Keine Angst vor dem Erlaubnistatbestandirrtum!
Der Erlaubnistatbestandsirrtum. Er jagt uns meistens schon im ersten Semester im Strafrecht. Verstanden habe ich ihn jedoch erst kurz vor dem Examen. Dabei kann man mit einem einfachen Trick gut mit den verschiedenen Theorien rund um den Erlaubnistatbestandsirrtum (ETBI) umgehen!
Erlaubnistatbestandsirrtum… Was bedeutet das eigentlich?
An den ETBI ist zu denken, wenn der Täter sich einen rechtfertigenden Tatbestand vorstellt. Ein Beispiel wäre: A glaubt, dass B eine Waffe ziehen will und erschießt ihn deshalb. B wollte jedoch nur nach seinen Zigaretten greifen. A hat sich hier also vorgestellt, in Notwehr zu handeln. A irrte sich auch nicht im rechtlichen, sondern im tatsächlichen Bereich. Davon abzugrenzen ist der Erlaubnisirrtum, bei dem der Täter kein Unrechtsbewusstsein hat. Er geht davon aus, dass er einen nicht existierenden Rechtfertigungsgrund habe, z.B. ein körperliches Züchtigungsrecht. Der ETBI ist in der Fallprüfung auf der Ebene der Schuld anzusprechen. Der Streit rankt sich vor allem um die Anwendbarkeit von §16 oder §17 StGB und die Folgen für die Fallprüfung.
Die Theorien rund um den ETBI
Die Lehre von den negativen Tatbestandmerkmalen:
Diese Theorie nimmt an, dass die Prüfungsebene „Rechtfertigung“ ein negatives Tatbestandsmerkmal darstellt. Damit wendet sie §16 Abs. 1 StGB direkt an, denn der Täter kennt nach dieser Lehre einen Umstand, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, nicht. Um es noch einmal deutlich zu machen: für diese Lehre sind Tatbestand und Rechtswidrigkeit eine Stufe! Zum Tatbestand sollen neben der Tathandlung, dem Taterfolg und der objektiven Zurechnung auch die Nicht-Rechtfertigung gehören. Ebendiese Nicht-Rechtfertigung verkenne der Täter beim ETBI.
Diese Lehre ist abzulehnen. Mit dem Wortlaut des §16 StGB „gesetzlicher Tatbestand“ sind nur die Tatbestandsbeschreibungen des Besonderen Teils des StGB gemeint, nicht aber die Rechtfertigungsgründe des Allgemeinen Teils.
Die eingeschränkte Schuldtheorie:
Diese Theorie wendet §16 Abs. 1 StGB analog an, da sie davon ausgeht, dass „gesetzlicher Tatbestand“ in §16 StGB nur Tatbestandsbeschreibungen im Besonderen Teil meint. Der Irrtum des Täters über das Vorliegen der Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes sei einem Tatbestandsirrtum gleichzusetzen. Der Täter habe sich rechtstreu verhalten wollen und daher sei eine Bestrafung nach Fahrlässigkeitsgrundsätzen angemessen. Somit entfalle der Vorsatz über das rechtswidrige Handeln nach §16 Abs. 1 StGB analog. Es ist, wenn man dieser Theorie folgt, das Vorsatzdelikt mangels Schuld abzulehnen und ein Fahrlässigkeitsdelikt zu prüfen. Dabei können aber Strafbarkeitslücken entstehen, wenn die fahrlässige Begehung eines Deliktes nicht strafbar ist.
Die rechtfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie:
Diese Theorie stellt die wohl herrschende Meinung dar. Nach ihr liegt bei einer ETBI Situation der vorsätzliche Handlungsunwert vor, aber wegen des herabgesetzten Schuldgehalts ist nur wegen Fahrlässigkeit zu bestrafen. Es fehlt somit an der Vorsatzschuld. Der Handlungsvorsatz bleibt bestehen und es wird ein Schulddefizit angenommen. Das hat zur Folge, dass nur die Rechtsfolgen des §16 Abs. 1 StGB analog anzuwenden sind. Das Problem wird auf der Ebene der Schuld angesprochen.
An dieser Lehre wird kritisiert, dass nicht einmal die Voraussetzungen des Tatbestandes des §16 Abs. 1 StGB analog vorliegen und sie trotzdem die Rechtsfolgen des Tatbestandes verwendet.
Hervorzuheben ist allerdings, dass diese Lehre eine Teilnehmerbestrafung möglich macht. Da der Handlungsvorsatz bestehen bleibt, besteht auch eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat, an der Teilnahme möglich ist.
Die strenge Schuldtheorie:
Die strenge Schuldtheorie wendet im Gegensatz zu den oben genannten Theorien §17 StGB (Verbotsirrtum) an. Dies wird begründet mit der Annahme, dass durch die vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen erhöhte Aufmerksamkeit darauf verwendet werden muss, ob tatsächlich eine Rechtfertigung besteht oder eine Vorsatzbestrafung gerechtfertigt wäre. Dies soll vor allem der Fall sein, wenn der Irrtum vermeidbar wäre. An der Theorie ist zu kritisieren, dass §17 StGB eigentlich dadurch geprägt ist, dass der Handelnde die Dimensionen von Recht und Unrecht verkenne. Beim ETBI liegt jedoch keine fehlerhafte Rechtsauslegung vor. Der Handelnde wollte sich gerade rechtstreu verhalten.
Umgang in der Klausur
In der Klausur sollte man zunächst die strenge Schuldtheorie und die Anwendung von §17 StGB diskutieren. Dagegen kann angeführt werden, dass die Theorie übersieht, dass sich der Töter eigentlich rechtstreu verhalten wollte und ihm nur ein Mangel an Sorgfalt vorzuwerfen ist. Damit kann man überleiten auf den §16 StGB analog, der annimmt, dass der Täter sich in den erlaubten Grenzen bewegen wollte.
Dann kann zuerst die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen erwähnt werden, die sogar zu einer direkten Anwendung von §16 StGB kommt. Die Lehre kann mit dem oben genannten Wortlautargumenten um §16 StGB abgelehnt werden. Die Lehre von der eingeschränkten Schuldtheorie und die Lehre von der rechtsfolgenverweisenden eingeschränkten Schuldtheorie kommen zu demselben Ergebnis, nämlich der Anwendung von §16 Abs. 1 StGB analog. Nach beiden Theorien liegt vorsätzliches Handlungsunrecht vor, aber wegen des herabgesetzten Schuldgehaltes ist nur wegen Fahrlässigkeit zu bestrafen.
Wenn keine Teilnahmekonstellation vorliegt, kann der Streit an dieser Stelle dahinstehen. Ansonsten ist am besten der eingeschränkten rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie zu folgen.
Die ETBI Theorien scheinen auf den ersten Blick verworren zu sein, aber eigentlich ähneln sie sich doch! Viel Erfolg beim nächsten ETBI! 🙂
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