Problem: Gültigkeit einer AGB-Klausel zur Fernabschaltung
Einordnung: Schuldrecht, Sachenrecht
BGH, Urteil vom 26.10.2022 XII ZR 89/21
EINLEITUNG
Im vorliegenden Urteil entschied der XII. Zivilsenat des BGH über die Wirksamkeit einer AGB-Klausel, verpasste aber die Chance, einen die Zukunft der E-Mobilität, intelligenter Stromnetze und das „internet of things“ betreffenden Punkt zu klären: Ist es eine Besitzstörung, wenn ein Vermieter aus der Ferne nach Beendigung des Mietvertrages per Fernabschaltevorrichtung den Weiterbetrieb einer gemieteten Sache unterbindet? Liegt in dieser „digitalen Eigenmacht“ zugleich eine verbotene Eigenmacht gem. § 858 I BGB? Der Senat deutet zwar an, dass er dies in Zukunft so entscheiden könnte, lässt die Frage aber letztlich ausdrücklich unbeantwortet. Wie examensrelevant diese Problematik ist, zeigte sich in einer Examensklausur des Pflichtfachteils zum Ablegen des 1. juristischen Examens, die als Ringklausur in der Kampagne Februar 2018 geschrieben wurde, in der es um eine unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Kaffeemaschine ging, die bei Nichtzahlung des Kaufpreises abgeschaltet wurde.
SACHVERHALT
K ist ein nach § 4 UKlaG zugelassener Verbraucherschutzverein. B, eine französische Bank, vermietet Batterien für von ihren Kunden gekaufte oder geleaste Renault-Elektrofahrzeuge. Hierfür verwendet sie AGB mit der Bezeichnung: „Allgemeine Batterie-Mietbedingungen (unbefristeter Mietvertrag)“. Nr. XVI ihrer AGB lautet:
„Folgen der Beendigung der Leistungserbringung durch die Vermieterin
Im Falle der außerordentlichen Vertragsbeendigung infolge Kündigung wird die Vermieterin die Sperre der Wiederauflademöglichkeit der Batterie zunächst mit 14-tägiger Frist vorher ankündigen. Die Androhung kann auch zusammen mit der Kündigung erfolgen. Die Vermieterin ist in diesem Fall nach Ablauf der Ankündigungsfrist berechtigt, ihre Leistungspflicht einzustellen und die Wiederauflademöglichkeit der Batterie zu unterbinden. Die Geltendmachung des Herausgabeanspruchs bleibt hiervon unberührt.“
K verlangt von B die Unterlassung der Verwendung dieser AGB-Klausel bei der Vermietung von Batterien für Elektrofahrzeuge. Zu Recht?
Wir stellen den Fall so dar, wie ihn der BGH-Senat entschieden hat. In einer Klausur würde Ihnen die Konstellation aber nicht als Unterlassungsanspruch eines Verbraucherschutzvereins vorgelegt, sondern als Anspruch des betroffenen Verbrauchers gegen die Bank aus § 862 BGB, dem die Bank die Klausel entgegenhält. Die Zwischentöne, die hier aus dem Urteil herausschallen, sollte man deshalb vorsorglich wahrnehmen und sich merken.
LEITSATZ
Eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die dem Vermieter einer Autobatterie nach außerordentlicher Kündigung des Mietvertrags die Fernsperrung der Auflademöglichkeit erlaubt, ist wegen unangemessener Benachteiligung des Mieters als Verbraucher unwirksam, wenn dieser die Weiterbenutzung der Batterie und seines – gesondert erworbenen, geleasten oder gemieteten – E-Fahrzeugs im Streitfall nur durch gerichtliche Geltendmachung einer weiteren Gebrauchsüberlassung erreichen kann.
LÖSUNG
A. Internationale Zuständigkeit des deutschen Gerichts
Die internationale Zuständigkeit des deutschen Gerichts ergibt sich aus Art. 18 I Brüssel Ia-VO.
B. Anwendbarkeit des deutschen Rechts
Die Anwendbarkeit des deutschen Rechts ergibt sich aus Art. 6 Rom I-VO.
C. Anspruch auf Unterlassung gem. § 1 UKlaG
K könnte gegen B einen Anspruch auf Unterlassung der Verwendung der AGB Nr. XVI aus § 1 UklaG haben. K ist gem. § 4 UklaG zugelassen. Fraglich ist deshalb allen, ob B eine AG im geschäftlichen Verkehr verwendet, die nach den §§ 307 bis 309 BGB unwirksam sind. In Betracht kommt eine Unwirksamkeit nach § 307 I BGB. Dann muss die Klausel den Gegner des Verwenders wider Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.
[16] (…) Gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Dabei ist nicht nur auf das gesetzliche Leitbild des konkreten Vertrags abzustellen, sondern es sind auch andere gesetzliche Regelungen und Rechtspositionen der Vertragsparteien zu berücksichtigen (…).
Kriterien einer unangemessenen Benachteiligung bei Abweichung von wesentlichen Grundgedanken einer Rechtsnorm durch eine AGB.
[17] Die Annahme des Berufungsgerichts, die Sperrung der Auflademöglichkeit stelle eine verbotene Eigenmacht gemäß § 858 BGB dar und löse Ansprüche der Mieter aus Besitzschutz nach §§ 861, 862 BGB aus, woraus eine Unwirksamkeit nach § 307 BGB folge, bedarf keiner abschließenden Beurteilung.
Der XII. Senat des BGH scheut sich hier, eine endgültige Bewertung vorzunehmen, ob der possessorische Besitzschutz greift.
[18] Allerdings ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen,
dass der Fernzugriff auf die vermietete Batterie eine Besitzbeeinträchtigung darstellt. Das gilt jedenfalls dann, wenn durch den digitalen Fernzugriff – etwa über den „Bordcomputer“ des Fahrzeugs – auf die Steuerung der Batterie zugegriffen wird, wie es in der vorliegenden Fallgestaltung zwischen den Parteien im Ergebnis unstreitig ist. Da durch den Eingriff die Steuerung der vermieteten Batterie beeinflusst wird, handelt es sich um eine Einwirkung auf die Sachsubstanz. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn lediglich eine Einstellung in der Rechnereinheit des Fahrzeugs geändert würde und dies zur Folge hätte, dass die Wiederaufladung der Batterie blockiert wird.
Die Besitzbeeinträchtigung wird nicht verkannt.
[19] Der digitale Eingriff in die Steuerung der Mietsache unterscheidet sich insoweit nicht von einem körperlichen Eingriff in eine elektronische oder mechanische Steuerung der Sache. Durch die digitale Sperrung der Auflademöglichkeit wird dementsprechend das gleiche Ergebnis erzielt wie durch deren elektronische oder mechanische Blockade. Da beim Fernzugriff auf die Batterie deren Steuerung beeinflusst wird, handelt es sich auch nicht lediglich um die Vorenthaltung von für den Betrieb der Batterie notwendigen Leistungen, wie sie etwa in der bloßen Unterbrechung der Stromzufuhr läge. Vielmehr liegt eine Beeinträchtigung der mit dem Besitz verbundenen Einwirkungs- und Ausschlussmacht des Besitzers vor (…). Der Entfaltung und Ausübung physischer Kraft auf die Mietsache bedarf es hierfür nicht (…). Ob Gleiches gilt, wenn die Sperrung ohne (nachträglichen) Zugriff auf die Steuerung des Geräts erfolgt (…), bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.
Es liegen alle Voraussetzungen einer Besitzstörung vor.
[20] Entgegen der Ansicht der Revision (…) unterscheidet sich die vorliegende Fallkonstellation damit vom Fall einer Einstellung von Versorgungsleistungen, der dem Senatsurteil vom 6. Mai 2009 (BGHZ 180, 300) zugrunde lag, in wesentlicher Hinsicht. Denn anders als in jenem Fall liegt keine bloße Leistungseinstellung vor, die für sich genommen eine Besitzstörung nicht zu begründen vermag. Hier wird die Sachnutzung stattdessen durch den Zugriff auf die Batterie entgegen der Ausschlussmacht des Besitzers und daher durch eine Besitzbeeinträchtigung gehindert (…).
Entscheidender Unterschied zum Falle des Einstellens der Versorgungsleistungen für ein Grundstück.
[21] Das Berufungsgericht hat es ferner zu Recht für unerheblich gehalten, ob der Zugriff auf die Batterie manuell oder automatisiert erfolgt. Denn auch ein automatisierter Eingriff wäre auf die von der Beklagten konzipierte Technik und damit letztlich auf von ihr vorgenommene Maßnahmen zurückzuführen. Dann besteht aber für die rechtliche BewertungkeinausschlaggebenderUnterschiedzummanuellenEingriff in die Steuerung der Batterie (…).
Eine unangemessene Benachteiligung wider Treu und Glauben kann aber darin liegen, dass sie eine einseitige Vertragsgestaltung darstellt, mit der B missbräuchlich die eigenen Interessen auf Kosten der Mieter durchzusetzen versucht, ohne deren Interessen angemessen zu berücksichtigen.
Der XII. Zivilsenat sieht die Besitzstörung, hält sie aber allein nicht für ausreichend, um eine AGB, die dies erlaubt, für unzulässig zu erklären.
Entscheidend ist für den Senat vielmehr die Einseitigkeit der Vertragsgestaltung. Gerügt wird, dass ein Mieter im Streitfall nur durch gerichtliche Geltendmachung eine Gebrauchsüberlassung der Batterie erzwingen kann.
[26] Durch die allein in der Macht des Vermieters liegende Sperrmöglichkeit wird die Last, sich die weitere Nutzung zu sichern, auf den Mieter abgewälzt. Darin liegt jedenfalls dann eine unangemessene Benachteiligung des Mieters als Verbraucher, wenn dieser die Weiterbenutzung seines – gesondert erworbenen, geleasten oder gemieteten – E-Fahrzeugs im Streitfall nur durch gerichtliche Geltendmachung einer weiteren Gebrauchsüberlassung der Batterie erreichen kann.
[27] Zwar liegt es grundsätzlich im berechtigten Interesse des Vermieters, dass er nach wirksamer Beendigung des Mietvertrags die weitere Nutzung des Mietobjekts unterbinden kann. Denn im Fall der wirksamen Vertragsbeendigung wäre der Mieter nicht mehr zum Besitz der Mietsache berechtigt. Eine von ihm dennoch fortgesetzte Nutzung wäre im Verhältnis der Vertragsparteien rechtswidrig (vgl. zu digitalen Inhalten § 327p BGB) und würde den Vermieter insbesondere bei ausbleibenden Mietzahlungen durch Abnutzung des Mietobjekts auch schädigen. Dabei ist es auch nicht schlechthin unzulässig, dass sich eine Vertragspartei die Erfüllung von Ansprüchen im Rahmen der (Rück-)Abwicklung des Vertrags durch tatsächlich (technisch) oder rechtlich ihr günstige Gestaltung sichert. Dass auch die Geltendmachung von Rechten zur Erzwingung der Gegenleistung oder eines Gegenanspruchs für sich genommen nichts Verwerfliches hat, belegen etwa die gesetzlich vorgesehene Einrede des nichterfüllten Vertrags nach § 320 BGB und das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB. Auch die Aufrechnung mit Gegenforderungen nach §§ 387 ff. BGB ist dementsprechend als eine der Vollstreckung nahe zulässige Forderungsdurchsetzung im Wege der Selbsthilfe bezeichnet worden (…).
Das Gericht verkennt nicht, dass der Mieter nach Vertragsbeendigung gar nicht mehr zum Besitz berechtigt ist und der Vermieter Vorsorge dafür treffen muss, keinen Schaden zu erleiden.
[28] Auf der anderen Seite steht aber das Interesse des Mieters, sich die weitere Vertragserfüllung zu sichern. Dieses ist jedenfalls dann als berechtigt anzuerkennen, wenn die Wirksamkeit der Kündigung zwischen den Vertragsparteien streitig ist. Beruft sich etwa der Mieter auf eine Mietminderung oder ein Zurückbehaltungsrecht wegen Mängeln, so läuft er Gefahr, dass der Vermieter ungeachtet dessen die Kündigung erklärt und das Mietobjekt per Fernzugriff sperrt. Das gewinnt ins besondere dann an Bedeutung, wenn das Mietobjekt und dessen fortgesetzte Nutzung für den Mieter von erheblichem Interesse sind, wie dies beispielsweise bei der Wohnungsmiete, aber auch bei einem beruflich genutzten Fahrzeug der Fall ist. Dementsprechend ist die gesetzliche Risikoverteilung beim Mietverhältnis dadurch geprägt, dass der Vermieter aufgrund der Überlassung des Mietobjekts grundsätzlich das Risiko der nach Mietvertragsbeendigung fortgesetzten (Ab-)Nutzung trägt. Dagegen kann er sich wiederum durch Vereinbarung einer Mietkaution absichern. Außerdem steht ihm ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung nach § 546a BGB zu.
Hier sieht der XII. Zivilsenat das Problem des Falles: Der Mieter muss den mitunter langwierigen Rechtsweg beschreiten, um sich die Nutzungsmöglichkeit einer Sache zu sichern, auf die er angewiesen ist. Hierzu gehört für viele Menschen, die den Wohlstand anderer erarbeiten müssen, auch das Auto.
[29] In der vorliegenden Fallkonstellation rechtfertigen die berechtigten Interessen des Vermieters einen derart weitreichenden Eingriff in die Rechtssphäre des Mieters nicht. Die streitgegenständliche Klausel erlaubt einen Zugriff auf die Batterie und mittelbar den Zugriff auch auf das E-Fahrzeug, das für den Mieter infolge der Batteriesperrung nutzlos wird. Dadurch, dass die Batterie unstreitig herstellergebunden und mit dem E-Fahrzeug verknüpft ist, hat der Mieter keine zumutbare Möglichkeit, die gesperrte Batterie durch ein anderes Fabrikat zu ersetzen, um das E-Fahrzeug weiter betreiben zu können. Mit dem E-Fahrzeug wird damit neben der Batterie ein wesentlich höherwertiger Vermögensbestandteil für ihn unbrauchbar bzw. ein Nutzungsrecht daran entwertet. Hinzu kommt, dass das längerfristig angeschaffte bzw. gesondert gemietete oder geleaste E-Fahrzeug vom Mieter nicht selten beruflich genutzt wird und regelmäßig auch für die private Lebensgestaltung von wesentlicher Bedeutung ist.
Entscheidendes Argument: Die Batterie ist herstellergebunden und kann nicht ausgetauscht werden. Damit wird für den Mieter auch das E-Fahrzeug unbrauchbar. Hierdurch wird der Mieter nahezu rechtlos gestellt, denn der Rechtsweg ist lang und das Auto bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung nutzlos.
[30] Wenn unter diesen Umständen bei einem Streit über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung abweichend von der herkömmlichen Risikoverteilung die Klagelast auf den Mieter abgewälzt wird (…), so folgt daraus, dass dieser etwa mit Rechtsverfolgungskosten in Vorleistung treten muss, um sich die weitere Vertragserfüllung zu sichern (…). Zudem eröffnet die vorliegende Klausel dem Mieter keine Möglichkeit, Einwendungen gegen die Kündigung und die Sperrung der Batterie vorzubringen (…), sondern macht die Berechtigung der Beklagten, die Nutzung der Batterie zu unterbinden, allein vom vorherigen Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung und vom Ablauf der Vorwarnfrist von zwei Wochen abhängig. Dementsprechend dürften individuelle Einwendungen des Mieters gegen die Berechtigung von Kündigung und Batteriesperre bei der – gegebenenfalls sogar per sogenanntem Smart Contract automatisierten – Vertragsdurchführung von Seiten der Beklagten keine Berücksichtigung finden.
Die Klausel gewährt dem Mieter keine Möglichkeit, Einwendungen gegen die außerordentliche Kündigung vorzubringen. Dieser muss den Gerichtsweg beschreiten, was ihn zwingt, in Vorleistung zu treten.
[31] Der mit der Sperrung einhergehende Ausschluss von der Nutzung der Batterie und folglich auch des E-Fahrzeugs kehrt mit der Klagelast nicht nur das gesetzliche Leitbild um, sondern geht mit seinen Wirkungen über das Mietobjekt wesentlich hinaus. Eine solche Gestaltung lässt sich durch das Interesse der Beklagten an der Sicherung gegen den mit der Abnutzung der Batterie nach Vertragsbeendigung verbundenen Vermögensschaden nicht rechtfertigen.
Fazit des Gerichts: Die Klausel verstößt gegen das gesetzliche Leitbild des § 535 I BGB und geht wegen der Herstellerbindung der Batterie über die Wirkungen einer gewöhnlichen Vertragskündigung hinaus. Deshalb, und nicht allein wegen der Besitzstörung, ist die Klausel unwirksam.
D. Ergebnis
K kann von B gem. § 1 UKlaG die Unterlassung der Verwendung der Klausel verlangen.
FAZIT
Die o.g. Klausel ist unwirksam, weil sie den Mieter im Falle einer Vertragskündigung durch den Vermieter rechtlos stellt.
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