Ein Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 BGB?
BGH, Urteil vom 27. Mai 2020 – VIII ZR 315/18
Immer wieder tauchen Pferde in den höchstrichterlichen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs auf. Dadurch spielt das Pferd auch in Examensklausuren eine immer größere Rolle. Nunmehr hatte der BGH über die Frage zu entscheiden, ob Rittigkeitsprobleme eines Pferdes einen Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 BGB darstellen.
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Rittigkeitsprobleme – was bedeutet das eigentlich?
Die Antwort auf diese Frage lieferte der BGH in seinem Urteil vom 27. Mai 2020 (VIII ZR 315/18) gleich mit, indem er die folgende Definition zugrunde legte; man spricht von Rittigkeitsproblemen: „[…], wenn das Pferd nicht oder nicht optimal mit dem Reiter harmoniert und Widersetzlichkeiten zeigt.“
Die Examensrelevanz dieser Entscheidung drängt sich geradezu auf, da der BGH in seinem Urteil eine Reihe an Grundsätzen aufgreift, die gelten, wenn ein Pferd der Kaufgegenstand ist. Darüber hinaus machte der BGH auch deutlich, wo genau die Besonderheiten liegen, wenn es um einen Tierkauf geht.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin kaufte von der Beklagten ein fünf Jahre altes Pferd. Dieses sollte als Sportpferd genutzt werden. Eine weitere Ausbildung des Pferdes erfolgte durch die Tochter der Klägerin mit dem Ziel, den Leistungsstand der Klasse L zu erreichen. Schließlich erklärte die Klägerin die Anfechtung des Kaufvertrages. Als Anfechtungsgrund wurde die arglistige Täuschung angeführt, die sich aus den „gravierenden Rittigkeitsproblemen“ und „Widersetzlichkeiten des Blockens beziehungsweise Blockierens“ des Pferdes ergebe. Einige Monate später wurde auch der Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt mit der Begründung, dass „die gezeigten ‚Rittigkeitsmängel’ […] auf verengten Dornfortsätzen der Wirbelsäule (Kissing Spines) [beruhten].“ Das Landgericht wies die Klage ab, die Berufung der Klägerin war jedoch erfolgreich.
Das Berufungsgericht ging davon aus, dass die Rittigkeitsprobleme „[…] in Zusammenschau mit den Röntgenbefunden den Schluss auf das Vorliegen eines Kissing Spines-Syndroms zuließen.“ Ebenso führte das Berufungsgericht an, dass „[i]m Zeitraum von sechs Monaten nach Gefahrübergang […] mit den klinischen Symptomen eines Kissing Spines-Syndroms Mangelerscheinungen aufgetreten [seien], die den Gebrauch des Pferds für die vertraglich vorausgesetzte Nutzung als Sportpferd (Dressurpferd) ausschlössen.“ Nach der Auffassung des Berufungsgerichts sei letztlich „[…] in der Kombination von ‚Rittigkeitsmängeln’ mit einem röntgenologischen Kissing Spines-Befund […] eine Mangelerscheinung [zu erblicken], die die Vermutungswirkung des § 476 BGB aF auslöse.“
Das Berufungsgericht erkannte also an, dass ein Kissing Spines Befund allein keinen mangelhaften Zustand begründet und auch die Rittigkeitsprobleme allein noch nicht ausreichend waren, um die Wirkung des § 476 BGB aF (§ 477 BGB nF) auszulösen. Die Kombination aus Rittigkeitsproblemen und dem Kissing Spines Befund sollte jedoch zur Anwendbarkeit des § 476 BGB aF / § 477 BGB nF führen.
Nunmehr hatte der BGH über die Revision der Beklagten zu entscheiden und erteilte dem Berufungsgericht mit seinem Urteil vom 27. Mai 2020 eine deutliche Absage. Zwar wies der BGH auf mehrere Fehler in der Entscheidung des Berufungsgerichts hin. Vor allem aber betonte er, dass schon kein Sachmangel gegeben ist:
„Bereits die Annahme eines gewährleistungspflichtigen Sachmangels des Pferds findet in den Feststellungen des Berufungsgerichts keine Grundlage […].“
Sofern allerdings schon kein Sachmangel vorliegt, kann auch die Vermutungswirkung des § 476 BGB aF / § 477 BGB nF nicht ausgelöst sein. Die Voraussetzung ist nämlich, dass sich innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang ein Zustand zeigen muss, der als Sachmangel zu qualifizieren ist. Nach dem BGH stellten die Rittigkeitsprobleme im vorliegenden Fall jedoch bereits keinen Sachmangel dar. Demnach gab es auch keinen Raum für eine Anwendung des § 476 BGB aF / § 477 BGB nF. Dieser Aspekt verdient eine genauere Beleuchtung.
Rittigkeitsprobleme – Kein Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 BGB
Gemäß § 90a Satz 1 BGB sind Tiere zwar keine Sachen. Jedoch sind, sofern anderen Bestimmungen fehlen, auf sie die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden (§ 90a Satz 3 BGB). Grundsätzlich gelten also die kaufvertraglichen Regeln auch für den Kauf eines Pferdes. Der BGH arbeitete in seiner Entscheidung allerdings die Unterschiede, die bei dem Kauf eines Pferdes im Vergleich zu dem Kauf einer Sache zu beachten sind, sehr anschaulich heraus. Es müsse nämlich beachtet werden,
„[…] dass es sich bei dem erworbenen Pferd um ein Lebewesen handelt, das – anders als Sachen – mit individuellen Anlagen ausgestattet und dementsprechend mit sich daraus ergebenden unterschiedlichen Risiken behaftet ist […]. Der Käufer eines lebenden Tiers kann redlicherweise nicht erwarten, dass er – auch ohne besondere (Beschaffenheits-)Vereinbarung – ein Tier mit ‚idealen’ Anlagen erhält, mit dem er gänzlich unproblematischen Umgang pflegen und von ihm etwa erhoffte (rasche) Ausbildungsfortschritte und Wettkampferfolge tatsächlich erzielen kann.“ (Hervorhebungen durch die Verfasserin)
Eine Beschaffenheit im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 1 BGB war im vorliegenden Fall nicht vereinbart. Also kam es darauf an, ob sich das Pferd für die vertragliche oder die gewöhnliche Verwendung eignet (§ 434 Abs.1 S. 2 Nr. 1 und 2 BGB), wobei gerade diese vorgenannten Besonderheiten zu beachten waren. Außerdem wiederholte der BGH in diesem Zusammenhang die allgemeinen Grundsätze, die bei der Beurteilung, ob ein Sachmangel bei einem Tierkauf vorliegt, gelten:
„Der Verkäufer eines Tiers hat, sofern eine anderslautende Beschaffenheitsvereinbarung nicht getroffen wird, (lediglich) dafür einzustehen, dass es bei Gefahrübergang nicht krank ist und sich auch nicht in einem (ebenfalls vertragswidrigen) Zustand befindet, aufgrund dessen bereits die Sicherheit oder zumindest die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass es alsbald erkranken wird […] und infolgedessen für die vertraglich vorausgesetzte (oder die gewöhnliche) Verwendung nicht mehr einsetzbar wäre. […] Ebenso wenig gehört es zur üblichen Beschaffenheit eines Tiers, dass es in jeder Hinsicht einer biologischen oder physiologischen ‚Idealnorm’ entspricht […]. Diese Wertung trägt dem Umstand Rechnung, dass es sich bei Tieren um Lebewesen handelt, die einer ständigen Entwicklung unterliegen und die – anders als Sachen – mit individuellen Anlagen ausgestattet und dementsprechend mit sich daraus ergebenden unterschiedlichen Risiken behaftet sind […]. Denn der Käufer eines lebenden Tiers kann, wie der Senat ebenfalls ausgesprochen hat, redlicherweise nicht erwarten, dass er auch ohne besondere (Beschaffenheits-) Vereinbarung ein Tier mit ‚idealen’ Anlagen erhält, sondern muss im Regelfall damit rechnen, dass es in der einen oder anderen Hinsicht physiologische Abweichungen vom Idealzustand aufweist, wie sie für Lebewesen nicht ungewöhnlich sind [..]. Die damit verbundenen Risiken für die spätere Entwicklung des Tiers sind für Lebewesen typisch und stellen für sich genommen noch keinen vertragswidrigen Zustand dar, denn der Verkäufer eines Tiers haftet nicht für den Fortbestand des bei Gefahrübergang gegebenen Gesundheitszustands […].“ (Hervorhebungen durch die Verfasserin)
Für den vorliegenden Fall stellte der BGH zudem klar:
„Diese Grundsätze gelten nicht nur für physiologische Abweichungen vom Idealzustand, sondern ebenso für ein vom Idealzustand abweichendes Verhalten eines Pferds, wie etwa sogenannte ‚Rittigkeitsprobleme’, hier durch Widersetzlichkeiten in Form des Blockens und Blockierens.“ (Hervorhebungen durch die Verfasserin)
Und:
„Ein bloßer Kissing Spines-Befund, wie er hier gegeben ist, ist […] kein krankhafter Zustand. ‚Rittigkeitsprobleme’ ändern daran nichts. […] Auch hat das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, ein Blocken beziehungsweise Blockieren des Pferdes sei als klinische Erscheinung des Röntgenbefundes anzusehen und rechtfertige die Annahme eines Sachmangels (Kissing Spines-Syndrom). Klinische Erscheinungen eines Kissing Spines-Befunds können etwa Lahmheit, krankhafte Störungen des Bewegungsapparats oder offensichtliche Schmerzen sein. Zwar können ‚Rittigkeitsdefizite’ eines Pferds unter Umständen – mittelbar – auf einem Engstand der Dornfortsätze beruhen, weil Veränderungen der Dornfortsätze – wie der Sachverständige ausgeführt hat – eine mögliche Ursache von Rückenschmerzen sein können. Ein Schmerzgeschehen ist hier jedoch nicht in Erscheinung getreten, denn eine krankhafte (Rücken-)Symptomatik, wie etwa (Druck-)Schmerzempfindlichkeit, hat das Berufungsgericht gerade nicht festgestellt.“
Nach dem BGH kommen die vorgenannten Grundsätze damit auch bei Rittigkeitsproblemen eines Pferdes – also einem Verhalten – zur Anwendung. Unter Beachtung dieser Grundsätze und den bei einem Pferdekauf geltenden Besonderheiten handele es sich im vorliegenden Fall nicht um einen Sachmangel. Ein Kissing Spines-Befund allein sei nicht ausreichend, um einen Sachmangel zu begründen. Es müsse viel mehr eine klinische Erscheinung auftreten. Auch Rittigkeitsprobleme könnten unter Umständen die Folge eines solchen Kissing Spines-Befundes sein, hierfür müsse aber ein Schmerzgeschehen nachweisbar sein, das diese Rittigkeitsprobleme auslöse. Nur sofern sich derartige klinische Auswirkungen – also Rittigkeitsprobleme aufgrund von Schmerzen – in Verbindung mit dem Kissing Spines-Befund gezeigt hätten, wäre die Annahme eines Sachmangels möglich gewesen. Dafür, dass die Rittigkeitsprobleme vorliegend auf Schmerzen des Pferdes zurückzuführen seien, fehle jedoch ein Nachweis. Damit formulierte der BGH letztlich folgendes Ergebnis:
„Ein solches Risiko ist für Lebewesen jedoch nicht von vornherein untypisch und stellt noch keinen Mangel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder 2 BGB dar.“
Diese Beurteilung könnte sich zwar ändern, wenn eine Beschaffenheit vereinbart worden wäre. Eine solche Beschaffenheitsvereinbarung fehlte hier jedoch.
Zusammengefasst
Rittigkeitsprobleme eines Pferdes sind folglich – sofern sich keine klinischen Auswirkungen zeigen – nicht als Sachmangel zu qualifizieren, wenn eine Beschaffenheit des Tieres nicht ausdrücklich vereinbart wurde. Ein derartiges Verhalten eines Pferdes stellt viel mehr ein natürliches Risiko dar, das der Käufer im Rahmen eines Tierkaufes zu tragen hat.
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Die wichtigsten Leitsätze des BGH-Urteils vom 27. Mai 2020 – VIII ZR 315/18 im Überblick:
„Entspricht die ‚Rittigkeit’ eines Pferdes nicht den Vorstellungen des Reiters, realisiert sich für den Käufer – wenn nicht klinische Auswirkungen hinzukommen – daher grundsätzlich lediglich der Umstand, dass es sich bei dem erworbenen Pferd um ein Lebewesen handelt, das – anders als Sachen – mit individuellen Anlagen ausgestattet und dementsprechend mit sich daraus ergebenden unterschiedlichen Risiken behaftet ist.“
„Nach dieser Maßgabe sind ‚Rittigkeitsprobleme’ durch von einem Reitpferd gezeigte Widersetzlichkeiten auch bei Vorliegen eines nicht mit Krankheitssymptomen verbundenen Kissing Spines-Befundes – in Ermangelung einer anderslautenden Beschaffenheitsvereinbarung oder eines besonderen Vertragszwecks – kein Sachmangel im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 BGB.“
„’Rittigkeitsprobleme’ durch von einem Reitpferd gezeigte Widersetzlichkeiten sind keine Mangelerscheinung, so dass sie die Vermutungswirkung des § 476 BGB aF nicht auslösen, denn insoweit handelt es sich – in Ermangelung einer anderslautenden Beschaffenheitsvereinbarung oder eines besonderen Vertragszwecks – nicht um eine Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 BGB, sondern um ein natürliches Risiko.“
(Hervorhebungen durch die Verfasserin)
Fazit
Pferde spielen eine große Rolle, sowohl in der Rechtsprechung des BGH als auch in den Examensklausuren. Zwar sind auf Tiere gemäß § 90a Satz 3 BGB die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, so dass Tier- und Sachkäufe rechtlich grundsätzlich ähnlich zu behandeln sind. Aufgrund der Tatsache, dass Tiere Lebewesen sind, herrschen jedoch einige Besonderheiten, die es zu beachten gilt! Diese Besonderheiten sind der Grund für die vermehrte höchstrichterliche Rechtsprechung zu Pferdekäufen und die große Examensrelevanz. In der Examensklausur sollten die Unterschiede und Besonderheiten bei einem Pferdekauf also unbedingt beherrscht werden.
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Um einen Überblick über die aktuelle Rechtsprechung zu zivilrechtlichen Fällen im „Pferderecht“ zu gewinnen, eignet sich folgender Beitrag: „Das Pferderecht: Zivilrechtliche Fälle rund um Pferde“.