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Gewusst

Notwehr: Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen!

By 9. Juni 2021Oktober 11th, 2023No Comments
Strafrecht

Die Rechtfertigung durch Notstand und Notwehr

Notwehr ist einer der Rechtfertigungsgründe, weshalb ein Verhalten, dass den Tatbestand eines Straftatbestandes erfüllt, nicht rechtswidrig und somit nicht zu bestrafen ist.

Die Notwehr ist in § 32 StGB geregelt. Sie dient sowohl dem Schutz des Einzelnen als auch dem Schutze der Rechtsordnung. Der Notstand hingegen regelt eine Konfliktsituation zweier rechtlich geschützter Interessen und erlaubt eine Verletzung des von der Rechtsordnung geringer bewerteten Interesses, wenn der Täter nicht anders handeln kann, um das höherwertige Interesse zu schützen. Beide Rechtfertigungsgründe werden regelmäßig im Ersten und Zweiten Examen geprüft. Aufgrund dieser Examensrelevanz sollen die wesentlichen Grundlagen im Folgenden erörtert werden.

Notwehr Basics

Der objektive Tatbestand der Notwehr besteht aus der Notwehrlage und der Notwehrhandlung. Im subjektiven Tatbestand sind die Kenntnis über die Notwehrlage im Zusammenhang mit dem Handeln erforderlich.

Für die Notwehrlage muss ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff tatsächlich objektiv vorliegen. Ein Angriff ist jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Interessen des Einzelnen. Notwehrfähig sind also alle Individualrechtsgüter, wie die körperliche Unversehrtheit und das Leben, aber auch das Recht am eigenen Bild. Nicht notwehrfähig sind Rechtsgüter der Allgemeinheit und die öffentliche Ordnung.

Von der Nothilfe spricht man, wenn Rechtsgüter eines Dritten verteidigt werden. Dies ist möglich, wenn der Angegriffene sich auch selbst gegen den Angriff (rechtlich) hätte verteidigen können. Nothilfe darf nicht aufgedrängt erfolgen, sodass auch ein Verteidigungswille beim Angegriffenen bestehen muss. Der Angegriffene kann keinen Verteidigungswillen haben, wenn er den Angriff nicht mitbekommen hat.

Der Angriff muss gegenwärtig sein, das heißt er muss unmittelbar bevorstehen, bereits begonnen haben oder noch andauern. Es würde also ohne weitere Zwischenschritte zu einer Verletzung kommen. Man kann sich merken, dass ein Angriff vom Versuchsstadium bis zur Beendigung des Deliktes andauert, z. B. beim Hausfriedensbruch als Dauerdelikt, solange er andauert.

Bei der antizipierten Notwehr werden Schutzanlagen wie Fußangeln, Selbstschussanlagen oder Stromdrähte installiert, um einen möglichen Angriff abzuwenden. Dies ist zulässig, soweit die Maßnahmen zwar vor Beginn des Angriffs getroffen werden, sich aber erst im Zeitpunkt akuter Gefahr auch auswirken.

JurCase informiert:

In der Klausur kann es dann oft an der Erforderlichkeit der Notwehrhandlung fehlen, da die Intensität nicht geregelt werden kann und oft Warnhinweise auf diese Abwehreinrichtungen fehlen.

Einschränkungen des Notwehrrechts

Der Angriff muss weiterhin rechtswidrig sein, das heißt, dass der Angegriffene das Verhalten nach der Rechtsordnung nicht zu dulden hat. Hier müssen eventuelle Rechtfertigungsgründe des Angreifers inzident geprüft werden.

Die Notwehrhandlung darf sich nur als Verteidigung gegen den Angreifer und dessen Rechtsgüter richten. Die gewählte Handlung muss erforderlich sein, also geeignet, den Angriff abzuwehren und dabei das mildeste Mittel darstellen. In einer raschen Kampfhandlung und bei berechtigter Unsicherheit über die Wirksamkeit eines Mittels muss der Angegriffene nicht erst das mildeste Mittel ausprobieren und damit das Risiko der Unwirksamkeit eingehen. Eine Flucht ist grundsätzlich nicht zuzumuten; dies ist aber regelmäßig zu diskutieren.

Achtung ist jedoch beim Einsatz von Schusswaffen geboten. Hier ist ein dreistufiger Aufbau zu beachten. Der Einsatz des Mittels muss zunächst angedroht werden, z. B. durch einen Warnschuss. Auf Stufe zwei muss, wenn möglich, nach der Androhung zunächst ein weniger gefährlicher Einsatz gewählt werden, z. B. ein Schuss auf die Beine. Erst auf Stufe drei, als letztes Mittel (ultima ratio), darf ein tödlicher Waffeneinsatz gewählt werden.

Das gilt auch für die Polizei! Die Erforderlichkeit ist dabei ex ante zu bestimmen, also wie ein Dritter in der Lage des Angegriffenen während der Kampflage reagiert hätte unter Berücksichtigung der objektiv erkennbaren Umstände.

Die Notwehrhandlung muss auch geboten sein. Hier schlägt das Verbot des Rechtsmissbrauches ein.

JurCase informiert:

Eine gute Eselsbrücke ist hier KEBAP: Krasses Missverhältnis zwischen der Notwehrhandlung und den gefährdeten Gütern – Enge persönliche Bindung zwischen Angreifer und Angegriffenem – Bagatellangriffe – Angriff Schuldloser – Provokation der Notwehr, um unter diesem Deckmantel den Angreifer verletzen zu können.

Sonderfall: Der Notwehrexzess

Dieser Sonderfall ist in §33 StGB geregelt und kommt immer dann zum Tragen, wenn die Notwehrlage überschritten wird (Notwehrexzess).

Notstand Basics

Neben der Notwehr gibt es in § 34 StGB noch den rechtfertigenden Notstand. Dieser regelt eine Konfliktsituation zweier rechtlich geschützter Interessen und erlaubt eine Verletzung des von der Rechtsordnung geringer bewerteten Interesses, wenn der Täter nicht anders handeln kann, um das höherwertige Interesse zu schützen. Weiterhin ist der Notstand in § 228 BGB (defensiver Notstand) geregelt, wenn die Gefahr von Sachen ausgeht oder Eingriffe in Sachen zur Abwehr von Gefahren notwendig sind in § 904 BGB (aggressiver Notstand). Auch beim Notstand braucht man eine Notstandslage, bei der eine gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut des Täters oder eines Dritten besteht. Hier sind auch Rechtsgüter der Allgemeinheit schutzfähig, anders als bei der Notwehr.

Nach herrschender Meinung ist auf das sachkundige Urteil eines objektiven Beobachters abzustellen, ob der Zustand sich ohne Eingreifen in einen Schaden entwickelt hätte.

Die Notstandshandlung muss auch wieder erforderlich sein. Hier wird aber nicht auf das Rechtsbewahrungsinteresse abgestellt, sodass auch ein Ausweichen oder das Einschalten staatlicher Hilfe zumutbar ist.

Wichtig ist, dass hier eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zwischen dem geschützten Interesse und dem beeinträchtigten Interesse vorgenommen wird. Dabei werden auch die Intensität und der Umfang des drohenden Schadens mit einbezogen.

JurCase informiert:

Niemals kann „Leben gegen Leben“ abgewogen werden (Flugzeugabschussfall). Diese Thematik kann übrigens auch in der Mündlichen Prüfung abgefragt werden. Dort rückt nicht nur das Öffentliche Recht mehr in den Fokus, sondern auch politische Argumentationen. Was es insoweit zu wissen gibt, erfährst du in unserem Beitrag ‚Flugzeugabschuss – Leben gegen Leben!?‘.

Im Flugzeugabschussfall wurde versucht, auf den ungeschriebenen (aber hoch umstrittenen) übergesetzlichen entschuldigenden Notstand zurückzugreifen. Er soll die Schuld entfallen lassen, wenn § 34 StGB wegen der Güterabwägung nicht vorliegt und § 35 StGB (entschuldigender Notstand) nicht eingreift, weil die geretteten Personen nicht nahestehende Personen sind. Das Leben sei hier das einzige Schutzgut und es muss in einer ausweglosen Situation gehandelt worden sein. Zur Anwendung kommt dies bei einer Gefahrengemeinschaft, wenn alle Beteiligten in einer verhängnisvollen Gefahrenlage sind, die der Täter nur zur Rettung einer größeren Anzahl Betroffener verändern kann (Flugzeugabschuss, Euthanasie-Fall BGH NJW 1953, 513).

JurCase informiert:

Der übergesetzliche entschuldigende Notstand wird, wie auch der entschuldigende Notstand, auf der Ebene der Schuld geprüft, während die Notwehr und der rechtfertigende Notstand auf der Ebene der Rechtswidrigkeit geprüft werden.

Eine weitere Fallgruppe stellt das „kleinere Übel“ dar, bei dem der Täter durch sein Handeln Unschuldige erstmals in Gefahr bringt (Bahngleisefall). Niemals gerechtfertigt werden kann hier auch die Tötung eines Menschen, was in den sogenannten „Haustyrannenfällen“ relevant wird. Zusätzlich zur Verhältnismäßigkeit ist auch die Angemessenheit zu bewerten. Es erfolgt eine rechts- und sozialethische Bewertung. Hier kommen Duldungspflichten, Verbot der Selbstjustiz, Eingriff in unantastbare Freiheitsrechte in Betracht. Natürlich muss auch wieder subjektiv ein Notstandswille bestehen.

Fazit

Zu den Rechtfertigungsgründen Notwehr und Notstand kann man sich merken, dass die wichtigste Unterscheidung ist, dass bei der Notwehr eine Güter- und Interessenabwägung zu Gunsten des Angegriffenen vorgenommen wird. Beim Notstand wird eine Verhältnismäßigkeitserwägung vorgenommen.

Außerdem gilt der Leitsatz: Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen!

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Beitragsautor:

Lisa-Marie Schuchardt

Lisa-Marie Schuchardt

Lisa-Marie absolvierte nach ihrem Jurastudium ein Auslandsstudium in Aberdeen für den Master of Laws (LL.M.). Zu Beginn ihrer Tätigkeit bei uns schrieb sie hauptsächlich über das Studium. Im Anschluss dessen berichtete sie von ihrem Masterstudium. Außerdem leistete sie einen maßgeblichen Beitrag für unsere #Gewusst-Reihe.

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