Problem: Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit
Einordnung: Waffenrecht / Gefahrenabwehrrecht
BVerwG, Urteil vom 19.06.2019
6 C 9.18
EINLEITUNG
Das Waffenrecht ist momentan ein ganz heißer Examenstipp, weil es die Rechtsprechung vielfältig beschäftigt und mit dem Tatbestandsmerkmal der „Unzuverlässigkeit“ ein Rechtsbegriff streitentscheidend ist, der im Ersten und Zweiten Examen eine hohe Prüfungsrelevanz hat. Jüngst erst hatte die „RA“ über den Entzug einer waffenrechtlichen Erlaubnis wegen Zugehörigkeit zur sog. Reichsbürgerszene berichtet (VG Greifswald, RA 2019, 486). Im vorliegenden Fall geht es hingegen um die Frage, inwieweit die Mitgliedschaft in und die Mandatsausübung für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit zu begründen vermag. Dem Urteil des BVerwG liegt zwar das WaffG in seiner alten Fassung (a.F.) zugrunde, die Ausführungen des Gerichts gelten aber auch für die aktuelle Rechtslage.
SACHVERHALT (LEICHT ABGEWANDELT)
K ist Inhaber einer Waffenbesitzkarte und stellvertretender Vorsitzender eines NPD-Kreisverbandes. Er vertritt die NPD in einem Kreistag und in einem Gemeinderat in Sachsen. K identifiziert sich voll und ganz mit den Zielen der NPD und verbreitet Hassbotschaften gegen politisch Andersdenkende. Die zuständige Behörde hält K deshalb für unzuverlässig im Sinne des WaffG. Dem tritt K mit dem Argument entgegen, bei der NPD handele es sich nicht um eine vom BVerfG verbotene Partei, sodass seine Aktivitäten für die Partei nicht seine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit begründen könnten. Zudem sei ihm keinerlei Fehlverhalten im Umgang mit den oder in der Aufbewahrung der Waffen vorzuwerfen. Ferner agiere er nur auf kommunaler Ebene für die NPD und habe damit keinerlei Einfluss auf deren programmatische Ausrichtung. Auch als Mitglied im Gemeinderat und Kreistag befasse er sich nur mit örtlichen Sachproblemen und werde nicht legislativ tätig. Eine Anknüpfung der Unzuverlässigkeit an seine Mitgliedschaft im Gemeinderat und Kreistag stehe im Übrigen im Widerspruch zum Grundsatz des freien Mandats. Ist K waffenrechtlich unzuverlässig?
LEITSÄTZE
1. Unzuverlässig im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a WaffG a.F. ist in der Regel auch derjenige, der verfassungsfeindliche Bestrebungen im Rahmen der Mitgliedschaft in einer nicht verbotenen politischen Partei verfolgt.
2. Bestrebungen, die sich im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a WaffG a.F. gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, liegen bei einer Vereinigung vor, die als solche nach außen eine kämpferischaggressive Haltung gegenüber den elementaren Grundsätzen der Verfassung einnimmt. Dazu genügt, dass sie die verfassungsmäßige Ordnung fortlaufend untergraben will, wie dies für eine mit dem Nationalsozialismus wesensverwandte Vereinigung kennzeichnend ist. Sie muss ihre Ziele nicht durch Gewaltanwendung oder sonstige Rechtsverletzungen zu verwirklichen suchen.
3. Die verfassungsfeindlichen Bestrebungen einer Partei werden jedenfalls dann im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a WaffG a.F. unterstützt, wenn leitende Funktionen in der Partei oder Mandate als Vertreter der Partei in Parlamenten und Kommunalvertretungen wahrgenommen werden.
4. Ist der Tatbestand des § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a WaffG a.F. erfüllt, muss einzelfallbezogen geprüft werden, ob atypische Umstände vorliegen, die geeignet sein könnten, die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit zu widerlegen. In den Fällen der Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen einer Partei durch Wahrnehmung von Parteiämtern oder Mandaten in Parlamenten und Kommunalvertretungen setzt dies – neben einem in waffenrechtlicher Hinsicht beanstandungsfreien Verhalten – grundsätzlich die Feststellung voraus, dass die betreffende Person sich von hetzenden Äußerungen sowie gewaltgeneigten, bedrohenden oder einschüchternden Verhaltensweisen anderer Mitglieder oder Anhänger der Partei unmissverständlich und beharrlich distanziert hat.
LÖSUNG
Die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des K könnte sich allein aus § 5 II Nr. 3a) WaffG ergeben. Das setzt zunächst voraus, dass die Norm überhaupt anwendbar ist. Dem steht möglicherweise entgegen, dass es für die Mitgliedschaft in Parteien eine spezielle Regelung in § 5 II Nr. 2b) WaffG gibt.
I. Verhältnis § 5 II Nr. 2b) zu § 5 II Nr. 3a) WaffG
Die zur Unzuverlässigkeit führende Mitgliedschaft in einer verfassungswidrigen Partei, die K vorgeworfen wird, könnte abschließend in § 5 II Nr. 2b) WaffG normiert sein, sodass eine Anwendung des § 5 II Nr. 3a) WaffG ausscheidet. Da zudem die Verfassungswidrigkeit der NPD vom BVerfG bisher nicht festgestellt wurde, wäre K in diesem Fall nicht unzuverlässig
Wortlautauslegung
Teleologische Auslegung
BVerwG, Urteile vom 30.9.2009,
6 C 29.08, Rn 17, und vom 16.5.2007,
6 C 24.06, Rn 46f., 65
Fraglich ist aber, ob das in Art. 21 II, IV GG zum Ausdruck kommende sog. Parteienprivileg ein anderes Normverständnis gebietet.
Problem: Wertung des Art. 21 II, IV GG (sog. Parteienprivileg)
Inhalt des Parteienprivilegs
Schutz aller parteibezogenen Tätigkeiten
Von dem Grundsatz, dass eine von Verfassungs wegen erlaubte parteioffizielle oder parteiverbundene Tätigkeit von Mitgliedern oder Anhängern einer Partei nicht in anderen Rechtsbereichen mit nachteiligen Folgen verknüpft werden kann, ist jedoch eine Ausnahme zu machen, wenn der Gesetzgeber aufgrund anderer Verfassungssätze verpflichtet oder jedenfalls berechtigt ist, eine abweichende Regelung zu treffen. […]
Quintessenz: Für Parteiarbeit benötigt man keine Waffe
Aber evtl. mittelbare Beeinträchtigung der Parteiarbeit, weil Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse die NPD meiden könnten
Wichtig! Beeinträchtigungen der Parteiarbeit ausnahmsweise zulässig, wenn der Schutz anderer Verfassungssätze dazu berechtigt
Hier: Schutz der Rechtsgüter aus Art. 2 II 1 GG vor den extremen Gefahren durch Waffen
Weiter Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bekämpfung der von Waffen ausgehenden Gefahren
Grenzen des gesetzgeberischen Beurteilungsspielraums
Letztlich ist ein Parteimitglied genauso zu behandeln wie jeder andere Bürger
Keine Übertragbarkeit auf andere Bereiche wie z.B. das Gaststättenrecht
Demnach entfaltet § 5 II Nr. 2b) WaffG im Verhältnis zu § 5 II Nr. 3 WaffG keine Sperrwirkung.
II. Bestrebungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung
Tatbestandlich verlangt § 5 II Nr. 3a) WaffG, dass die Vereinigung, deren Mitglied K ist, Bestrebungen verfolgt, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind.
Parallele zu Art. 9 II GG
Konkretisierung des Merkmals „gerichtet“
Kämpferisch-aggressive Haltung erforderlich
Subsumtion: Auftreten der NPD in Sachsen
Fazit: NPD erfüllt die Voraussetzungen
III. Unterstützung der Bestrebungen durch K
Weiterhin muss K gem. § 5 II Nr. 3a) WaffG die Bestrebungen der NPD unterstützt haben.
Konkretisierung des Merkmals „unterstützen“ durch Vergleich mit § 5 II Nr. 2b) WaffG: Bloße Mitgliedschaft genügt nicht
Ebenfalls nicht ausreichend: (wiederholte) passive Teilnahme an Parteiveranstaltungen
Vgl. VG Leipzig, Beschluss vom 5.10.2015, 3 L 183/15, juris Rn 23; Beaucamp, DÖV 2018, 709, 711
Andererseits nicht erforderlich: Bereitschaft zum Einsatz der Waffe
Entscheidend: Identifizierung mit den Bestrebungen der Partei und öffentliches Auftreten –> Fallgruppen des „unterstützens“ i.S.v. § 5 II Nr. 3a) WaffG:
• Vorsitzender oder stv. Vorsitzender auf Bundes-, Landes, Kreis- oder Gemeindeebene
• Mitglied des Kreisvorstands
• Abgeordneter im Bundes-, Landesoder Kommunalparlament
• Kandidat bei einer Bundes-, Landes- oder Kommunalwahl
Problem: Widerspruch zum Grundsatz des freien Mandats?
Inhalt der Gewährleistungen des freien Mandats
Hier: Keine Beeinträchtigung des freien Mandats
Da K stellvertretender Kreisvorsitzender der NPD ist und diese im Kreistag sowie in einem Gemeinderat vertritt, unterstützt er i.S.v. § 5 II Nr. 3a) WaffG die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichteten Bestrebungen der NPD.
IV. Ausnahme von der Regelvermutung der Unzuverlässigkeit
§ 5 II WaffG sieht bei Vorliegen seiner Voraussetzungen vor, dass eine Person in der Regel waffenrechtlich unzuverlässig ist. Demnach ist fraglich, ob bei K Umstände vorliegen, die eine Ausnahme von dieser Regelvermutung gebieten.
Allgemeiner Maßstab für die Prüfung
Unterstützung der NPD spricht zwar besonders stark für Unzuverlässigkeit, gleichwohl sind Ausnahmen denkbar
Konkretisierung des Ausnahmefalls:
Erforderlich ist eine beharrliche und unmissverständliche Distanzierung von hetzenden Äußerungen sowie gewaltgeneigten, bedrohenden oder einschüchternden Verhaltensweisen
Wer sich auf die Ausnahme beruft, muss die besonderen Umstände, die für die Ausnahme sprechen, darlegen.
Von K sind derartige Distanzierungen nicht bekannt. Er verbreitet vielmehr Hassbotschaften gegen politisch Andersdenkende, sodass keine atypischen Umstände vorliegen, die geeignet sind, die Regelvermutung des § 5 II Nr. 3a) WaffG zu widerlegen. K ist demnach waffenrechtlich unzuverlässig gem. § 5 II Nr. 3a) WaffG.
FAZIT
Die zentralen Aussagen der Entscheidung:
- Parteimitglieder sind waffenrechtlich nicht besser zu behandeln als alle anderen Bürger. Daher sperrt § 5 II Nr. 2b) WaffG nicht die Anwendung des § 5 II Nr. 3a) WaffG.
- Die NPD ist eine Vereinigung, deren Bestrebungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind.
- Ein „unterstützen“ i.S.v. § 5 II Nr. 3a) WaffG verlangt eine besondere Identifizierung mit den Bestrebungen der verfassungsfeindlichen Vereinigung sowie ein öffentliches Auftreten.
- Eine Ausnahme von der Regelvermutung des § 5 II Nr. 3a) WaffG ist nur anzunehmen, wenn sich die betreffende Person beharrlich und unmissverständlich von hetzenden Äußerungen sowie gewaltgeneigten, bedrohenden oder einschüchternden Verhaltensweisen in der Vereinigung distanziert.
Das Waffenrecht ist, wie in der Einleitung ausgeführt, momentan hoch examensrelevant. Ein Blick in die Examensauswertung zeigt, dass es auch in der Vergangenheit immer wieder Gegenstand von Examensklausuren war. Daher sollte die Entscheidung zum Anlass genommen werden, sich die maßgeblichen Bestimmungen des WaffG genauer anzusehen, insbes. §§ 4, 5, 6, 45, 46 WaffG.
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