BGH, Urteil vom 12. Januar 2021 – VI ZR 662/20
Richtig gehört. Beschädigt jemand bei dem Ausparken mit einem fremden Kraftfahrzeug sein eigenes – ebenfalls auf dem Parkplatz abgestelltes – Kraftfahrzeug, so ist eine Haftung des Halters im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG gemäß § 8 Nr. 2 StVG ausgeschlossen. Diese Entscheidung fällte der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 12. Januar 2021. Der folgende Beitrag soll die wesentlichen Erwägungen des BGH für den Haftungsausschluss aufgreifen und zugleich den Anwendungsbereich des § 8 Nr. 2 StVG sowie die examensrelevanten Aspekte dieses Falles beleuchten.
Es ereignete sich folgender Sachverhalt:
Der Beklagte zu 2 ist der Halter eines behindertengerecht umgebauten Kraftfahrzeuges, bei dem Gas- und Bremsfunktion im Handbetrieb betätigt werden. Dieses Fahrzeug ist bei der Beklagten zu 1 haftpflichtversichert. Der Kläger wollte dieses Fahrzeug des Beklagten zu 2, der auf den Rollstuhl angewiesen ist, rückwärts aus einer Parklücke auf einem Parkplatz ausparken, um dem Beklagten zu 2 das Einsteigen zu ermöglichen. Während dieses Ausparkvorganges verlor der Kläger die Kontrolle über das Kraftfahrzeug des Beklagten zu 2 und beschädigte dabei sein eigenes Kraftfahrzeug, das auch auf dem Parkplatz abgestellt war. Der Kläger behauptet, er habe den Beklagten zu 2 gebeten, ihm die Bedienung des umgebauten Fahrzeugs zu erklären, was dieser sodann jedoch fehlerhaft getan habe. Die Beklagten behaupten demgegenüber, dass der Kläger zunächst erklärt habe, mit Automatikfahrzeugen kein Problem zu haben und, dass dieser sodann ohne Anweisung den Motor gestartet, den Rückwärtsgang eingelegt und ohne weiteres Abwarten den Bremshebel losgelassen habe. Der Kläger begehrt mit seiner Klage von den Beklagten als Gesamtschuldnern Schadensersatz für die Beschädigung seines Fahrzeuges. Das Amtsgericht sprach dem Kläger eine Zahlung der Hälfte des geltend gemachten Betrages zuzüglich Zinsen zu. Das Berufungsgericht wies die Klage sodann jedoch vollständig ab. Der BGH hatte nunmehr über die Revision des Klägers zu entscheiden.
Die Entscheidung des BGH
Der BGH wies die Revision des Klägers zurück und schloss sich damit der Auffassung des Berufungsgerichts an. Dem Kläger stünden gegen die Beklagten keine Schadensersatzansprüche zu.
JurCase informiert:
Verkehrsunfälle sind ein absoluter Klassiker in den zivilrechtlichen Examensklausuren – besonders im Zweiten Staatsexamen! Die Herangehensweise an einen solchen Fall sollte damit sicher beherrscht werden. Regelmäßig sind in diesen Fällen folgende Anspruchsgrundlagen zu prüfen: § 7 Abs. 1 StVG, § 18 StVG, § 823 Abs. 1, 2 BGB. Ist – wie in diesem Fall – die Haftpflichtversicherung involviert, so spielen auch § 115 VVG und § 1 PflVG eine Rolle.
Der BGH entschied hier, dass dem Kläger im vorliegenden Fall keine Ansprüche gegen den Beklagten zu 2 aus § 7 Abs. 1 StVG bzw. gegen die Beklagte zu 1 aus § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG, § 7 Abs. 1 StVG zustünden, da diese gemäß § 8 Nr. 2 StVG ausgeschlossen seien.
§ 8 Nr. 2 StVG bestimmt, dass die Vorschriften des § 7 StVG nicht gelten, wenn der Verletzte bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig war. Zu beachten sei zwar, dass es sich bei der Norm des § 8 Nr. 2 StVG um eine Ausnahmevorschrift handele, die daher eng auszulegen sei. Allerdings sei der Kläger vorliegend gerade deshalb im Sinne des § 8 Nr. 2 StVG bei dem Betrieb des Kraftfahrzeuges tätig geworden, da er zum Zeitpunkt des Schadenseintritts als Kraftfahrzeugführer zu qualifizieren gewesen sei. Selbst wenn sich die Behauptung des Klägers bestätigen würde, wonach er auf Anweisung der Beklagten das Fahrzeug gestartet und geführt habe, so würde dies nach der Auffassung des BGH dennoch seine Eigenschaft als Fahrzeugführer nicht beseitigen, „da er selbst die wesentlichen Einrichtungen des Fahrzeugs bedient hat, die für dessen Fortbewegung bestimmt sind, und die tatsächliche Gewalt über das Steuer hatte […].“
Die zentrale Frage, die der BGH im vorliegenden Fall zu beantworten hatte, war jedoch, ob der Haftungsausschluss des § 8 Nr. 2 StVG auch dann eingreift, wenn der Kraftfahrzeugführer mit einem fremden Fahrzeug bei einem Verkehrsunfall seinen eigenen Pkw beschädigt.
Der BGH bezog zu dieser Frage wie folgt Stellung:
Der Sinn und Zweck des in § 8 Nr. 2 StVG normierten Haftungsausschlusses sei es, Personen zu erfassen, die mit dem Betrieb des Kraftfahrzeuges in Berührung kämen und daher stärker als die Allgemeinheit den von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgesetzt seien. Die Vorschrift des § 8 Nr. 2 StVG gelte dabei auch dann, wenn die Person nur aus einer Gefälligkeit heraus das Kraftfahrzeug gefahren habe. Der Anwendungsbereich der Vorschrift erstrecke sich außerdem nicht nur auf Personenschäden, sondern ebenso auf Sachschäden. Als Verletzter im Sinne des § 8 Nr. 2 StVG komme also auch der Eigentümer oder Besitzer einer beschädigten Sache in Betracht. Die zentrale Frage danach, ob der Haftungsausschluss des § 8 Nr. 2 StVG auch dann eingreift, wenn der Kraftfahrzeugführer mit einem fremden Fahrzeug bei einem Verkehrsunfall seinen eigenen Pkw beschädigt, beantwortete der BGH in seinem Urteil vom 12. Januar 2021 sodann deutlich mit: JA!
Der BGH wies zwar darauf hin, dass es in der Literatur und Rechtsprechung durchaus Meinungen gebe, nach denen der Haftungsausschluss des § 8 Nr. 2 StVG in einem solchen Fall nicht anzuwenden sei. Die Hauptargumente für diese Standpunkte seien, dass die Beschädigung des eigenen Kraftfahrzeuges durch den Betrieb des fremden Fahrzeuges einem Zufall entspreche und der Kraftfahrzeugführer sein eigenes Fahrzeug nicht freiwillig der Gefahr bei dem Betrieb des fremden Kraftfahrzeuges ausgesetzt habe.
Der BGH schloss sich dieser Meinung jedoch nicht an und lieferte für seine Position folgende Argumente:
„Der Kläger hat mit dem von ihm geführten Fahrzeug schon nicht eine Sache beschädigt, die ‚zufällig’ in dessen Einwirkungsbereich geraten ist und der Betriebsgefahr dieses Fahrzeugs nicht in besonderem Maße ausgesetzt war. Vielmehr wollte der Kläger das
Fahrzeug des Beklagten zu 2 für diesen aus der Parklücke fahren und hat durch das Manövrieren sein von ihm selbst auf demselben Parkplatz abgestelltes eigenes Fahrzeug bewusst der Betriebsgefahr des von ihm selbst geführten Kraftfahrzeugs ausgesetzt […]. Insoweit macht es hier keinen Unterschied, ob sich die beschädigte Sache innerhalb oder außerhalb des vom Kläger geführten Fahrzeugs befand. Im vorliegenden Fall entspricht die Anwendung des Haftungsausschlusses daher der Intention des Gesetzes.“
Das Argument der „zufälligen Beschädigung des eigenen Kraftfahrzeuges“ greife laut BGH hier also gerade nicht ein. Viel mehr habe der Kläger sein Auto bewusst der Betriebsgefahr des fremden Fahrzeuges ausgesetzt. Damit sei jedoch gerade der Sinn und Zweck des § 8 Nr. 2 StVG berührt, da der Haftungsausschluss des § 8 Nr. 2 StVG die Personen erfassen solle, die mit dem Betrieb des Kraftfahrzeuges und der hiervon ausgehenden Gefahr stärker als die Allgemeinheit in Berührung kämen. Dies sei beim Kläger der Fall gewesen. Seine Intention bei der Inbetriebnahme des fremden Fahrzeuges – die Hilfeleistung gegenüber dem Beklagten zu 2 – ändere hieran nichts.
Es bestehe laut BGH auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB (iVm. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG), da der Nachweis einer fehlerhaften Einweisung des Klägers in die Bedienung des Fahrzeuges durch den Beklagten zu 2 nicht erbracht worden sei, so dass auch keine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten erfolgt sei.
Zuletzt stellte der BGH klar, dass sich für den Kläger auch kein Anspruch aus § 670 BGB ergebe.
JurCase informiert:
Die Vorschrift des § 670 BGB regelt den Aufwendungsersatz im Rahmen eines Auftragsverhältnisses und bestimmt, dass der Auftraggeber zum Ersatz verpflichtet ist, wenn der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrags Aufwendungen macht, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf. Zwar ist nach dem Wortlaut des § 670 BGB nur die Rede von „Aufwendungen“. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass „[…] der dem Beauftragten nach § 670 BGB gegen den Auftraggeber zustehende Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen bei einer mit Gefahren verbundenen Geschäftsbesorgung auch bei Ausführung des Auftrages erlittene Schäden des Beauftragten umfassen kann […]“. Der § 670 BGB kann also durchaus auch als Schadensersatzanspruch zu prüfen sein.
Dass vorliegend der Schaden des Klägers nicht über die Vorschrift des § 670 BGB ersatzfähig sei, folge nach dem BGH daraus, dass das Fahren des Kraftfahrzeuges des Beklagten zu 2 durch den Kläger hier lediglich als Gefälligkeit des täglichen Lebens zu qualifizieren sei. Aus einer bloßen Gefälligkeit des täglichen Lebens ließe sich jedoch kein Ersatzanspruch für einen erlittenen Schaden herleiten.
JurCase informiert:
Die Abgrenzung, ob eine bloße Gefälligkeit des täglichen Lebens oder schon eine Geschäftsbesorgung im Sinne des § 662 BGB vorliegt, richtet sich danach, ob im jeweiligen Fall ein Rechtsbindungswille anzunehmen ist.
Diesbezüglich führte der BGH in seinem Urteil aus:
„Maßgeblich ist insoweit, wie sich dem objektiven Beobachter – nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls mit Rücksicht auf die Verkehrssitte – das Handeln des Leistenden darstellt. Eine vertragliche Bindung wird insbesondere dann zu bejahen sein, wenn erkennbar ist, dass für den Leistungsempfänger wesentliche Interessen wirtschaftlicher Art auf dem Spiel stehen und er sich auf die Leistungszusage verlässt oder wenn der Leistende an der Angelegenheit ein eigenes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse hat.“
In der Klausur sind also alle Umstände des Falles zu würdigen. Insbesondere ist ein Augenmerk auf die Interessen des Leistenden, den Wert des Gegenstandes und auf das Risiko, das von dieser in Rede stehenden Tätigkeit ausgeht, zu richten.
Auch der BGH würdigte alle Umstände des Falles, um zu entscheiden, ob hier eine bloße Gefälligkeit des täglichen Lebens oder schon eine Geschäftsbesorgung vorlag:
Vorliegend sei das Manövrieren des Kraftfahrzeuges aus der Parklücke zwar für den Beklagten zu 2 erfolgt, es seien jedoch keine wesentlichen Interessen wirtschaftlicher Art auf Seiten des Beklagten zu 2 betroffen gewesen. Das an den Kläger überlassene Kraftfahrzeug des Beklagten zu 2 sei ein Gegenstand von nicht unerheblichem Wert, der Kläger habe dieses jedoch nur kurz, in der Anwesenheit des Beklagten zu 2 und darüber hinaus in einer verkehrsberuhigten Situation auf dem Parkplatz in Betrieb nehmen sollen, so dass schon die von der Situation ausgehende Gefahr besonders gering gewesen sei. Überdies habe auch der Kläger kein eigenes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse an dem Fahrmanöver gehabt, sondern lediglich eine Hilfeleistung erbracht. Dementsprechend sei hier von einer bloßen Gefälligkeit des täglichen Lebens auszugehen.
Im Ergebnis ergab sich für den Kläger damit kein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagten für die Schäden an seinem eigenen Fahrzeug.
Fazit
Die zentrale Frage dieses Falles, ob der Haftungsausschluss des § 8 Nr. 2 StVG auch dann eingreift, wenn der Kraftfahrzeugführer mit einem fremden Fahrzeug
bei einem Verkehrsunfall seinen eigenen Pkw beschädigt, beantwortete der BGH ausdrücklich mit JA. Das mag im ersten Moment aufgrund der hinter dem Fahrmanöver stehenden Intention – der Hilfeleistung des Klägers für den Beklagten zu 2 – „undankbar“ erscheinen. Bedenkt man jedoch, dass neben der Halterhaftung weiterhin andere Schadensersatzansprüche anwendbar bleiben, wobei vorliegend lediglich die Voraussetzungen nicht erfüllt waren, und schaut man mit der juristischen Lupe auf diesen Fall, so zeigt sich eine saubere Anwendung der Vorschrift des § 8 Nr. 2 StVG nach dem Sinn und Zweck dieses Haftungsausschlusses und der Intention des Gesetzgebers. Hier bestätigt sich also mal wieder: Die teleologische Auslegung ist auch in der Klausur ein gutes Mittel, um im konkreten Fall auf juristischem Wege zu einem gerechten Ergebnis zu kommen.
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