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Rechtsprechung des Monats September 2023: Das letzte Wort bei vorübergehend abwesenden Angeklagten

By 6. September 2023November 3rd, 2023No Comments
Rechtsprechung des Monats

BGH, Beschl. v. 18.04.2023 – 3 StR 10/23, BeckRS 2023, 10605

Schwerpunkt: §§ 258, 337 StPO

In Kooperation mit Alpmann Schmidt präsentieren wir nunmehr die Rechtsprechung des Monats. Hierbei handelt es sich um eine examensrelevante Rechtsprechung, die dir von einem Praktiker vorgestellt wird.

Leitsätze

  1. Die zeitweise Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten enthebt das Gericht nicht von der Pflicht, dem wieder anwesenden Angeklagten das letzte Wort zu erteilen. Kehrt der Angeklagte in die Hauptverhandlung zurück, nimmt er seine Stellung mit allen seinen Rechten wieder ein. Das Recht zur Ausübung des letzten Wortes hat er nicht dadurch verwirkt, dass er während eines Verfahrensabschnittes abwesend war, in dem Mitangeklagte Gelegenheit zum letzten Wort hatten.
  2. Dem Recht des Angeklagten auf das letzte Wort entspricht die Verpflichtung des Gerichts, nach § 258 Abs. 3 StPO dem Angeklagten von Amts wegen Gelegenheit zu geben, sich als Letzter persönlich zur Sache zu äußern. Das ist angesichts der Bedeutung dieses Rechts selbst dann erforderlich, wenn das Gericht das Beweisergebnis schon abschließend beraten hat und zur Verkündung des Urteils bereit ist.

Fall

A muss sich mit weiteren Angeklagten vor dem Landgericht verantworten. Nachdem A am 21. Tag der Hauptverhandlung nicht erschienen war, setzte die Kammer auf Grundlage eines entsprechend § 231 Abs. 2 StPO gefassten Beschlusses die Verhandlung ohne A fort. Am selben Tag erhielten sämtliche Verteidiger Gelegenheit für ihre Schlussvorträge sowie die weiteren Angeklagten für ihr letztes Wort. Am nächsten Hauptverhandlungstag war A von Beginn an anwesend. Der Vorsitzende verkündete einen Kammerbeschluss und nach Unterbrechung der Verhandlung das Urteil, ohne der A das letzte Wort erteilt zu haben. A wird zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Hat eine in zulässiger Form erhobene Revision der A Erfolg?

Gutachten

Eine Verfahrensrüge der A hat Erfolg, wenn sie die Verletzung einer Verfahrensnorm durch das Tatgericht geltend machen kann, § 337 Abs. 1, 2 StPO.

I.
Indem A nicht die Gelegenheit zur Wahrnehmung des letzten Wortes gegeben worden ist, könnte gegen § 258 Abs. 2 StPO verstoßen worden sein.

Der Zwischenrechtsbehelf nach § 238 Abs. 2 StPO stellt keine Voraussetzung für eine zulässige Verfahrensrüge dar. Die Unterlassung der Gewährung des letzten Wortes gilt nicht als eine Anordnung, die Gegenstand des Zwischenrechtsbehelfs sein müsste, weil das letzte Wort des Angeklagten diesem obligatorisch zusteht (BeckOK StPO/Eschelbach, 47.Ed., § 258 Rn. 29).

„[7] Danach ist sie gemäß § 258 Abs. 3 StPO auch dann zu befragen, ob sie selbst noch etwas zu ihrer Verteidigung anzuführen habe, wenn ein Verteidiger für sie gesprochen hat. Die zeitweise Verhandlung in ihrer Abwesenheit nach § 231 Abs. 2 StPO enthebt das Landgericht nicht von der Pflicht, der wieder anwesenden Angeklagten das letzte Wort zu erteilen. Kehrt sie in die Hauptverhandlung zurück, nimmt sie ihre Stellung mit allen ihren Rechten wieder ein. Das Recht zur Ausübung des letzten Wortes hat sie nicht dadurch verwirkt, dass sie während eines Verfahrensabschnittes abwesend war, in dem Mitangeklagte Gelegenheit zum letzten Wort hatten. Dem Recht der Angeklagten auf das letzte Wort entspricht die Verpflichtung des Gerichts, nach § 258 Abs. 3 StPO den Angeklagten von Amts wegen Gelegenheit zu geben, sich als Letzte persönlich abschließend zur Sache zu äußern. Das ist angesichts der Bedeutung dieses Rechts selbst dann erforderlich, wenn das Gericht das Beweisergebnis schon abschließend beraten hat und zur Verkündung des Urteils bereit ist.“

II.
Das Urteil müsste zudem auf dem Verfahrensfehler beruhen, § 337 Abs. 1 StPO.

Das Beruhen des Urteils auf Verstößen gegen § 258 StPO kann nur in besonderen Ausnahmefällen ausgeschlossen werden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Aufl. 2023, § 258 Rn. 34 m.w.N.; AS-Skript Strafurteil und Revisionsrecht in der Assessorklausur [2023], Rn. 185 f.). Bei einem voll geständigen Angeklagten wird zumindest der Schuldspruch aufrechterhalten bleiben können, die Möglichkeit des Beruhens des Strafausspruchs auf dem Rechtsfehler wird allerdings fast nie auszuschließen sein (vgl. MüKoStPO/Cierniak/ Niehaus, 1.Aufl., § 258 Rn. 28).

„[9] Soweit das Urteil die [A] betrifft, beruht es … auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler; denn es ist nicht auszuschließen, dass sie bei Erteilung des letzten Wortes noch Ausführungen gemacht und dies sich auf die Entscheidung des Landgerichts ausgewirkt hätte. Allein daraus, dass die … [A] zu dem auf den Schlussvortrag des Staatsanwalts folgenden Hauptverhandlungstag nicht erschien, ist nicht zu folgern, sie habe wie zuvor von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen und sich nicht äußern wollen. So ließ sich etwa der ebenfalls zuvor schweigende [weitere] Angeklagte erst im Rahmen seines letzten Wortes zur Sache ein.“

Ergebnis:
Das Urteil ist mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuweisen, § 353 StPO.

Diese Rechtsprechung wurde für dich von StAin Dr. Christina Lang aufbereitet.

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Beitragsautor:

Alpmann Schmidt

Alpmann Schmidt

Alpmann Schmidt ist ein juristischer Fachverlag, der zudem juristische Lehrgänge und Repetitorien anbietet. In Kooperation mit JurCase präsentiert Alpmann Schmidt bei uns monatlich eine Rechtsprechung des Monats. Mehr Informationen zu Alpmann Schmidt gibt es hier.

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