Ein Überblick über die Rechtsprechung des V. und VII. Zivilsenats des BGH
Eine Vielzahl von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs [BGH] sind examensrelevant, und zwar gleichermaßen für das Erste wie auch für das Zweite Staatsexamen. Einige besondere Entscheidungen bedürfen einer genaueren Beleuchtung. Um eine solche „Entscheidung“ geht es bei dem Schadensersatz in Form der fiktiven Mängelbeseitigungskosten. Hierzu hat der Bundesgerichtshof nicht zwei Urteile, sondern auch zwei interessante Beschlüsse erlassen:
Worum geht es?
22. Februar 2018 – an diesem Tag ereignete sich für alle „Zivilrechtler“ ein kleines Highlight in der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Der VII. Zivilsenat des BGH, der für Werkvertragsrecht, Architektenrecht und Zwangsvollstreckungsrecht zuständig ist, gab mit seinem Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17 seine langjährige Rechtsprechung im Hinblick auf die Ersatzfähigkeit von fiktiven Mängelbeseitigungskosten auf:
Leitsatz: „Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, kann im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) gegen den Unternehmer gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB seinen Schaden nicht nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).“ (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 -VII ZR 46/17)
Der V. Zivilsenat des BGH – zuständig für Grundstücksrecht, Nachbarrecht und Wohnungseigentumsrecht – befand sich aufgrund der Rechtsprechungsänderung des VII. Zivilsenats gewissermaßen in einer Zwickmühle. Er wollte die jahrelange Rechtsprechung fortführen, sah sich aber durch das Urteil des VII. Zivilsenats vom 22.02.2018 daran gehindert. Es folgte der Beschluss vom 13. März 2020 – V ZR 33/19, in welchem der V. Zivilsenat an den VII. Zivilsenat folgende Frage richtete:
„Wird an der in dem Urteil vom 22. Februar 2018 (VII ZR 46/17, BGHZ 218, 1 Rn. 31 ff.) vertretenen Rechtsauffassung festgehalten, wonach der ‚kleine’ Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 280, 281 Abs. 1 BGB nicht anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber (noch) nicht aufgewendeten (‚fiktiven’) Mängelbeseitigungskosten bemessen werden darf?“ (BGH, Beschluss vom 13. März 2020 – V ZR 33/19)
JurCase informiert:
Eine solche Nachfrage eines Senats infolge einer Rechtsprechungsänderung ist nicht ungewöhnlich. Dies ist sogar in § 132 Abs.3 S.1 GVG normiert, dort heißt es nämlich: „Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält.“ (Hervorhebungen durch die Verfasserin)
Der VII. Senat bezog daraufhin in seinem Beschluss vom 8. Oktober 2020 – VII ARZ 1/20 ausführlich Stellung zu seiner Rechtsprechungsänderung und erklärte im Ergebnis, dass er an seiner Rechtsprechungsänderung festhält – der Schadensersatz statt der Leistung gemäß §634 Nr.4, §§280, 281 Abs.1 BGB solle künftig nicht die fiktiven Mängelbeseitigungskosten ersetzen.
Dies hinderte den V. Zivilsenat in seinem darauffolgenden Urteil vom 12. März 2021 – V ZR 33/19 jedoch nicht daran, trotzdem an der langjährigen Rechtsprechung von der Ersatzfähigkeit der fiktiven Mängelbeseitigungskosten festzuhalten – doch warum?
Begründung für die Rechtsprechungsänderung des VII. Senats im Beschluss vom 8. Oktober 2020 – VII ARZ 1/20
Dass der V. Zivilsenat weiterhin von der Ersatzfähigkeit fiktiver Mängelbeseitigungskosten ausgehen kann, hängt maßgeblich mit der Begründung des VII. Zivilsenats für die Rechtsprechungsänderung zusammen – dieser führte nämlich aus:
„Die Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung des VII. Zivilsenats ist – jedenfalls im Werkvertragsrecht – erforderlich geworden, um eine hieraus resultierende Fehlentwicklung zu beenden. Der in diesem Rahmen vom VII. Zivilsenat berücksichtigte Gesichtspunkt der Vermeidung einer Überkompensation ist, anders als der V. Zivilsenat meint, keine ‚in erster Linie rechtspolitische Erwägung’, sondern stellt ein allgemein anerkanntes schadensrechtliches Prinzip dar […]. Ein Gleichlauf hinsichtlich der Schadensbemessung im Rahmen der Mängelhaftung des Werkvertrags- und des Kaufrechts ist angesichts der unterschiedlichen gesetzlichen Ausgestaltung der Mängelrechte, insbesondere im Hinblick auf den Vorschussanspruch, aber auch im Hinblick auf das Nacherfüllungsrecht, nicht geboten […].“ (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2020 – VII ARZ 1/20) (Hervorhebung durch die Verfasserin)
Im Wesentlichen begründete der VII. Zivilsenat die Rechtsprechungsänderung also mit den Unterschieden zwischen den Ausgestaltungen im Werkvertragsrecht und im Kaufrecht. Im Werkvertragsrecht bestehe die Besonderheit, dass der Besteller einen Vorschussanspruch gemäß §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 3 BGB besitze. Er könne also die voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten auf diesem Weg erlangen. Einen solchen Anspruch auf einen Vorschuss gebe es für den Käufer im Kaufrecht jedoch nicht. Ihm könne allerdings auch nicht zugemutet werden, die Mängelbeseitigungskosten vorzustrecken.
Ein weiteres zentrales Element in der Begründung ist die Vermeidung einer Überkompensation im Werkvertragsrecht.
Das Problem der Überkompensation trete besonders deswegen im Werkvertragsrecht stärker auf als im Kaufrecht, „da die Vereinbarung einer individuellen Beschaffenheit des herzustellenden Werks werkvertragstypisch ist.“ (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2020 -VII ARZ 1/20)
Im Wesentlichen bestehe die Problematik einer Überkompensation immer in den Fällen, in denen die Abweichungen von dem vereinbarten Werk den Besteller nicht derartig stören, dass er sie beseitigen lassen würde – oder mit den Worten des VII. Senats gesagt: „[…] mit denen der Besteller ‚leben kann’ und die er deshalb nicht im Wege einer aufwendigen Selbstvornahme beseitigt.“ (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2020 -VII ARZ 1/20)
JurCase informiert:
Als Beispiel führt der VII. Senat u. a. an: „[…] etwa die Verlegung einer Fußbodenheizung, die die vereinbarte Heizleistung knapp verfehlte […].“ (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2020 -VII ARZ 1/20)
Der VII. Senat machte also in seiner Begründung für die Rechtsprechungsänderung deutlich, dass diese allein mit den werkvertragsspezifischen Besonderheiten zusammenhängt, so dass diese Rechtsprechungsänderung damit auch keine Auswirkung auf die kaufrechtlichen Vertragsgestaltungen haben müsse.
Der V. Zivilsenat hatte in seinem Urteil vom 12. März 2021 – V ZR 33/19 demgegenüber über einen Fall zu entscheiden, in dem eine Eigentumswohnung unter Ausschluss der Sachmängelhaftung erworben wurde. Eine zentrale Vereinbarung des Vertrages lautete: „Dem Verkäufer ist bekannt, dass es in der Vergangenheit an der Schlafzimmerwand Feuchtigkeit gab. Sollte es bis zum 31. Dezember 2015 erneut zu einer Feuchtigkeit im Schlafzimmer kommen, verpflichtet sich der Verkäufer, diese auf seine eigenen Kosten zu beheben.“ Eine solche Feuchtigkeit zeigte sich vor Ablauf des 31. Dezembers 2015, so dass die Kläger daraufhin erfolglos die Beseitigung begehrten. In der Folge verlangten die Kläger u. a. die Zahlung der fiktiven Mängelbeseitigungskosten.
Diese Haftungsfrage wurde dem Kaufrecht zugeordnet. Der V. Zivilsenat hatte somit über den Ersatz von fiktiven Mängelbeseitigungskosten im Rahmen des Kaufrechts zu entscheiden und bestätigte nunmehr in seinem Urteil vom 12. März 2021:
„Der kaufvertragliche Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) gemäß § 437 Nr. 3, §§ 280, 281 BGB kann anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber (noch) nicht aufgewendeten (‚fiktiven’) Mängelbeseitigungskosten bemessen werden […].“ (BGH, Urteil vom 12. März 2021 -V ZR 33/19)
Eine Ausnahme sah der V. Zivilsenat allerdings darin, dass es für die Umsatzsteuer nur dann einen Ersatz gebe, sofern sie auch tatsächlich angefallen ist.
In der Begründung stützte sich der V. Zivilsenat darauf, dass die Vorfinanzierung der Mängelbeseitigung für den Käufer unzumutbar wäre und das Kaufrecht auch kein Selbstvornahmerecht mit einem Vorschussanspruch kenne. Auch der V. Zivilsenat nimmt damit auf die Unterschiede im Kauf- und Werkvertragsrecht Bezug.
Letztlich führten also diese Unterschiede im Kauf- und Werkvertragsrecht im Hinblick auf die Mängelrechte dazu, dass der V. Zivilsenat weiterhin an seiner Rechtsprechung festhalten konnte, während der VII. Zivilsenat seine Rechtsprechung aufgab.
Hoch Examensrelevant
Die Examensrelevanz dieser Rechtsprechungen des V. und VII. Zivilsenats des BGH drängt sich geradezu auf, da der Grund für diese divergierende Rechtsprechung in den Unterschieden zwischen der Mängelhaftung im Kauf- und im Werkvertragsrecht liegt, also in einer absoluten Grundsatzfrageangesiedelt ist. Die Mängelhaftung im Kauf- und Werkvertragsrecht verläuft weitgehend parallel, es gibt jedoch einige Stellen, an denen sich die genannten Unterschiede auftun. Gerade diese Unterschiede sind jedoch interessant für den Klausursteller, denn er kann anhand dieser überprüfen, ob das Grundverständnis des Prüflings vorhanden ist.
JurCase informiert:
Die wichtigsten Unterschiede in der Mängelhaftung im Kauf- und Werkvertragsrecht, die ihr in der Examensklausur unbedingt parat haben solltet, sind Folgende:
- Das Werkvertragsrecht kennt ein Recht auf Selbstvornahme, das in §§ 634 Nr.2, 637 verankert ist. Ein solches gibt es im Kaufrecht nicht.
- Außerdem gibt es im Werkvertragsrecht einen Anspruch auf einen Vorschuss für den Besteller gemäß §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 3 BGB, der ebenso im Kaufrecht fehlt.
- Schließlich ist im Werkvertragsrecht zu beachten, dass es einer Abnahme des Werkes gemäß der §§ 640 ff. BGB bedarf, während es auf eine Abnahme im Kaufrecht nicht ankommt.
- Ein großer Unterschied lässt sich zudem in der Formulierung des § 633 Abs.2 BGB erkennen. Die parallel ausgestaltete Norm des § 434 Abs.1 S.1 BGB sieht als maßgeblichen Zeitpunkt für das Vorliegen des Mangels den „Gefahrübergang“ an. In dem Wortlaut des § 633 Abs.2 BGB ist demgegenüber keine Rede von dem „Gefahrübergang“, so dass sich im Rahmen der werkvertraglichen Mängelhaftung die Frage stellt, auf welchen Zeitpunkt bei der Beurteilung, ob ein Mangel vorliegt, abzustellen ist.
- Überdies ist auch eine unterschiedliche Verjährungsfrist in § 634a und § 438 BGB geregelt
- und gem. §635 Abs.1 BGB hat der Unternehmer das Wahlrecht, ob er nachbessert oder nachliefert, während im Kaufrecht gemäß § 439 Abs.1 BGB dieses Wahlrecht dem Käufer zusteht.
Fazit
Die divergierende Rechtsprechung des V. und VII. Zivilsenats ist die Folge einer Entwicklung in der Praxis. Um eine Überkompensation des Bestellers im Bereich des Werkvertragsrechts zu vermeiden, reagierte der VII. Zivilsenat nunmehr mit der Aufgabe seiner jahrelangen Rechtsprechung. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese praxisorientierte Rechtsprechung in den künftigen Fällen bewähren wird. Jedenfalls zeigt diese Rechtsprechung des V. und VII. Zivilsenats allerdings besonders schön, dass sich auch die höchstrichterliche Rechtsprechung an den juristischen Grundsatzfragen und der Gesetzessystematik orientiert. Für das Examens bedeutet das also: Den Fokus beim Lernen gerade auf derartige Grundsatzfragen zu richten kann dabei helfen, einen sinnvollen Lösungsansatz in der Examensklausur zu entwickeln!
Die BGH-Entscheidungen noch einmal im Überblick:
BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17
BGH, Beschluss vom 13. März 2020 – V ZR 33/19
BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2020 -VII ARZ 1/20
BGH, Urteil vom 12. März 2021 – V ZR 33/19