der Assessorklausur [2020], Rn. 166 a.E., 183 ff.) als „Klausurbaustein“ auftauchen kann. Praxisproblem ist u.U. jeweils auch die Anwendung des prozessualen Instruments der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 233 ff. ZPO) auf solche Ausschlussfristen. Wo es nicht ausnahmsweise gesetzlich geregelt ist (wie hier in § 45 S. 2 WEG), ist dogmatisch für eine unmittelbare oder auch nur analoge Anwendung dann ersichtlich kein Raum (vgl. etwa Huber, AnfG, 12. Aufl. 2021, § 7 Rn. 5)!
Wohnungseigentum schreckt ab, ist für den prozessual lehrreichen Fall aber nur der austauschbare „Aufhänger“ – und bei ca. 1/5 des deutschen Immobilienbestandes (mit wachsender Tendenz) im Übrigen ohnehin juristischer Zukunftsmarkt.
Es geht in der Sache eher um verbandsrechtliche Grundlagenfragen, nämlich darum, ob und wie man Fehler bei einer gemeinschaftlichen Willensbildung im Beschlusswege gerichtlich geltend machen kann/muss. Vorbild ist die aktienrechtliche Beschlussmängelklage (§§ 243 ff. AktG): Ein Beschluss kann schon so fehlerhaft sein, dass er sogar nichtig ist (§§ 241, 250, 253, 256 AktG); dann kann mit der Nichtigkeitsklage fristungebunden die Nichtigkeit – dies sogar mit Wirkung für und gegen jedermann – festgestellt werden (§ 249 AktG). Alle übrigen formell oder materiell fehlerhaften Beschlüsse sind (nur) anfechtbar (vgl. § 243 Abs. 1 AktG) und müssen durch Anfechtungsklage (§ 246 AktG) als besondere Gestaltungsklage mittels eines rechtskräftigen Urteils beseitigt werden, sind also (vorläufig) wirksam (s. dazu auch § 23 Abs. 4 WEG).
Die Anfechtungsklage ist nach § 246 Abs. 1 und 2 AktG fristgebunden, wobei die Monatsfrist keine prozessuale Frist (=Sachentscheidungsvoraussetzung) ist, sondern vielmehr eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, mit deren Ablauf der Beschlussmangel nicht mehr gerügt werden kann. Während im Aktienrecht binnen Monatsfrist Klage erhoben und zugleich begründet werden muss, sieht § 45 S. 1 WEG eine einmonatige Klagefrist und zweimonatige Begründungsfrist vor. Sinn solcher Regelungen ist es jedenfalls, Rechtssicherheit zu schaffen und nur anfechtbare Beschlüsse mit Fristablauf in Bestandskraft erwachsen zu lassen. Vergleichbare Regelungen finden sich in § 51 GenG.
Beim BGB-Verein als „Urmutter“ des Verbandsrechts sollen nach bisher h.M. die §§ 243 ff. AktG keine analoge Anwendung finden. Beschlussmängel führen daher hier grundsätzlich stets zur Nichtigkeit, die dann sogar fristungebunden durch Feststellungsklage (§ 256 ZPO) gerichtlich geklärt werden kann, wenn die Berufung auf die Mängel nicht ausnahmsweise verwirkt ist, vgl. für die Grundlagen etwa Grüneberg/Ellenberger, BGB, 82. Aufl. 2023, § 32 Rn. 9–11.
Für die GmbH zog man bisher die §§ 243 ff. AktG analog heran. Diese Systematik gerät zum 01.01.2024 aber ins Wanken, da das dann endgültig in Kraft tretende PersonengesellschaftsrechtsmodernisierungsG (MoPeG) v. 10.08. 2021 (BGBl. I 2021, 3433) erstmals ein vergleichbares Beschlussmängelrecht auch bei den Personengesellschaften in den §§ 110 ff. HGB n.F. regeln wird (mit großzügigeren Fristen). Die im vorliegenden Fall diskutierte Thematik wird daher auch dort (also mitten im Pflichtfachstoff!) virulent – ein „schönes“ Thema für mündliche Prüfungen ab Anfang 2024! Zum MoPeG im Überblick Mohamed JuS 2021, 820; Bachmann NJW 2021, 3073; s. auch Hopt, HGB, 42. Aufl. 2023, § 119 Rn. 31 f.; s. auch RÜ 2023, 701!
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss vom 14.06.2023 ist nach §§ 23 Abs. 4 S. 2, 44 Abs. 1 für ungültig zu erklären, denn die erforderliche Mehrheit der Stimmen (§ 25 Abs. 1 WEG) ist nicht erreicht. Die Klägerin kann sich auf diesen formellen Mangel noch berufen, denn es ist prozessual davon auszugehen, dass die Fristen aus § 45 S. 1 WEG gewahrt sind.
Anwälte können heute wegen der aktiven Nutzungspflicht in § 130 d S. 1 ZPO nur noch unter den – sehr strengen (dazu etwa OLG Hamm RÜ2 2023, 25) – Voraussetzungen des § 130 d S. 2 u. 3 ZPO überhaupt (unterschriebene) Schriftsätze in Papier einreichen und/oder ein Telefax im Verkehr mit dem Gericht benutzen. Das gilt übrigens auch in Verfahren ohne Anwaltszwang i.S.d. § 78 ZPO, s. dazu OLG Frankfurt a.M. RÜ2 2023, 169! Echte „Unterschriftsfragen“ stellen sich bei elektronischer Übermittlung dann typischerweise so eher nicht. Aber es gibt andere Probleme: Bei Nutzung einer qualifiziert elektronischen Signatur (§ 130 a Abs. 3 S. 1 Fall 1 ZPO) trägt diese alle Identitätsangaben in sich, weswegen hier derjenige, der das elektronische Dokument an das Gericht übermittelt, nicht identisch mit dem Aussteller sein muss. Bei Nutzung (nur) eines sicheren Übertragungswegs (§ 130 a Abs. 3 S. 1 Fall 2 ZPO) – typischerweise des beA – ist hingegen eine sog. einfache Signatur unter dem Dokument erforderlich (Art. 3 Nr. 10 eIDAS-VO), es muss also dem Dokument selbst der Name des Ausstellers zu entnehmen sein. Zudem muss hier dann auch der Übermittelnde mit dem Aussteller identisch sein (BT-Drs. 17/12634, 25). Die einfache Signatur als „Rechtsanwalt“ unter einem nur eingescannten und selbst unleserlichen Namenszug reicht als einfache Signatur dabei gerade nicht (BGH RÜ2 2023, 49)!
1.
Zwar konnte nur ein noch vor Fristablauf am 15.08.2023 eingegangener, mit einer Unterschrift versehener Schriftsatz die Frist zur Begründung der Anfechtungsklage wahren.
„[6] Nach st.Rspr. … müssen bestimmende Schriftsätze grundsätzlich … eigenhändig unterschrieben sein. Die Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers … ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die Verantwortung für den Inhalt … zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Zugleich soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt.
[7] Das Unterschriftserfordernis gilt auch für die Begründungsschrift … einer … Anfechtungsklage. Die Begründungsfrist ist zwar keine Zulässigkeitsvoraussetzung, sondern eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, deren Versäumung … zur Abweisung der Klage als unbegründet führt. Gewahrt wird sie aber gemäß … (§ 45 S. 1 WEG) durch Vornahme einer Prozesshandlung, nämlich durch die … Klagebegründung. Diese hat prozessrechtlich den Charakter eines bestimmenden Schriftsatzes.“
2.
Es ist jedoch davon auszugehen, dass durch den Schriftsatz am 15.08.2023 die Begründung tatsächlich vollständig und unterschrieben per Fax bei Gericht eingegangen ist. Die Nutzung dieses Kommunikationsweges war der Klägerin mit Blick auf den Benutzungszwang in § 130 d ZPO, der nicht für nicht anwaltlich vertretene Parteien gilt, tatsächlich auch eröffnet.
a)
„[9] … [Für] die Einhaltung der Begründungsfrist [kommt es] nicht darauf [an], ob bis zum Fristablauf eine ausgedruckte Version des per Telefax übermittelten Schriftsatzes vorliegt. Wird ein Schriftsatz per Telefax übersandt, kommt es … -allein darauf an, ob er bei Ablauf des letzten Tages der Frist … von dem Telefaxgerät des Gerichts vollständig empfangen Es müssen die gesamten Signale aufgenommen und nach Verarbeitung als abrufbare digitale Datei auf den internen Datenspeicher des Geräts geschrieben worden sein; der Ausdruck …ist nicht maßgeblich.“
b)
Das Gericht hatte diese Frage hier von Amts wegen zu prüfen, weswegen ohne Belang war, dass der fristgerechte Eingang beklagtenseits nicht bestritten worden ist.
aa)
„[10] … Die Wahrung der Begründungsfrist … ist … unabhängig von dem Prozessverhalten der Parteien … zu prüfen.
[11] Die Parteien können auf die Beweisnotwendigkeit entscheidungsrelevanter Tatsachen nur insoweit Einfluss nehmen, als diese dem Verhandlungsgrundsatz und damit der Parteidisposition unterliegen.
Ist der Verhandlungsgrundsatz zugunsten einer Prüfung von Amts wegen ausgeschlossen, sind die insofern zu prüfenden Tatsachen der Disposition der Parteien entzogen. Denn mit einer Prüfung von Amts wegen ist die Ausschließung der Wahrheitsprüfung kraft Parteiwillens nicht vereinbar. Insbesondere enthebt weder ein Nichtbestreiten (§ 138 Abs. 3 ZPO) noch ein ausdrückliches Geständnis der Parteien (§ 288 Abs. 1 ZPO) das Gericht einer Prüfung von Amts wegen. Ein ,Bestreiten‘ stellt insoweit nur eine Anregung zur Prüfung von Amts wegen dar.“
bb)
Eine Prüfung von Amts wegen betrifft zwar in erster Linie Prozess- und Zulässigkeitsvoraussetzungen (vgl. §§ 56 Abs. 1, 522 Abs. 1 S. 1, 552 Abs. 1 S. 1 ZPO). Doch auch für materiell-rechtliche Ausschlussfristen, die – wie hier – durch Prozesshandlung gewahrt werden, gilt nichts anderes.
„[15] Die Prüfung von Amts wegen entspricht … der Funktion der Begründungsfrist. Sie sichert den zeitnahen Eintritt der Bestandskraft anfechtbarer Beschlüsse und gewährleistet Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für die ordnungsmäßige Verwaltung … Ihr Zweck besteht darin, dass … zumindest im Hinblick auf Anfechtungsgründe alsbald Klarheit darüber hergestellt wird, ob, in welchem Umfang und aufgrund welcher tatsächlichen Grundlage gefasste Beschlüsse einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden.
Speziell zu § 45 WEG hat der Gesetzgeber ausgeführt, dass die rigiden Wirkungen der Ausschlussfrist bei Anfechtungsklagen in begründeten Ausnahmefällen eben durch die hier angeordnete entsprechende Anwendung der prozessualen Regelungen über die Wiedereinsetzung (§§ 233 ff. ZPO) „abgefedert“ werden sollen (BT-Drs. 16/887 S. 38).
Wegen der Einordnung als materiell-rechtliche Ausschlussfristen können Anfechtungs- und Anfechtungsbegründungsfristen ansonsten aber etwa auch nicht durch die Gerichte – wie prozessuale Fristen – nach §§ 224, 225 ZPO verlängert werden (BGH NJW 2009, 3655 Rn. 8 und 16).
Mit diesem Zweck wäre es nicht nur unvereinbar, wenn die Begründungsfrist durch Vereinbarung oder durch Beschluss der Wohnungseigentümer verlängert werden könnte, sondern auch, wenn die Parteien durch ihr Prozessverhalten die Frist faktisch verlängern könnten.“
cc)
Die Prüfung war trotz Betroffenheit einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist im Freibeweisverfahren vorzunehmen.
„[23] Nach § 284 S. 2 ZPO kann das Gericht mit Einverständnis der Parteien die Beweise in der ihm geeignet erscheinenden Art aufnehmen; dies ermöglicht die Beweiserhebung im Wege des Freibeweisverfahrens. Darüber hinaus ist … das Freibeweisverfahren auch ohne Einverständnis der Parteien zulässig, wenn es um die Feststellung der von Amts wegen zu prüfenden Prozessvoraussetzungen und die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Rechtsmitteln geht.
Im Rahmen des Freibeweises kann das Gericht grundsätzlich jedes ihm geeignet erscheinende Beweismittel heranziehen. Es ist weder von einem Beweisantritt der Parteien abhängig noch auf die gesetzlichen Beweismittel beschränkt. Ist das Gericht zu einer Prüfung von Amts wegen verpflichtet, kann es … nicht von den Beweisanträgen der Parteien abhängig sein. Eine Beschränkung auf bestimmte Beweismittel … wäre auch nicht prozesswirtschaftlich.“
Außerhalb dieses Bereichs gilt in der ZPO ansonsten nicht nur der Beibringungsgrundsatz, der die darlegungs- und beweisbelastete Partei zu einem geeigneten Beweisantritt zwingt, sondern auch das Strengbeweisverfahren, wonach nur die in der ZPO zugelassenen fünf Beweismittel („SAPUZ“, dazu AS-Skript, Die zivilgerichtliche Assessorklausur [2023], Rn. 892 f.) überhaupt zugelassen sind:
- Augenschein (§§ 371–372 a ZPO)
- Zeugen (§§ 373–401)
- Sachverständige (§§ 402–414 ZPO)
- Urkunden (§§ 415–444)
- Parteivernehmung (§§ 445–477)
Die Klage- und Klagebegründungsfrist als materiell-rechtliche Ausschlussfristen sind aus Perspektive des Gerichts und der Parteien mit einer prozessualen Rechtsmittelbegründungsfrist vergleichbar, denn in beiden Fällen hängt die Fristeinhaltung von einer Prozesshandlung ab. Der Pflicht zur Prüfung von Amts wegen widerspräche es daher auch bei einer materiellen Ausschlussfrist, wenn das Gericht von Beweisangeboten der Parteien abhängig wäre.
„[26] Prozesswirtschaftliche Gesichtspunkte untermauern [dies]. Das Gericht kann aufgrund seiner innerdienstlichen Erkenntnisse eher ermitteln und einschätzen als die Parteien, auf welche Weise und mittels welcher Quellen Feststellungen für die Klärung insbesondere des Eingangs von Schriftsätzen … getroffen werden können. Es würde zu einer … Verzögerung des Verfahrens führen, wenn die Parteien im Rahmen eines Strengbeweisverfahrens zunächst Auskunft über die gerichtsinternen Vorgänge verlangen, in der Folge Beweisangebote hierzu unterbreiten müssten.“
Eine Zwischenposition nimmt die Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) ein. Greift diese oft in ohnehin dem Freibeweis unterliegenden prozessualen Fragen (etwa bei der Wiedereinsetzung in § 236 Abs. 2 S. 1 ZPO, aber auch bei der Zulassung neuen Vortrages in Berufungsverfahren nach § 531 Abs. 2 S. 2 ZPO), spielt sie gerade im einstweiligen Rechtsschutz auch im materiellen Recht eine Rolle (§§ 936, 920 Abs. 2 ZPO). § 294 Abs. 1 ZPO lässt dann grundsätzlich alle Beweismittel (also auch über die o.g. hinaus) zu und hebt als besonderes Mittel zur Glaubhaftmachung noch die Versicherung an Eides Statt (§ 156 StGB) hervor. Zudem gilt hier nicht das strenge Beweismaß des § 286 Abs. 1 ZPO, sondern es genügt – sind auch Details streitig – eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ (AS-Skript, Die zivilgerichtliche Assessorklausur (2023), Rn. 1030 f., 1086 ff.)
Zum Freibeweis bei den Sachentscheidungsvoraussetzungen auch AS-Skript, Die zivilgerichtliche Assessorklausur (2023), Rn. 307 f.
dd)
Schlussendlich war von einem Eingang am 15.08.2023 auszugehen. Im Freibeweisverfahren waren dabei nur die Anforderungen an die Förmlichkeiten der Beweisaufnahme reduziert, nicht die Anforderungen des § 286 ZPO an die Überzeugungsbildung (AS-Skript Die zivilgerichtliche Assessorklausur (2023), Rn. 892), sodass im Grundsatz voller Beweis zu erbringen war.
Maßgeblich war nach den Grundsätzen der „Anastasia“-Rechtsprechung (BGH NJW 1970, 946), dass ein Grad an Gewissheit erreicht ist, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie vollständig ausschließen zu können. Davon war hier auszugehen.
„[28] Soweit sich nicht klären lässt, ob der Begründungsschriftsatz rechtzeitig eingegangen ist, trägt [zwar] das Risiko der Nichterweislichkeit nach den allgemeinen Regeln im Grundsatz der Anfechtungskläger als derjenige, der aus der Einhaltung der Klagebegründungsfrist Rechte für sich herleitet. Insoweit gilt nichts anderes als für die Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittels.
Da das Gericht zur Prüfung von Amts wegen verpflichtet ist, handelt es sich aber lediglich um eine ,objektive‘ Beweislast i.S.e. Feststellungslast; hingegen trifft den Anfechtungskläger nicht auch die ,subjektive‘ Beweisführungslast.“
Vorliegend ist jedoch zu beachten, dass sich auch unter Ausschöpfung aller innerdienstlichen Erkenntnisquellen gerade nicht ausschließen ließ, dass die Serviceeinheit von einem etwaigen fristgerecht, vollständig und unterschrieben eingegangenen Telefaxschreiben nur die erste Seite in die Gerichts-akte abgeheftet und den Rest vernichtet hat. Ist aber – wie hier –
„[29] … eine Klärung, ob die Frist eingehalten ist, aus Gründen nicht möglich … , die ausschließlich in der Verantwortung des Gerichts liegen, kann dies nicht zulasten des Klägers gehen. Denn es widerspräche auch unter Berücksichtigung der Belange der Anfechtungsgegner dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes, wenn der Partei die Beweislast für Vorgänge aufgebürdet würde, die sie nicht aufklären kann, weil sie sich ausschließlich im gerichtsinternen Bereich abgespielt haben und ihr daher unbekannt sind, und deren Unaufklärbarkeit allein in den Verantwortungsbereich des Gerichtes fällt. Dies ist im Rahmen prozessualer Fristen anerkannt und gilt ebenso für die Einhaltung der materiellen Ausschlussfrist … , da auch diese für den Rechtsschutz des Anfechtungsklägers essentiell ist.“
Diese Rechtsprechung wurde für dich von RiOLG Wolfgang Dötsch aufbereitet.
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